Der Paragraf 219a heißt Stigma und Tabu

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veröffentlicht in: Neues Deutschland, 25. Januar 2019, Seite 4

Da der Paragraf 219a Strafgesetzbuch Informationen für ungewollt Schwangere gesetzlich verhindert und auch das neue Regierungspapier wenig ändert, wächst die Wut.

In Berlin, Dresden, Hamburg, Frankfurt/M., München und vielen anderen Städten protestieren menschen diesen Samstag gegen den Paragrafen 219a Strafgesetzbuch.

Dieser verbietet Ärzten, auf ihren Internetseiten darzustellen, ob Schwangerschaftsabbrüche zu ihrem Leistungsspektrum gehören. So werden ungewollt Schwangere darin behindert, sich Informationen zu beschaffen – etwa darüber, welcher Arzt Abbrüche vornimmt und nach welcher Methode. Über 150.000 Menschen hatten 2017 einen Aufruf der Ärztin Kristina Hänel unterzeichnet, mit der sie uneingeschränkte Informationsrechte forderte – die Petition ist nun erneut online.

Hänel war damals von einem Abtreibungsgegner angezeigt worden, weil sie solche Auskünfte im Netz bereit gestellt hatte. Die Gießener war folglich zu 6.000 Euro Strafe verurteilt worden. Die zweite Instanz bestätigte die Entscheidung. In der Urteilsbegründung hieß es aber auch: Der Gesetzgeber sei bei einer Neuregelung zuständig und nicht das Gericht.

So sehen das auch die Aktiven der „Pro-Choice-Bewegung“, wie sich die Protestierenden gegen den 219a nennen, die diesen Samstag ihre Unzufriedenheit auf die Straße tragen. „Wenn die Bundesregierung die Stimmen der Expert*innen, Beratungsstellen, der Ärzt*innen, der Betroffenen und der Bevölkerung ignoriert, muss sie mit Widerstand rechnen.“, sagt Dr. Ines Scheibe, die Sprecherin des Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung.

Eine zentrale Rolle im Konflikt um den 219a ist die SPD-Bundestagsfraktion. Sie ist wie Grüne, FDP und Linke zwar eigentlich für die Abschaffung von 219a – so dass es dafür eine klare Mehrheit im Parlament gibt. Einen entsprechenden Antrag der Fraktion hatte SPD-Chefin Andrea Nahles aber einen Tag vor Unterzeichnung des Koalitionsvertrages im März 2018 zurückgezogen. Seitdem brodelt es in der SPD. Jungsozialisten wie auch die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen bestehen darauf, dass die SPD-Fraktion sich an ihre eigene Beschlusslage hält. Dennoch legte eine Verhandlungsgruppe der Bundesregierung Ende des Jahres ein anderthalbseitiges Eckpunktepapier vor, nachdem lediglich eine Reform des strittigen Paragraphen vorgesehen ist. Danach sollen Praxen künftig zwar das Wort „Schwangerschaftsabbruch“ auf ihren Internetseiten erwähnen dürfen, aber ohne Details. Stattdessen sollen sie auf staatliche oder staatlich beauftragte Stellen verweisen. Mit ausgehandelt haben das die SPD-Frauen Familienministerin Franziska Giffey und Justizministerin Katarina Barley.

In der SPD-Fraktion herrscht seitdem großes Schweigen zu diesem Thema – was auch mit den im Mai anstehenden Europa-Wahlen und der Rolle von Barley als Spitzenkandidatin der SPD zu tun haben dürfte. Denn ihre Position könnte dem Vernehmen nach beschädigt werden, wenn die Debatte um den 219a nicht vor Beginn der EU-Wahlkampfes beendet wird. Dass der SPD hingegen weitere wichtige Wählerstimmen verloren gehen könnten, wenn sie die Interessen von ungewollt Schwangeren als wahltaktischen Gründen aufgibt, will im Willy-Brandt-Haus offenbar niemand einsehen – bislang zumindest nicht.

Warum der § 219a gestrichen werden muss, begründen die Aktivistinnen des Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung so: „Wir kritisieren den Vorschlag, da die Maßnahmen weder der Situation von Ärzt*innen, Beratungsstellen sowie ungewollt Schwangeren Rechnung trägt. Stattdessen wird den Interessen von fanatischen Abtreibungsgegnern nachgegeben und deren Position verbreitet. Dies trägt aber weiter zur Stigmatisierung und Tabuisierung von Schwangerschaftsabbrüchen bei.“

Als „niveaulose Null-Nummer“ hatte auch Kristina Hänel das Eckpunktepapier kommentiert. Die Ärztin könne nicht glauben, dass die Sozialdemokratie sich so verkaufe. Ein besonderes Ärgernis an dem Papier ist aus ihrer Sicht die Passage, laut der mit „einer wissenschaftlichen Studie Informationen zur Häufigkeit und Ausprägung seelischer Folgen von Schwangerschaften“ gewonnen werden sollen. Weil es dazu bereits ausreichende Erkenntnisse gebe. So wurde festgestellt, dass 95 Prozent der Frauen auch drei Jahre nach einem Schwangerschaftsabbruch sicher waren, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Eine weitere Studie kommt zudem zu dem Ergebnis, dass negative Gefühle unmittelbar nach dem Schwangerschaftsabbruch „in Zusammenhang mit einer erlebten oder befürchteten gesellschaftlichen Stigmatisierung“ gestanden hätten. „Hier haben sich die fundamentalistischen Abtreibungsgegner aus der CSU durchgesetzt“, moniert Hänel und fordert die Bundesregierung auf, endlich ein flächendeckendes Versorgungsnetz zu garantieren, damit ungewollt Schwangere in Wohnortnähe Abbrüche vornehmen lassen können. Denn  in immer mehr Landstrichen, aber auch in einige Städten gibt es keine Praxis mehr, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Um rund 40 Prozent soll deren Zahl seit 2003 bundesweit zurückgegangen sein.

Unterdessen setzen sich Grüne, FDP und Linken weiterhin für die Informationsrechte von Ärzt*innen und Frauen* bei ungewollten Schwangerschaften ein. Eine Reihe von Bundestagsabgeordneten wird an diesem Samstag auf den Kundgebungen und Demonstrationen sprechen. Vereinzelt haben sich auch SPD-Mitglieder als Rednerinnen angekündigt. So die Hamburger Bürgerschaftsabgeordnete Gabriele Dobusch. Es gibt also immer noch ein bisschen Hoffnung.

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