Rede zum Tag gegen Gewalt an Frauen, 25. November 2022

Liebe Menschen, liebe alle, die heute für das Recht auf ein gewaltfreies Leben demonstrieren. Und damit auch an diejenigen erinnern, die Opfer von Gewalt wurden: Misshandelt, gequält, vergewaltigt, ermordet. Hierzulande, in der Ukraine, im Iran, in den kurdischen Gebieten, auf der ganzen Welt. Darunter rein statistisch viele, die auch heute auf dieser Demo sind.

Gewalt gegen Frauen ist international und sie ist für alle gegenwärtig. Sie ist unabhängig von Milieu, Schicht, Status und Einkommen, Nationalität, Land!

Aber: Es gibt Lebensphasen, in denen sind Frauen einem besonderen Gewaltrisiko ausgesetzt. Ich möchte als Vorsitzende von Pro Familia Hamburg darüber sprechen, da sie gesellschaftlich mit einem anderen Bild belegt sind – und damit wird die Gewalt zugleich tabuisiert. Ich zitiere dazu aus dem Landesaktionsplan Opferschutz der Freien und Hansestadt Hamburg (Seite 10):

Frauen sind im Kontext von Schwangerschaft und Geburt nach Untersuchungsergebnissen einem erhöhten Risiko ausgesetzt, Opfer von körperlicher, sexueller und psychischer Gewalt zu werden. … Mit der Schwangerschaft kann Gewalt durch den Partner sogar erstmalig beginnen. Gewalt kann sich in der Schwangerschaft fortsetzen. Ebenso kann eine Schwangerschaft selbst eine Folge von sexueller Gewalt in der Paarbeziehung sein.

Liebe Anwesende, ich habe das in meinem Leben auch einmal konkret erlebt: Eine gute Bekannte war im achten Monat schwanger, als ihr Ehemann sie in den Bauch getreten hat. Sie hat das damals einzig richtige gemacht: Sie hat sich von ihm getrennt. Und danach mehrere Monate bei uns gelebt. Wir haben in dieser Zeit Unglaubliches erlebt: Etwa einen wütenden Ehemann vor unserem Haus oder anwaltliche Schreiben, die nur so strotzten von Lügen und Falschdarstellungen: Täter-Opfer-Umkehr. Erfahrungen, die die Mitarbeiterinnen aus Frauenhäusern sicher gut kennen. Die sich aber Etliche gar nicht vorstellen können: Junge Familie, junges Glück. Was anderes gilt in der Öffentlichkeit nicht.

Liebe Menschen, ich möchte noch konkreter werden, um deutlich zu machen, wie sehr wir alle von Gewalt betroffen sind – aber es immer noch ein Tabu ist, das auszusprechen: Ich wurde mit 16 Jahren vom Lebensgefährten meiner Mutter verprügelt. Mir hat damals niemand geholfen, auch nicht danach. Warum, habe ich mich oft gefragt: Weil er betrunken war? Weil er dafür bekannt war, schnell auszurasten? Weil ich keine Zeug:innen hatte?

Diese beiden Erfahrungen sind es unter anderem, warum ich mich seit Jahrzehnten gegen Gewalt an Frauen und Kinder engagiere, und warum ich auch als Vorsitzende von Pro Familia Hamburg dafür stehe, gerade auf tabuisierte, verharmlosende Gewaltformen aufmerksam zu machen. Wo lieber weggesehen wird und die Opfer allein bleiben. Oder die Schuld bekommen, warum auch immer. Ich möchte Betroffenen Mut zu machen, sich zu wehren. In dem wir sie beschützen und ihnen beim Empowerment helfen.

Es sind neben fehlender Solidarität und Sensibilität vor allem strukturelle Hindernisse, die Gewalt an Frauen befördern. Es sind vor allem ökonomische und psychische Abhängigkeitsverhältnisse. Sie befördern Machtkonstellationen.

Daher sind alle, auch Landes- und Bundesregierungen, aber auch öffentliche Einrichtungen, Behörden, Betriebe, Vereine, Parteien und andere aufgefordert, Schutzkonzepte zu erarbeiten. Und Geld bereitzustellen, auch mehr Geld für die Frauenhäuser. Jedes Opfer muss die Möglichkeit haben, niedrigschwellig Hilfe zu bekommen. Es bedarf präventiver Maßnahmen und ein Ausbau von Beratungsstrukturen.

Es bedarf vor allem einer ökonomischen Gleichstellung: Frauenlöhne dürfen nicht geringer sein als die der traditionellen Männerwelt. Ebenso die Renten. Alleinerziehende benötigen besondere Unterstützung. Um nur einige wenige Punkte zu nennen. Die Liste der Erfordernisse ist lang. Gewalt kostet die Gesellschaft Milliarden, daher ist Geld für Gewaltschutz und -prävention gut investiert.

Liebe Anwesende, letzter Punkt: Auch die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen ist praktizierte Gewalt. Weil ein gewaltfreies Leben das vollständige Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper voraussetzt. Aktivisten der Antichoice-Szene greifen überall Institutionen und Ärzt:innen an, die ungewollt Schwangeren helfen, derzeit akut in Dortmund, wo ein erzreaktionärer Katholik gegen eine Ärztin auf widerlichste und aggressive Weise mobilisiert. Auch deswegen muss der § 218 aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden.

My body, my choice! Weg mit 218 StGB!

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