Chancengleichheit 4.0

Veröffentlicht in DER FREITAG, 3/17 vom 19. Januar 2017

Bei der Debatte über die Digitalisierung der Arbeit wird allzu oft der Genderaspekt vergessen

Wenn demnächst intelligente Computer alle mögliche Tätigkeiten übernehmen und Maschinen menschliche Schaffenskraft sogar in kreativen Branchen ersetzen, könnte die Welt, wie wir sie kennen, tatsächlich verschwinden. Wir werden dann mitansehen, wie künstliche Intelligenz Arbeitsplätze für Millionen Menschen vernichtet.

Oft kreisen Studien, Analysen und Spekulationen um den Begriff Arbeit 4.0 oder Industrie 4.0 – als eine Revolution, die bereits in Gange ist. Einige Szenarien sind aus dem Kino bekannt: In Hollywood-Produktionen wie I Robot verrichten „NS-5“-Konstruktionen Dienste im Haushalt und in Surrogates arbeiten, leben und lieben Klon-Apparate für ihre zuhausebleibenden Originale das Leben außerhalb der Wohnung. Man mag über solche Visionen den Kopf schütteln, bedenke aber: Die Star-Trek-Crew arbeitete schon in den 1980ern mit Tablets, da wurden Zeitungstexte sonst noch auf Schreibmaschinen getippt.

Ein gestaltbarer Prozess

Also: Wie sieht die Arbeit in der nahen Zukunft wirklich aus? Eine Studie, die vor Kurzem die ING-Diba-Bank in Auftrag gegeben hatte, geht davon aus, dass in den nächsten Jahrzehnten 18 Millionen Beschäftigte allein in Deutschland durch Computer ersetzt werden. Diese Zahl macht annähernd klar, dass die Digitalisierung nahezu jeden in seiner Arbeitsbiographie betreffen wird. Aber vor unbegründeter Panikmache muss auch gewarnt werden.

Vielleicht ist es auch nur eine Frage, wem man zuhört. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die für die Hans-Böckler-Stiftung im vergangenen Jahr einen einschlägigen Report verfasst haben, schlussfolgern nüchterner: „Es gibt keinen technologischen Determinismus, der bestimmte Arbeits- und Beschäftigungsformen vorgibt“. Und: „Die Digitalisierung ist auch ein gesellschaftlicher Prozess, der an bestehende Institutionen, Verhältnisse sowie Normen und Werte anknüpft. Dieser kann mitgestaltet werden.“

Schließlich werden seit über 50 Jahren Computer in Produktion und Verwaltung eingesetzt – und die Beschäftigungsquote in der Bundesrepublik Deutschland ist zurzeit trotzdem so hoch wie seit langem nicht mehr. Zur Wahrheit gehört hier aber auch dazu, dass diese Quote der Verdoppelung der Leiharbeit innerhalb von zehn Jahren zu verdanken ist sowie dem Anstieg an erwerbstätigen Frauen, die überwiegend in Teilzeit beschäftigt sind. Der Anteil an Teilzeitbeschäftigungsverhältnissen wuchs von 2005 bis 2015 um das Doppelte. Daher bricht bei der Hans-Böckler-Stiftung auch niemand ins Jubeln aus: „Gut ein Drittel aller Beschäftigten sind heute in atypischen, also von der unbefristeten Vollzeit mit geregelten Arbeitszeiten abweichenden, Arbeitsverhältnissen tätig.“

Dennoch, so die Autorinnen und Autoren des Reports, würden die zu erwartenden Beschäftigungseffekte der Digitalisierung durch weitere Aspekte relativiert: rechtliche Rahmenbedingungen etwa, gesellschaftliche Akzeptanz und die „einzelbetriebliche Wirtschaftlichkeit“ der Automatisierung. „Experten neigen zudem dazu, die technischen Möglichkeiten zu überschätzen. Die Diskussionen und Entwicklungen um die Digitalisierung sind interessengeleitet.“

Wer sich mit der digitalisierten Arbeitswelt befasst, stellt sich oft den Arbeiter in der Autofabrik vor, der bald überflüssig wird. Tatsache ist aber: Ganz oben auf dem Ranking der gefährdeten Berufe stehen vor allem Jobs in Büros und Sekretariaten, Verkauf, Gastronomie. Also Branchen, in denen meist überwiegend Frauen tätig sind. Und da Gleichberechtigung und Emanzipation maßgeblich von der ökonomischen Unabhängigkeit eines Menschen abhängen, ist es deshalb für die Zukunft von Frauenrechten und ihrer Gleichstellung entscheidend, den Blick auf Arbeit 4.0 um eine Geschlechterperspektive zu erweitern. Vorstellungen von selbstfahrenden Autos und Roboterarmen in den Fabriken müssen dringen um diesen Themenbereich erweitert werden.

Fakt ist: Weder wird die Arbeit abgeschafft, noch wird es weniger davon geben, schon deswegen, weil heute schon massenhaft unentgeltlich gearbeitet wird – vor allem in Haushalt, Erziehung und Pflege, also bei der sogenannten Care-Arbeit. Aber weil das der Gesellschaft immer noch nicht genug wert ist, taucht diese in ökonomischen Statistiken oft nicht oder nur am Rand auf. Auch weil Menschen zu viel und zu lange arbeiten, wird verkannt, wie viel gesellschaftlich notwendige Arbeit es wirklich gibt und künftig geben wird.

Eine Analyse der Boston Consulting Group zeigt außerdem: Auch bei Banken, Energieversorgern, Telekommunikationsanbietern und Versicherern stehen Umbrüche aufgrund der Digitalisierung bevor. Callcenter verlören beispielsweise bald an Bedeutung, der virtuelle Agent wird den telefonierenden Menschen ersetzen.

Nun wird im Zuge der Digitalisierungsdebatte eine scheinbar attraktive Lösung der voraussehbaren sozialen Probleme immer wieder genannt: das bedingungslose Grundeinkommen (BGE). Aber Kritiker wie der Armutsforscher Christoph Butterwege, der zurzeit Kandidat der Linkspartei für das Amt des Bundespräsidenten ist, warnen davor, mit dem Versprechen, jedem eine bestimmte Summe auszuzahlen, einer Illusion aufzusitzen. Butterwegge findet das BGE schlichtweg ungerecht, wie er im Freitag (22/16) schrieb. Das BGE avanciere „zur Herrschaftsideologie der Internet-Bourgeoisie und zur Sozialphilosophie des Digitalprekariats“. Die Eigentumsverhältnisse bestünden dabei aber fort, die soziale Ungerechtigkeit bliebe erhalten, betont er.

Wer Verteilungsgerechtigkeit anstrebe, dürfe daher nicht auf das BGE setzen: „Ein Kommunismus im Kapitalismus ist nicht möglich“, sagte Butterwegge in einem Interview mit Deutschlandradio Kultur kürzlich. Er schlägt angesichts des Wandels vor: „Wenn intelligente Maschinen, Roboter und Automaten wirklich zur Grundlage der gesellschaftlichen Reichtumsproduktion werden, stellt sich die Frage nach dem Eigentum und der Verfügung über diese Maschinen. Verliert die menschliche Arbeit tatsächlich ihre Bedeutung für die Wertschöpfung, bedarf es einer Alternative zum Kapitalismus.“

Utopien sind notwendig

Bei der BGE-Diskussion zu Arbeit 4.0 gerät zudem allzu oft in Vergessenheit: Den bundesdeutschen Sozialstaat gibt es nicht, weil sich verantwortungsbewusste Menschen hingesetzt und ihn sich ausgedacht haben. Alle Leistungen, die heute Menschen je nach Bedürftigkeit zugute kommen, sind das Ergebnis von politischen Mehrheiten und von meist gewerkschaftlichen Errungenschaften: Bismarck führte Kranken- und Sozialversicherungen auch deshalb ab 1883 ein, um gewerkschaftlichen Standards die Grundlage zu entziehen.

Und man darf in der BGE-Diskussion ebenso nicht den Genderaspekt vernachlässigen: Auch Frauen haben das Recht, eigenes Geld durch eigene Arbeit zu verdienen, anstatt durch ein BGE an der wirtschaftlichen Eigenständigkeit gehindert zu werden. Indizien für diesen Zusammenhang liefert eine Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts ifo. Sie untersucht die „wirtschaftliche Stabilität und soziale Teilhabe von Familien“ durch das Kindergeld, das in geringem Umfang ein bedingungsloses Grundeinkommen für Eltern ist. Das Ergebnis: Kindergeld reduziert die Vollzeiterwerbstätigkeit von Frauen. Utopien sind natürlich notwendig, Visionen über die zukünftige Arbeitswelt ebenso. Zur Debattenkultur gehört aber auch, sich immer wieder zu vergegenwärtigen, wie soziale Rechte und gute Arbeitsbedingungen einst durchgesetzt wurden. Und wie sie künftige zu erreichen sind.

Wenn es gelänge,
die Präsenzkultur in den Betrieben
aufzubrechen,
würden Frauen profitieren

Chancen für Frauen bei der Digitalisierung sieht der Report der Hans-Böckler-Stiftung vor allem, wenn flexibles Arbeiten und Home-Office zu abgesicherten, geschützten Normalarbeitsverhältnissen würden. Die Präsenzkultur in Betrieben aufzubrechen, könne zu einer neuen partnerschaftlichen Arbeitsteilung beitragen. Außerdem müssten Schutznormen aus dem Arbeitszeit- und Arbeitsschutzgesetz wieder in Kraft gesetzt und das Betriebsverfassungsgesetz als leitbildprägende Schutzfunktion ausgebaut werden. Vorschläge, für die es sich nicht nur für Frauen lohnen würde, zu streiten.


siehe auch: Leben und arbeiten in einer digitalisierten Welt und: Digitale Arbeitswelt verlangt radikale Reformen

2 Gedanken zu „Chancengleichheit 4.0“

  1. Zwei Begriffe halte ich für mehr als fragwürdig:

    Das Wort “Gerechtigkeit” streichen wir mal aus unserem Wortschatz. Wer will uns denn da das Gehirn vernebeln?

    Das andere Wort, was zu einem frühen Tode oder in die Krankheit führen kann, ist die “Vollzeitbeschäftigung”. Wie will der Erwerbstätige denn alles auf die Reihe kriegen? Wie lange kann er durchhalten? Ich habe nicht die geringste Vorstellungskraft, wie man bei so hohen Belastungen seine Dinge bewältigen und bis zur Rente gesund bleiben kann. Es braucht also auch dringend Ruhepausen. Der Mensch ist kein Roboter oder Computer.

    Da ja nicht unbedingt die Arbeit krankmachend ist, so können es die Kollegen sein. Einige Berufe ausgenommen, krankt der Mensch am Menschen. Und das muss man erst einmal auf die Reihe kriegen bzw. verdauen – ohne Alkoholiker zu werden oder in andere Süchte zu fallen.

  2. Alkohol, Süchte & Co

    Trinken bleibt Sucht Nr. 1

    https://www.welt.de/regionales/hamburg/article161450174/Berauscht-in-Hamburg-Neue-Fakten-ueber-den-Drogenkonsum.html

    “Im Blickpunkt stehen dabei weniger jugendliche Koma-Säufer, die stärksten Zuwächse verzeichnet die Gruppe der 25- bis 39-Jährigen, Menschen „in der rush-hour des Lebens“, wie es Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks nennt. Die Belastung aus beruflicher Überholspur und Familienplanung führe offenbar dazu, so die Vermutung, dass Alkohol für viele zum Ventil wird. Man werde nun auch gezielt Kampagnen für diese Altersgruppe anstoßen, sagte Prüfer-Storcks.”

    rush-hour (das Wort habe ich nie gehört) des Lebens, sind die Jahre wo man sich kaputt arbeitet. Das wird vom Staat billigend in Kauf genommen. Jetzt setzt die Gesundheitsindustrie ein und es verdienen andere.

    -Welt kompakt von heute, 24. Jan. 2017 – Hamburg –

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