Offener Brief an Herrn de Vries

Hallo Herr de Vries,

Ich wundere mich, wie Sie auf meine Bitte, dem Gruppenantrag im Bundestag zuzustimmen, der den legalen Abbruch in den ersten 12 Wochen einer Schwangerschaft vorsieht, geantwortet haben.

Sie sind Wahlkreisabgeordneter für Hamburg-Mitte. Dort hat pro familia Hamburg e.V. seine Räumlichkeiten. Ich hatte Sie zu uns eingeladen, damit Sie sich selbst ein Bild machen können und auch mit unseren hochqualifizierten Berater:innen, die die Schwangerenkonfliktberatung tagtäglich seit vielen Jahren machen, sprechen können. Darauf gehen Sie mit keiner Silbe ein.

Stattdessen betrachten Sie pro familia offenbar als willenloses Anhängsel zweier Parteien, weil sie die Streichung des § 218 aus dem Strafgesetzbuch als in erster Linie parteipolitische Anliegen von Grünen und SPD bezeichnen. Sie setzen noch eins drauf und behaupten, das Anliegen käme nicht aus der Mitte der Gesellschaft!

Damit beleidigen Sie alle Frauengenerationen, die seit hunderten Jahren für Selbstbestimmung für ihren Körper kämpfen. Es ist respektlos gegenüber Frauen- und weiteren zivilgesellschaftlichen überparteilichen Organisationen, die die Entkriminalisierung einer medizinischen Leistung fordern. Auch der Landesfrauenrat Hamburg zählt im Übrigen dazu, in dem die Frauenunion Mitglied ist; wie auch der Deutsche Gewerkschaftsbund, dessen stellvertretenden Bundesvorsitzende Mitglied der CDU ist.

Nicht zuletzt stellen Sie die steile These auf, dass Frauen sich nach einer guten Beratung nicht selten für das Kind entscheiden würden. Fakt ist vielmehr, dass sich die meisten ungewollt Schwangeren bereits vor der Pflichtberatung  entschieden haben, einen noch nicht außerhalb der Gebärmutter lebensfähigen Embryo/Fötus, der noch kein Kind ist, abzutreiben. Ja, es gibt Konflikte vor und Neuorientierungen nach den Beratungen, und das ist auch gut so. Nehmen Sie zur Kenntnis: Keine Frau treibt leichtfertig ab, kein:e unserer Berater:in rät zu einem Abbruch.

Herr de Vries, Sie sind katholisch. So wie die Religionsfreiheit ein wichtiges Grundrecht nach Artikel 4 GG ist, ist dies auch das körperliche Selbstbestimmungsrecht nach Artikel 2 GG. Daher war es natürlich gut und richtig, dass der Deutsche Caritasverband und Sozialdienst katholischer Frauen 2023 die Einberufung der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung durch die Bundesregierung ausdrücklich begrüßt haben. Übrigens sind  auch  das Frauenwerk der Nordkirche, das Ev.-luth. Frauenwerk Hamburg-West/Südholstein und die Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands Mitgliedsorganisationen des Hamburger Landesfrauenrates.

Das umgesetzte Ergebnis dieser Prüfung ist der Gesetzesvorschlag, der nun als Gruppenantrag in den Bundestag eingebracht wurde (sowie ein Antrag zur Verbesserung der Versorgungslage ungewollt Schwangerer). Er balanciert sehr wohl die verschiedenen Interessenlagen aus, auch wenn ich persönlich der Meinung bin, dass ein Fötus untrennbar mit der Schwangeren verbunden ist und vor einer eigenständigen Lebensfähigkeit die Interessen der Schwangeren höher wiegen. Daher ist es ein Kompromiss, dem jede:r Katholik:in reinen Gewissens zustimmen kann.

Die Spaltung, von der Sie sprechen, ist nicht die Forderung nach Legalisierung von Abbrüchen in den ersten 12 Wochen. Gespaltet hat der Papst, der ungewollt Schwangere, die abbrechen, als Auftragsmörderinnen bezeichnet hat. Gespaltet hatte auch Herr Spahn als früherer Bundesgesundheitsminister, als er für die Erforschung eines längst widerlegten Phänomens, dem Post Abortion Syndrom, fünf Millionen Euro bereit gestellt hatte. Gespaltet hat er, als er behauptete, dass sich Gegner des (früheren) Werbeverbots für Abtreibungen mehr für das Leben von Tieren einsetzen würden, als für ungeborene Kinder. Das ist im Übrigen eine Behauptung, die sich davor nur auf den Hass-Seiten des Holocaust-Relativierers Klaus Günther Annen finden ließ. Wo holt sich Herr Spahn nur seine Informationen her, dachte ich damals….

Ich kann also in keiner Weise verstehen, wie unernst Sie das Thema nehmen und dass Sie auf eine Einladung in Ihrem Wahlkreis drei Monate vor einer Bundestagswahl mit keinem Wort eingegangen sind.

Hamburg ist Ihre Perle, schreiben Sie auf Ihrer Website. Und: Es sei Ihnen eine Ehre, Hamburg im Bundestag vertreten zu dürfen. Und: Sie seien gegen jede Form des Extremismus und verfolgten den Grundsatz Vernunft statt Ideologie. Vielleicht sollten Sie Ihre eigenen Statements ernst nehmen, anstatt mir eine derartige E-Mail zuzusenden.

Abtreibungsverbote haben übrigens noch nie Leben gerettet. Sie haben hingegen aber unendlich viele Todesopfer unter ungewollt Schwangeren gefordert, davon etliche Mütter kleiner Kinder. Das geschieht immer noch tagtäglich.

Sehr geehrter Herr de Vries, ich bin grundsätzlich ein pragmatischer Mensch. Wenigstens der sichere Schwangerschaftsabbruch sollte der Minimalkonsens unter uns sein. Doch genau das steht auf der Kippe, weil wir seit längerem einen Versorgungsnotstand auch in Hamburg erkennen. Und genau da endet mein Pragmatismus.

Hier finden Sie ein Videostatement von der Kollegin Elke Hannack zut Herausnahme des Schwangerschaftsabbruchs aus dem Strafgesetzbuch. Vielleicht treffen Sie sich wenigstens mal mit ihr auf einen Tee in Berlin?

Viele Grüße aus Hamburg!

 

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