Gender Budgeting – warum es so gerne vergessen wird

Bereits 2008 wollte die Hamburgische Bürgerschaft die Einführung eines Gender Budgeting prüfen lassen. Aber obwohl die Grünen mitregierten, tat sich nichts. Im Gegenteil: Grüne, CDU und auch die SPD lehnten in geschlossener Front einen Antrag der LINKEN, Gender Budgeting einzuführen, ab. Dabei hatte dieser entlarvt, dass der Senat zwar schriftlich zugesagt hatte , sich mit der Machbarkeitsstudie der Bundesregierung zu befassen und die Bürgerschaft darüber zu unterrichten, sie aber nicht eingehalten. Was aber keinen interessierte, auch die männlich geprägte Lokalpresse nicht.

Erst nachdem DIE LINKE in der Wahlperiode darauf erneut einen geschlechtergerechten Staatshaushalt forderte, bewegten sich etwas. Mittlerweile war schwarz-grün auseinandergeplatzt, die SPD stellte im Parlament die absolute Mehrheit und hatte 2013 ein Gleichstellungspolitisches Rahmenprogramm aufgelegt, das sich an dem der rot-roten Landesregierung Berlin aus den Nullerjahren orientierte. Darin hatten sich die einzelnen Behörden verpflichtet, selbst erarbeitete gleichstellungspolitische Zielsetzungen einzuhalten. Das Gender Budgeting gehörte dazu.

Der neue Linken-Antrag brachte den männerdominierten Haushaltsausschuss dazu, am 2. August 2013 eine ExpertInnenanhörung im Hamburger Rathaus auszurichten.

Im Ergebnis stellte die SPD einen Antrag, mit dem der Weg für ein Gender Budgeting im Hamburger Staatshaushalt geebnet wurde. Er enthielt einige fachliche Mängel, zum Beispiel dass keine Steuerungsgruppe als wissenschaftliche Begleitung eingesetzt wurde. Außerdem fehlte es an der Implementierung gezielter Methoden. Kennzahlen alleine sind keine Methode. Schon damals warnte DIE LINKE vor Boykottverhalten und Verweigerung seitens der Verwaltung – hatte es doch einschlägige Erfahrungen in Berlin gegeben. Der Antrag war vom Grundsatz her zustimmungsfähig. Im darauf folgenden Doppelhaushalt wurden erste Produktkennzahlen um Genderaspekte erweitert. Ein großer Erfolg, ein Schritt voran. Ich gab der taz dazu ein Interview.

Im Juni 2017 lud die Behörde für Wissenschaft und Gleichstellung der Freien und Hansestadt Hamburg „Akteurinnen und Akteure aus Fachkreisen, Politik und Verwaltung ein, das Spektrum der Frage ,Wie viel Geld, für wen und mit welchem Ziel’ um den Aspekt der Gleichstellung der Geschlechter zu erweitern.“ Mittlerweile regieren die Grünen wieder mit, sind Regierungspartnerinnen der SPD. Gleichstellung liegt sogar in ihrer Ressortverantwortung. Angeregt hatte die Tagung allerdings der Hamburger Landesfrauenrat, in dem eine Arbeitsgruppe zum Gender Budgeting aktiv war. Er hatte sich bereits mit einem Brief an die Abgeordneten gewendet.

Der Titel der Veranstaltung irritierte. Als wenn jetzt erst der Aspekt der Gleichstellung zu haushalterischen Fragen zugefügt werden soll. Doch immerhin circa 40 Frauen und Männer hatten sich angemeldet. Sie kamen aus der Verwaltung, aus Frauenprojekten, einige Bürgerschaftsabgeordnete waren dabei. Teilnehmende waren auch Frauen, die seit Jahren für ein Gender Budgeting kämpfen, die den Weg dieses wichtigen Instruments der Gleichstellung immer verfolgt hatten. Und so misslang der Versuch der Behördenleitung gründlich, so zu tun, als würde man jetzt endlich einen richtigen Anlauf nehmen, die Verwendung von Steuergeldern bezogen auf die Geschlechter anzugehen. Teilnehmerinnen forderten bereits zu Beginn der Veranstaltung eine Analyse der bisherigen Erfahrungen. Die es nicht gab. Es stellte sich nunmehr heraus, dass die Befürchtung der LINKEN eingetroffen waren: Da es weder eine wissenschaftliche Begleitung noch eine gezielte Methode gegeben hatte, war das ganze Thema eingeschlafen. Niemand seitens des Senats hatte sich darum gekümmert, die Verpflichtungen umzusetzen, mit denen die Bürgerschaft sie beauftragt hatte. Lediglich im Finanzbericht für den Doppelhaushalt 2015/2016 werden „Gleichstellungspolitische Ziele und Kennzahlen“ als Anlage 2 ab Seite 242 erwähnt und die Kennzahlen listet.

Nun stand es wirklich fest: In Hamburg hatte Gender Budgeting auch mit rotgrüner Regierung nur auf dem Papier stattgefunden.

Die Tagung verlief dennoch sachlich und konstruktiv. Zwei Expertinnen erläuterten die Möglichkeiten des Gender Budgeting, die Ergebnisse von zwei Arbeitsgruppen sollen dazu führen, dass man sich des Themas nun konkreter annimmt.

Es ist eine gleichstellungspolitische Bankrotterklärung der Grünen. Sie tragen in Hamburg seit 2015 die Verantwortung und haben sich darum nicht ausreichend gekümmert. Aber auch der SPD-Finanzsenator muss sich die Frage gefallen lassen, warum seine Gendersensibilität gen Null tendiert.

Der gesamte Vorgang sollte der demokratischen und feministischen Öffentlichkeit sowie der Bürgerschaft der 21. Wahlperiode eine Mahnung sein. Denn die Frauenszene Hamburgs wird in dieser Frage nicht ruhen. Und sie wird vor allem nicht vergessen. Sie wird weiter einfordern.

Ich würde der Bürgerschaft empfehlen, umgehend eine Korrektur des bisherigen Haushaltes einzuleiten, die bisherigen Kennzahlen zu evaluieren und sich für den neuen Haushalts für Geschlechtergerechtigkeit zu sensibilisieren. Viele Fachfrauen stehen in Hamburg, aber auch bundesweit und international dafür zur Verfügung. Gender Budgeting gehört in jedes Vorwort eines Einzelplanes und muss als einer der inhaltlichen Schwerpunkte darstellen, wie die gleichstellungspolitischen Ziele fiskalisch umgesetzt werden sollen. Das gleichstellungspolitische Rahmenprogramm muss dazu mit dem Haushaltsplan verknüpft werden.

Gender Budgeting ist ein Paradigmenwechsel in der Haushaltspolitik. Es geht den Pfründen der Männer, die sich aus den Steuern vorrangig bedienten, an die Ressourcen. Daher ist es kein Wunder, dass hier so gemauert wird. Es ist auch deswegen kein Wunder, weil Staatshaushaltsfragen immer noch sehr männerdominiert sind.

Da es aber heute international schon eine Selbstverständlichkeit ist, die Geschlechterfrage bei der Verteilung von öffentlichen Gelder selbstverständlich zu berücksichtigen – wie die Anforderungen an die Drittmittelvergabe bei Forschungsaufträgen deutlich zeigen, befindet sich Deutschland diesbezüglich im Entwicklungsstadium. Auch die bisherigen Bundesregierungen verweigern diese Strategie, geschlechterdifferenzierte Haushaltspolitik zu betreiben.

 

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