“Strafsache Hänel!”

©keartus

Ein Bericht vom Prozesstag, 12. Dezember 2019

„Strafsache Hänel!” Laut und streng ruft eine Justizangestellte durch den Flur des Landgerichts Gießen. Aber wir sitzen schon alle im Zuschauerraum. Alle, die an der Kundgebung vor dem Gerichtsgebäude teilgenommen haben und jetzt den Verlauf des Prozesses gegen Kristina Hänel verfolgen wollen.

Erneut muss sie sich gegenüber dem Landgericht verantworten, weil das Oberlandesgericht Frankfurt ihre Sache zurück verwiesen hatte. Grund war die Reform des § 219a StGB, der einen Zusatz erhalten hatte. Seitdem dürfen Ärzt*innen, die Abtreibungen machen, dies auf ihrer Website bekannt geben. Das OLG Frankfurt war daher der Auffassung, dass das Verfahren von Kristina neu bewertet werden müsse. Und nun sitzen wir hier ein zweites Mal und harren der Dinge. Ich fasse hier den Prozesstag zusammen, die Wiedergabe ist keineswegs vollständig. Aber sie zeichnet meiner Meinung nach den Verlauf und die wesentlichen Argumentationsstränge nach.

Die Richterin sagt eingangs, ihr sei nicht klar, warum das OLG nicht entschieden und die Sache zurück verwiesen habe. Dann weist sie auf die Gewaltenteilung hin und dass ein Gericht sich an die Gesetze zu halten habe und der 219a befände sich im Moment im Gesetz. „Im Moment“, denke ich, was will sie uns damit sagen? Dann fügt sie hinzu, dass der neue Absatz zu mehr Unklarheiten geführt habe. Mich beeindruckt, so offen kritisch mit der höheren Instanz umzugehen.

Sie führt weiter aus, dass die Kammer die Sache nicht direkt an das Bundesverfassungsgericht verweisen könne. Sie seien an die Weisung des Obergerichts (merkwürdiger Begriff, finde ich, sie verwendet ihn mehrfach) gebunden. Das habe gesagt, dass die Neufassung des 219a anwendbar sei und das Landgericht nur zu überprüfen habe, ob Kristina gegen den neuen 219a verstoßen habe.

Kristinas Anwalt Merkel widerspricht: Das OLG habe auch nichts zur Verfassungsgemäßheit des 219a gesagt. Dich die Richterin gibt zu bedenken, dass das Bundesverfassungsgericht die Sache durchaus auch nicht annehmen könne, sondern auch nochmal zurückverweisen könne. Dann wäre Zeit verloren.

Und auch der Staatsanwalt äußert sich: Er meint, dass der Beschluss des OLG Unart sei und man durchaus beide Sichtweisen vertreten könne. Worin da jetzt der höhere Wert an Aussagekraft liegt, verstehe ich nicht. Na klasse, denke ich, was stimmt denn nun? Aber darauf kommt es ja in der Juristerei nicht an. Vier Juristen, fünf Meinungen, heißt es ja …

In Folge geht es um Kristinas Website. Was heute darauf zu lesen ist und was damals – also 2015 – zum Zeitpunkt der Anzeige von Hendricks, darauf gestanden hatte. Ein Kriminalbeamter wird schließlich als Zeuge vernommen, der damals die Anzeige zur Bearbeitung zuständigkeitshalber zugewiesen bekam und sich dann zunächst ein Bild von den Vorwürfen gemacht hatte. Kristina erklärt danach, sie habe nicht vor, diese Informationen von ihrer Website zu nehmen, mit denen sie über Schwangerschaftsabbrüche aufklärt.

Die Richterin verliest schließlich die gesamten Informationen, die Ratsuchende auf der Website vorfinden. Es hört sich gut an: sachlich, aufklärend. Ich bin abermals beeindruckt, dass sich die Richterin die Zeit dafür nimmt und somit die Infos von der Website noch einmal dokumentiert werden.

Kristinas Verteidiger ergreift erneut das Wort und erläutert, dass das Landgericht Bayreuth eine Entscheidung getroffen habe, die abstrakt zwei Grundrechte gegenüber stellte. Einerseits das Berufsrecht der Ärzt*innen und das Recht des ungeborenen Lebens. Und stellt fest: Thema verfehlt. Denn sie ständen nicht gegenüber. Der 219a sei seit 1974, als die Fristenregelung vom Parlament beschlossen war, die nie in Kraft trat, im Gesetz stehen gelassen worden, um quasi vor einem „moralischen Dammbruch“ zu bewahren, der Abbruch solle nicht als etwas „Normales“ wahrgenommen werden. Der 219a schütze lediglich die damalige kollektive Moral und solle somit ein „Klimaschutzdelikt“ verhindern. Was für ein Begriff, denke ich, und verstehe zunächst nicht, worauf er hinaus will.

Dann aber sagt er, dass der 219a ein Eingriff in die Berufsfreiheit und in die Handlungsfreiheit sei – und diese Verhältnismäßigkeit habe das Bundesverfassungsgericht zu überprüfen.

Und rundet seine Darstellung damit ab, als er ausführt, dass der 219a einen Fötus nicht konkret vor einer Gefährdung beschütze, sondern nur abstrakt. Eine konkrete Gefährdung, etwa einen Fausthieb auf den Bauch einer Schwangeren, würde nicht bestraft werden. Eine abstrakte Gefährdung, wie sie der 219a beschriebe, allerdings schon. Das sei strafrechtsdogmatischer Unfug, sagt er, der 219a verfolge kein legitimes Ziel. Die Gerichte sollten daher den Mut haben, diese Angelegenheit dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen.

Außerdem sei die Europäische Grundrechtecharta berührt. Daher könne das Verfahren auch ausgesetzt werden und zunächst die Meinung des EuGH eingeholt werden.

Kristina sagt, dass sie sich sinnenhafte Gesetze wünscht.

Der Staatsanwalt leitet sein Plädoyer mit den Worten ein: „Ehrenrunde nach dem Ehrentitel“. Der 219a sei nicht verändert worden, sondern ergänzt. Aber auch er meint, wie die Richterin, es sei heute nur der Straftatbestand zu prüfen. Und findet, dass es ein weniger geringes Strafmaß geben könnte, weil ein Teilstrafbestand durch die Ergänzung des 219a nicht mehr gegeben sei.

Kristinas Anwalt führt in seinem Plädoyer vertiefend aus, dass Europarecht berührt sei und die Dienstleistungs- wie auch die Meinungsfreiheit betroffen seien. Die Norm bleibe ein ideologisches Ungetüm. Und spricht über die beiden Männer, denen die Staatsanwaltschaften, die Gerichte und den Ärzt*innen die Strafanzeigen zu verdanken haben. Annen und Hendricks: Man sollte das diesen Typen (O-Ton) nicht durchgehen lassen. Man sollte dem ein Ende setzen.

Das Urteil wird um 13.42 Uhr gesprochen. Kristina wird zu 25 Tagessätzen á 100 € verurteilt, das ursprüngliche Urteil damit abgeändert. In der kurzen Erläuterung sagt die Richterin, dass Kristina im Moment – schon wieder „im Moment“… – gegen den 219a verstoßen würde. Sie fände den Einwand, ob der 219a moralisch eine Berechtigung habe, berechtigt. Es mache logisch keinen Sinn, sachliche Infos zu medizinischen Eingriffen zu verbieten. Ob die Reform des 219a gelungen sei, verneint sie. Das sei schnell gestrickt worden, dabei sei es zu Fehlern gekommen. Absatz 1 und 4 passten nicht zusammen. Es sei auch fraglich, ob der 219a verfassungsgemäß ist. Die Kammer teile die Bedenken der Verteidigung. Denn was sei das Rechtsgut, das geschützt werden solle? Da keine Differenzierungen von legalen und illegalen Schwangerschaftsabbrüchen vorgenommen würden, käme es im Vorwege zu einer Kriminalisierung auch von Schwangerschaftsabbrüchen, die später rechtlich zulässig seien. Das Bundesverfassungsgericht könne daher durchaus entscheiden, ob das Thema überhaupt ins Strafgesetzbuch gehöre oder vielmehr im Ordnungswidrigkeitenbereich anzusiedeln sei. Sie betont erneut, dass sie den 219a für nicht gelungen halte.

Mein Fazit: Die Richter*innen in Gießen haben in den nunmehr insgesamt drei Verhandlungen – einmal Amtsgericht, zweimal Landgericht – verdeutlicht, dass der 219a zu sehr verschiedenen Bewertungen führt. Allein das sollte Hiweis genug sein, dass er eine völlige Fehlkonstruktion ist, letzlich nur ideologische Dienste für Abtreibungsgegner leistet und verfassungsgemäße Rechte unzumutbar aushebelt.

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