24 Stunden

Es macht einen Unterschied, ob man ein Kind ein paar Stunden hat oder einen ganzen Tag. Ehrlich gesagt, war ich ziemlich erschöpft, als seine Mutter den Kleinen wieder abgeholt hat. Dabei habe ich nicht viel getan. Und einigermaßen gut geschlafen hat mein Enkel auch. Und wenig geweint. Aber nach drei Mahlzeiten, sechs Windeln, einer Nacht, einem Mittagsschlaf und zwei Ausflügen fühle ich mich schlapp und erholungsbedürftig.

Ich sitze gern mit meinem Enkel auf dem Boden. Er hockt auf einer Decke, ich habe noch ein Kissen unterm Hintern. Er reitet auf meinen Beinen, ich lasse ihn plumpsen. Wir schauen immer wieder die beiden selben Bücher durch („Ich habe ein Dreirad“, „Ich habe einen Hund“) und bauen aus großen Holzbuchstaben Türmchen. Das heißt: Ich baue sie, er stürzt sie ein. Und lacht dabei kehlig. Ein altes Lied fällt mir wieder ein, ich singe es ihm vor: Atte katte nuwa

Immer wieder wird er auf die Katze aufmerksam. Geht sie an ihm vorbei – langsam, gelangweilt – ist ihm das Buch egal, ist ihm mein Türmchen egal. Dem Viech hinterher. Sie ist schneller, verschwindet hinter dem Sofa. Dann kommt sie hervor, hopst in einem Zeitlupentempo in ihre Ecke auf das Sofa. Leckt sich kurz, gähnt, rollt sich zusammen. Der Kleine steht vor dem Sofa, sagt „Daa“, „Daii“ und „Ooah!“ und drückt seinen gestreckten Zeigefinger in das Katzenohr. Sie schaut auf, wir Erwachsenen geraten in Angst. Wir möchten unserem Enkel seinen ersten Kratzer so spät wie möglich zumuten. Die Katze denkt nicht daran, dem Mini-Menschen weh zu tun. Sie schließt wieder die Augen und legt ihren Kopf auf die Pfoten. Wir trauen ihr nicht und lenken den Lütten ab. Das klappt – noch.

Wir essen Gnocchis (Und jetzt alle zusammen: „Njocki“!) mit Tomatensoße. Ich habe eine Dose Erbsen hineingemacht. Kinderessen. Unsere Soße würze ich scharf. Mein Enkel mampft mit Lust. Als er satt ist, fängt er an, mit dem Essen zu spielen. Wir lassen ihn und genießen es, ihm zuzusehen, wie er lustvoll mit der Soße schmiert. Ich erinnere mich an die schlechte, gehetzte Stimmung bei uns früher am Mittagstisch. Wir Kinder mussten sitzen bleiben, bis alle fertig waren. Die Erwachsenen standen ständig auf: Wir aßen um 12 Uhr. Dann war unser Laden noch geöffnet. Oft kamen Angestellte rein, weil sie einen Preis nicht wussten oder ein Kunde meinen Vater, meine Oma oder meine Mutter sprechen wollte. Manchmal kam die Kundschaft sogar direkt in die Küche und störte. Natürlich ging die Kundschaft immer vor.

Er läuft. Immer ein paar Schritte, etwas wackelig. Niedlich sieht das aus, dabei ist es ein Meilenstein. Die Hände sind endlich frei, wenn er sich fortbewegt. Das wichtigste Körperteil bei diesem emanzipatorischen Schritt ist ganz klar der Hintern. Auf ihn lässt er sich fallen. Schmerz- und angstfrei plumpst er hin, wenn das Gleichgewicht nicht mehr mitmacht. Oder wenn die Füße ein Stück Wolldecke oder eine Türschwelle nicht überwinden können. Draußen geht es an der Hand voran. Der Weg ist das Ziel. Die Treppe zu einem Hauseingang in der Weidenallee wird begutachtet und bestiegen. Die Treppe daneben: Gleicher Vorgang. Lächeln. Es ist aufregend, das zu können. Die grünen Schuhe mit dem gelben Schuhband sehen fröhlich aus, wirken aber fremd an seinen Füßen. Doch es ist Winter und da geht es nicht ohne. Barfuß läuft er sicherer. Zuhause ziehe ich ihm auch die Socken aus. Das viele Gehen, Zimmer – Flur – Küche – Flur – Zimmer, durchblutet die Füße.

In einer halben Stunde wird mein Enkel abgeholt. Es ist erstaunlich, wie sich die Wohnung in nur kurzer Zeit auf ein Kind eingestellt hat. Ich beginne behutsam mit den Rückbau- und Aufräumarbeiten. Das Set mit der Futter- und der Wasserschale für die Katze darf wieder auf den Fußboden. Das Reisebett verwindet eingeklappt hinter meinem Bett. Die Spielzeugkiste bekommt die Klötze und die Bücher zurück. Die Fernbedienungen kommen wieder auf den Tisch. Und ich lege die Füße hoch.

 

 

 

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