150 Jahre Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen: Schafft endlich § 218 ab!”

Veröffentlicht: Hamburger Morgenpost, 15. Mai 2021

Wer in Deutschland eine Schwangerschaft abbricht, kann bis zu drei Jahre ins Gefängnis kommen. Das ist mit dem Tag heute seit 150 Jahren die gültige Gesetzeslage: Der Reichstag hatte am 15. Mai 1871 den entsprechenden §218 ins Strafgesetzbuch aufgenommen. Dort steht er bis heute, macht dadurch Schwangerschaftsabbrüche zu Gesetzesbrüchen. Und das ist ein Skandal.

Denn der Kampf gegen das Abtreibungsverbot tobt seit Dekaden: Frauenorganisationen, Politikerinnen und Politiker versuchten immer wieder, den 218 abzuschaffen oder zu reformieren. So brachten 55 Abgeordnete der sozialistischen USPD bereits 1920 einen Antrag in den Reichstag ein – vergebens. Der Kaiser brauchte Soldaten, die Fabrikbesitzer Arbeiter – so einfach war die Rechnung. Und so unmenschlich war sie aus Sicht der betroffenen Frauen. Auch der Einfluss der katholischen Kirche war stark, ihre Deutungshoheit über den Beginn menschlichen Lebens beeinflusste Gesetzgeber und Gerichte. Dass die Kirchenleute damals wie heute völlig willkürlich argumentieren, schien nicht zu stören: Noch bis ins 19. Jahrhundert hinein befand die Kirche die Beseelung des männlichen Fötus bei 40 Tagen, die des weiblichen bei 80 Tagen. Ich wundere mich manchmal, dass fromme Gläubige Geburtstag feiern und nicht den Tag ihrer Zeugung.

Heute ist hierzulande ein Abbruch strafffrei, wenn er innerhalb der ersten zwölf Wochen durchgeführt wird und drei Tage zuvor eine Beratung stattgefunden hat – wie sie unter anderem Pro Familia und das Familienplanungszentrum anbieten. Damit sind wir nicht zufrieden, im Gegenteil: Der §218 sorgt, wie auch eine bislang unzureichende medizinische Ausbildung, dafür, dass immer weniger Ärztinnen und Ärzte Schwangerschaftsabbrüche anbieten. Weil sie unter den strengen Auflagen zwar straffrei sind, aber eben doch noch immer rechtswidrig. In Deutschland herrscht daher ein Versorgungsnotstand: Manch ungewollt Schwangere findet im Umkreis von 100 Kilometern keine Praxis oder Klinik mehr, die einen Abbruch vornimmt.

Abtreibungsverbote sind zudem lebensgefährlich: Immer noch sterben laut WHO weltweit 47.000 Frauen an den Folgen unsachgemäßer Abbrüche. Sie gelten international als einer der fünf Hauptgründe für Müttersterblichkeit. Hierzulande wirken sie sich vor allem sozial ungerecht aus.

Wir brauchen endlich ein Ende der Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen und stattdessen eine umfassende Sexualaufklärung und kostenlose Verhütungsmittel. Eine freie Wahl der Methode des Abbruchs muss ebenso gewährleistet sein wie eine freie Arztwahl. Davon können wir derzeit nur träumen – auch in Hamburg.

Niemand sollte einer Frau vorschreiben dürfen, ob, wann und wie viele Kinder sie bekommt. Familienplanung ist sehr individuell, da hat niemand reinzureden – weder Kirche, noch Staat. Dass es ohne Sanktionen geht, beweisen Länder wie Kanada oder Frankreich. In Kanada sind Abtreibungen völlig entkriminalisiert, in Frankreich bis zur 14. Woche legal. Und werden von den Krankenkassen bezahlt. Die Abtreibungsquoten sind dort so niedrig wie hier.

Schwangerschaftsabbrüche dürfen nicht verharmlost oder als Methode der Familienplanung eingesetzt werden. Dass dies auch bei anderer Gesetzeslage nicht passiert, zeigen die Erfahrungen in den genannten beiden Ländern – anders, als Kritiker es vorausgesagt hatten. Es wird höchste Zeit, dass auch Deutschland endlich umdenkt.

 

Ein Gedanke zu „150 Jahre Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen: Schafft endlich § 218 ab!”“

  1. Liebe Kersten Artus,
    Vielen Dank für den leider immer noch so wichtigen Artikel. Wir sind eine Gruppe „alter Frauen“, die sich bereits in den 80er Jahren aktiv gegen den §218 eingesetzt haben. Es ist eine Schande, daß dieser § immer noch nicht ersatzlos aus dem StGB gestrichen ist. Sie haben sicherlich in Ihrem Kampf alle rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft. Aber wir sind nicht bereit, diese unerträgliche Situation einfach zu akzeptieren. Was können wir konkret tun? Über Ihre Antwort würden wir uns freuen. Mit freundlichen Grüßen Anne Schnitzius

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