Mutterschlaf

Ein bisschen mulmig war mir schon. Wie oft würde er wach werden? Höre ich ihn, wenn er aufwacht? Wird er seine Eltern vermissen? Bekomme ich ihn ruhig, wenn er weint? Mein Enkel ist nun neun Monate alt und hat das erste Mal bei uns übernachtet.

Mit einer großen, prall gefüllten Tasche gab ihn seine Mutter bei uns ab. Darin enthalten: Wechselkleidung, Nachtwindeln, zwei große Milchflaschen, eine große Dose Milchpulver, Brotaufstrich fürs Frühstück (Kürbis), Schlafanzug, Schlafsack, Zahnbürste und Zahnpasta für die vier Zähnchen, Griesbrei für den Abend, dicke rote Söckchen.

Doch zunächst gehen wir spazieren. Es sind noch circa fünf Stunden, bis der Abend anbricht. Der Kleine ist gut drauf, hat gerade seinen Mittagsschlaf hinter sich gebracht. Der Sonntag strahlt herbstgelb, die Blätter zeigen ihre ganze Farbvielfalt und liegen bereits in großen Mengen auf dem Boden. Wir schlendern durchs Grindelviertel.

Mein Enkel liegt nicht mehr in seinem Kinderwagen. Er hockt und sitzt und kniet darin. Und er liebt es, seine Sachen über Bord zu werfen. Dreimal finden wir das witzig. Dann macht das Bücken und Wiederaufheben keinen Spaß mehr. Das Bilderbuch „Eddie“ mit der weißen Eisbärstoffnase verschwindet zuerst in meiner Tasche. Danach stecke ich die kleine Wasserflasche weg. Das Hinauswerfen der Rassel macht ihm keinen Spaß, weil sie mit einer Klemme am Kinderwagen fest gemacht ist. Es muss scheppern!

Werfen reicht zudem nicht: Er lehnt sich raus. Und zwar rückwärts! Dazu drückt er seinen Rücken durch und kippt angstfrei nach hinten!

Wir schlendern nicht mehr, wir schleichen. Und amüsieren uns über seine Akrobatik. Denn wir schnallen ihn nicht an. Never! Haben wir mit unseren Kindern auch nicht gemacht. Die wussten schnell, was sie sich zutrauen konnten!

Wir schleichen ins Eiscafé und ergattern einen Platz. Der Kinderwagen ersetzt den Hochstuhl. Er hat genau die richtige Höhe!

Wir bestellen Milchkaffee, Eisbecher und eine Tasse geschäumte Milch. Mein Enkel haut mit der flachen Hand auf den Metalltisch, dass es kracht. Dann greift er flink nach den Keksen, die an den Tassenrändern liegen. Doch wir sind schneller und schieben alles beiseite. Ich löffel Milchschaum in seinen Mund, den er weit aufsperrt.

Einen Moment passe ich nicht auf und er hat die Tasse doch gegriffen. Die Milch ergießt sich über den Tisch. Die kleine Hand klatscht hinein.

Wir trocknen das Malheur mit Taschentüchern, zahlen und gehen. Unser Weg führt über das Unigelände. Mein Enkel wippt und biegt sich, und drückt seine Beinchen durch. Ich raffe eine Handvoll Blätter von einer Hecke und breite sie im Kinderwagen aus. Das Wunder geschieht: Der Kleine setzt sich auf seinen Po und schaut sich Blatt für Blatt an. Einige werden auf die Straße geworfen. Wir nehmen wieder normales Spaziergeh-Tempo auf.

Unser Weg führt uns über Dammtor, durch Planten un Blomen. Eine Banane wird weggefuttert, Passanten werden angelacht, Hunden hinterhergeschaut. Wir treffen eine ehemalige Nachbarin. Sie bekommt ein Blatt geschenkt.

Als wir nach Hause kommen, breiten wir eine Wolldecke aus. Darauf spielt sich mein Enkel müde. Ein Bad in unserer Dusche findet er blöd und weint. Ich beende die Reinigung nach einer knappen halben Minute. Der erwärmte Griesbrei kommt viel besser an, er müffelt den gesamten Inhalt der Schale zügig weg.

In meinem Zimmer haben wir ein Reisebett aufgestellt. Zuhause hat er ein paarmal darin geschlafen, damit die Matratze seinen Geruch annimmt. Er wird weinerlich. Windelwechsel, Schlafanzug anziehen. Sein Opa schaukelt und summt ihn in den Schlaf, kurz vor 20 Uhr ist er ins Reich der Träume hinübergeglitten. Das Kind lässt sich anstandslos ins Bettchen legen.

Ich gehe um halb elf ins Bett. Ein schlafendes Bündel liegt am Rand des Bettes und atmet ruhig. Um halb drei werde ich wach. Wovon, weiß ich nicht. Eine Stunde später wache ich wieder auf. Oder habe ich gar nicht geschlafen? Eine weitere Stunde später höre ich Geräusche neben mir. Seufzen, Bewegungen. Er schläft weiter. Schlafe ich immer wieder ein? Dämmere ich nur dahin?

Um halb sechs wird der Kleine munter. Und ich auch. Er schaut hoch, lässt sich aus dem Bett nehmen, schaut neugierig. Wir gehen zusammen in die Küche, ich setze ihn auf die Küchenablage, erhitze das Wasser, fülle das Milchpulver in die lila Flasche, schüttle, gieße auf, fühle die Wärme. Wir gehen in mein Bett. Er liegt jetzt neben mir, ich setze die Flasche an. Eine geschlagene halbe Stunde lang süffelt er 210 ml Milch weg. Wir schlafen noch eine dreiviertel Stunde, bis der Opa uns weckt. Habe ich wirklich geschlafen? Ich fühle mich nicht müde. Wir stehen auf, und frühstücken. Richtig Hunger hat der Lütte nicht, was mich nach dieser Milchportion nicht wundert. Ein halbes Brötchen wird gekaut und gelutscht, etwas Teig wandert in den Magen, aber der größere Teil unter seinen Hochstuhl.

Eine Stunde später wird unser Enkel von seinem Vater abgeholt. Wir haben alles in die Tasche zurückgepackt. Einige Blätter liegen noch im Kinderwagen.

Warum bin ich nur nicht müde?

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