Pädagogisch = weiblich = schlecht bezahlt

gewVeröffentlicht in Erziehung & Wissenschaft 5/2016

Zum internationalen Frauentag 2016 hat die GEW ein Gutachten veröffentlicht, das nachweist, dass die schlechtere Bezahlung von Grundschul- gegenüber Lehrkräften an anderen Schularten eine mittelbare Diskriminierung von Frauen ist. Bis zu 450 Euro monatlich wird an Grundschulen weniger verdient. In Hamburg diskutierten Grundschullehrerinnen über Ursachen, Vorurteile und Möglichkeiten, die Situation zu verändern, sowie die Folgen dieser Diskriminierung im Berufsalltag.

E&W: Mit welchen Argumenten wird begründet, dass Sie immer noch weniger Gehalt bekommen als Lehrkräfte an weiterführenden Schulen?

Claudia Blum: Es wird immer gesagt, dass Grundschullehrkräfte nicht so lange studieren wie andere Lehrerinnen und Lehrer. Das stimmt heute jedoch nicht mehr. Zudem sei die Arbeit nicht so anspruchsvoll wie etwa bei den Gymnasiallehrern. Wir würden weniger korrigieren und brauchten weniger Zeit, um den Unterricht vorzubereiten.

Eva Klock: Bei mir hieß es damals, Anfang der 1980er, ich hätte in Niedersachsen studiert, mein Studium sei deswegen weniger wert. Ich hielt das schon damals für vorgeschoben, weil Pädagogik gerade an die Universitäten angegliedert wurde und auf unseren Unterricht alle Schulformen aufbauen. Außerdem haben wir sehr heterogene Klassen und eine sehr anspruchsvolle Unterrichtssituation.

E&W: Die Anforderungen an Grundschullehrkräfte seien gewachsen, erklärt die GEW. Wie sieht das konkret aus?

Blum: Da sage ich nur drei Schlagworte: Inklusion, Ganztagsschule und Aufgaben, die von der Schulbehörde auf die Schulen übertragen wurden. Die Fachleitungen müssen viel mehr berücksichtigen und managen. Wir bekommen heute Kinder in die Klassen, die wir ganz anders betreuen müssen. Die Ganztagsschule bedeutet, mehr zu organisieren, mehr Formulare auszufüllen, Kinder zu begleiten, sich um Kurse zu kümmern.

E&W: Verwaltungs- und Betreuungsaufgaben, die mehr Zeit in Anspruch nehmen, rechtfertigen aber doch kein höheres Gehalt?

Blum: Ich brauche nicht nur zusätzliche Zeit, ich brauche auch zusätzliches Wissen. Ich muss mich in vieles neu einarbeiten, was ich im Studium nicht gelernt habe, und vor allem brauche ich Zusatzqualifikationen. Ich habe ein geistig behindertes Kind in einer Klasse, ich habe hochbegabte Mädchen und Jungen. Das heißt, ich muss viel differenzieren. Ich verständige mich zwar mit einer Sonderschulpädagogin, aber unterrichten muss ich alleine.

Anja Bensinger-Stolze: Die Grundschule ist eine Schule für alle Kinder, an der alle Ansprüche erfüllt werden. Übrigens auch die der Eltern, deren Ansprüche gewachsen sind. Unsere Aufgaben erfordern höchstes Verantwortungsbewusstsein. Dafür brauchen wir die besten Lehrerinnen und Lehrer, die nicht schlechter bezahlt werden dürfen als andere. Zu sagen, wir seien nicht wissenschaftlich ausgebildet, ist an den Haaren herbeigezogen.

Klock: Ich hatte schon Schülerinnen und Schüler, in deren Elternhaus ich ein Drogenproblem vermutete. Es gibt Scheidungen der Eltern oder das Kind wird geschlagen. Ich stimme mich mit Beratungsstellen ab, mit der Familienhilfe, mit dem Amt für soziale Dienste, mit der Polizei, mit Schulärztinnen und -ärzten. Und immer muss ich abschätzen, was kann ich erreichen, was will ich erreichen. Das geht manchmal ganz schön an die Nieren.

Blum: Außerdem müssen wir alle Fächer unterrichten.

E&W: Das Gutachten bezieht sich auf die Situation in Hessen, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen. Gelten die Ergebnisse auch für andere Bundesländer?

Bensinger-Stolze: Ja. Ungefähr 88 Prozent aller Lehrkräfte an den Grundschulen in Hamburg sind Frauen. An Gymnasien liegt der Anteil bei 56 Prozent. Die Unterschiede in der Bezahlung sind mit den untersuchten Bundesländern vergleichbar. In Hamburg trifft die Diskriminierung übrigens nicht nur die Lehrkräfte an Grund-, sondern auch an Stadtteilschulen. Es gibt hier das Lehramt für Grund- und Mittelstufe, das auch für den Unterricht an den Stadtteilschulen qualifiziert. Alle diese Lehrkräfte beginnen mit der Eingangsbesoldung A12 und können nur über eine Funktionsstelle auf A13 kommen. Auch an den Stadtteilschulen arbeiten deutlich mehr Frauen als Männer. 55 Prozent aller Lehrkräfte haben Teilzeitstellen, an Grundschulen ist der Anteil noch höher.

E&W: Dass die unterschiedliche Bezahlung gegen den Gleichheitsgrundsatz verstößt, der im Grundgesetz verankert ist, wurde schon öfter festgestellt. Fühlen sich Lehrerinnen an Grundschulen aber auch aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert?

Blum: Ja, ich fühle mich diskriminiert. In anderen Schulformen unterrichten viel mehr Männer – und dort wird mehr Geld gezahlt.

Klock: Es ist sehr deutlich zu spüren, wenn ich mich in Gruppen bewege, in denen Lehrkräfte vieler Schulen zusammenkommen. Du wirst als Grundschullehrerin als weniger relevant und wichtig wahrgenommen. Da kommt immer die Bemerkung: Oh wie süß, Grundschulkinder …

Blum: Das kann ich bestätigen. Wenn ich auf die Frage, wo ich unterrichte, antworte: an der Grundschule, sinkt sofort die Wertschätzung. Viele Eltern glauben vielleicht auch deswegen, sie könnten sich bei uns stärker einmischen. Sie versuchen, den Unterricht mitzubestimmen oder stellen meine Fachkompetenz in Frage. Grundschule könne eigentlich jede und jeder, glauben sie offenbar.

Bensinger-Stolze: Das Pädagogische ist in der Wahrnehmung vieler Menschen immer noch eng mit dem Weiblichen verbunden. Als bräuchte man das nicht zu lernen, weil eine Frau so etwas angeblich mitbringt. Dagegen steht das Rationale, das Wissenschaftliche, das der Mann vermittelt. Das wird auch manchmal noch von Lehrkräften so gesehen.

E&W: Wie sollen der Hamburger und der Bremer Senat sowie die schleswig-holsteinische Landesregierung ermuntert werden, auf das Gutachten zur Geschlechterdiskriminierung zu reagieren?

Bensinger-Stolze: Im vergangenen Jahr hatten wir bereits bei der Bremer Senatorin und dem Hamburger Senator sowie dem schleswig-holsteinischen Bildungsministerium vorgefühlt. Aus dem nördlichsten Bundesland erhielten wir die Antwort, dass der pädagogische Anteil unserer Arbeit so groß sei – das habe nichts mit Wissenschaft zu tun. Der Senator in Hamburg sagte, er fände es auch wichtig, dass gleich viel bezahlt werde, aber er hätte kein Geld. Die Bremer Senatorin hat geantwortet, Bremen sei ein Nehmerland (beim Länderfinanzausgleich, Anm. d. Red.), deswegen könne sie in dieser Sache nicht vorangehen. Jetzt werden wir ihnen die Ergebnisse des neuen Gutachtens nahebringen. Vielleicht laden wir die drei auch zu einer Veranstaltung ein – zusammen mit den Juristinnen, die das Gutachten erstellt haben. Wir werden uns auch noch an die bildungspolitischen Sprecherinnen und Sprecher in den Parlamenten wenden. Wenn das alles nichts hilft, gehen unsere Pläne natürlich in Richtung deutlichen Protests.

E&W: Wie will die GEW weibliche Lehrkräfte überzeugen, sich gegen die Lohndiskriminierung zu wehren?

Bensinger-Stolze: Wir fangen jetzt an, zu mobilisieren. Wir gehen an die Öffentlichkeit, zunächst mit einer Postkartenaktion. Die Landesverbände Schleswig-Holstein, Bremen und Hamburg planen zu dem neuen Gutachten die bereits erwähnte Veranstaltung. Ob am Ende vielleicht eine gerichtliche Klage steht, müssen wir sehen.

Blum: Wir hatten gerade Personalvollversammlung. Ich habe das Gutachten vorgestellt, es ist gut angekommen. Auch dass die GEW das Thema in Angriff nimmt, finden die Kolleginnen klasse.

E&W: Stehen die Zeichen an Grundschulen auf Aktionen, um eine bessere Bezahlung durchzusetzen?

Bensinger-Stolze: Es gibt viele Möglichkeiten, Protest sichtbar zu machen. Mit dem Gutachten ist eine gute Grundlage gelegt, gegen die ungerechtfertigte Besoldung an Grundschulen erfolgreich anzugehen.

Moderation und Text: Kersten Artus, freie Journalistin

2 Gedanken zu „Pädagogisch = weiblich = schlecht bezahlt“

  1. Keiner wird gezwungen, Grundschullehrerin zu werden. Langt das Geld nicht zum Leben? Wieviel Euro sind es denn, die aufs Konto kommen? Warum diese Unzufriedenheit, die nur Energie kostet? Wenn das Thema Geld so wichtig ist, möchte ich meine Kinder von ihnen nicht unterrichtet wissen. Ein neuer Beruf muss her.

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