“Komm raus!”

fotoWo ich hinschaue, sehe ich Störche. Sie hängen im Flur, im Wohnzimmer und an den Türen. Als Pappkameraden baumeln sie von Girlanden herab und tragen ein Bündel im Schnabel.

Außerdem hängen (noch) farblose Bodys, Strumpfhosen und Söckchen im Miniformat herum. Und bunt einpackte Geschenke stapeln sich auf dem Tisch. In der Küche steht ein Kuchen mit der Aufschrift “Komm raus!” Es ist, wonach es aussieht: Eine Babyparty.

Ihre besten Freundinnen haben dieses Fest für meine Tochter organisiert. Sie wusste von nichts und ist entsprechend überrascht. Ich war zwar eingeweiht, konnte mir aber so richtig nichts darunter vorstellen. Fast war ich versucht, zu sagen: So was gab es zu meiner Zeit noch nicht. Aber wie das klingt, zu meiner Zeit. Einfach blöde, daher habe ich diesen Gedanken schnell wieder gestrichen, und mich lieber auf diesen Nachmittag  gefreut.

Warum eigentlich eine Babyparty – ohne Baby? Es ist ein bisschen Vorfreude. Es ist ein bisschen Wartezeit verkürzen. Es ist ein bisschen Fruchtbarkeit feiern. Und es ist ein bisschen Zeit miteinander verbringen, bevor ein neuer Akteur ins Zentrum aller Aufmerksamkeit rückt. Und manches Mal sollen die Wehen schon direkt nach einer Babyparty eingesetzt haben …

Dass Babypartys eine amerikanische Erfindung sind, bezweifle ich. Es ist eine fröhliche und vor allem matriarchalische Idee, sich auf die Ankunft des neuen Kindes zu freuen. Und gleichzeitig die werdende Mutter zu feiern.

Lange genug mussten Frauen ihre Bäuche unter wallenen Kleidern verstecken. Wie oft habe ich von älteren Fragen schon den Satz gehört: “Alle waren ganz erstaunt, wo ich das Kind plötzlich her hatte.” Lange genug war die Niederkunft das berufliche Ende einer Frau. Es galt für sie K-K-K* und fertig. Heute zeigen die werdenden Mütter stolz ihren Bauch. Sie wollen eigenständig und unabhängig sein. Sie definieren sich nicht allein über die Mutterschaft, sondern sehen sie als einen ergänzenden, wenn auch besonderen, Teil des Lebens. Daher gefällt es mir auch, dass sich die anwesenden Männer kurze Zeit später von der Babyparty verziehen. Wir Frauen bleiben unter uns.

Wir stoßen an. Meine Tochter packt die Geschenke aus: Ein Windelpaket ist dabei, ein Set für die ersten Fußabdrücke, Lotion und Badeschaum, Kinderbesteck. Alles nützliche Dinge, gute und kluge Ideen.

Dann gehen Stoffstifte reihum: Wir malen die farblose Babykleidung an. Es entstehen kleine Kunstwerke. Teils quietschbunt, teils einfach nur frech. So steht auf dem Hinterteil einer Strumpfhose geschrieben: “Bäääääm!”

Wir essen Kuchen, Falafeln, Chips. Ich höre den jungen Frauen zu. Einige sind ja schon Mutter, zwei Alleinerziehende sind dabei. Sie sind im Studium oder arbeiten oder sind noch in Elternzeit. Ich überlege: Was wird aus ihnen in fünf oder zehn Jahren geworden sein? Wie viele Kinder werden dann auf die Welt gekommen sein? Haben sie Partner, die aktive Väter sind? Sind sie arbeitslos oder haben sie ihren Traumjob? Einige von ihnen kenne ich, als sie selbst noch klein waren. Daher weiß ich auch: Meine Gedanken sind müßig. Heute freuen sie sich, hier zu sein. Ich spüre die Freundschaft, die gelebt wird.

Was macht man noch auf einer Babyparty? Die Gäste müssen “Mutterqualitäten” beweisen. Wir spielen “Babytabu”. Das Spiel geht so: Wir müssen einen – natürlich babyaffinen – Begriff erraten, den eine Gästin vorträgt. Den Begriff darf sie nicht sagen. Bestimmte Wörter, die das Erraten zu leicht machen, sind ebenso untersagt, ausgesprochen zu werden. Ein weiteres Spiel, das die Organisatorinnen mit uns durchführen: Angelehnt an “Stadt-Land-Fluss” raten wir – ebenfalls babybezogen – Begriffe, die immer mit dem selben Buchstaben beginnen. Für die gesamte Party gilt: Wer einmal oder mehrfach das Wort “Baby” sagt, verpflichtet sich für einen bestimmten Zeitraum, als Babysitter zu agieren.

Wann der Storch in dieser Wohnung sein Bündel ablegen wird, wissen wir nicht genau. Da die Dauer von Schwangerschaften stark variiert, ist der errechnete Geburtstermin sowieso ein statistischer Witz. Daher laufen Wetten. Drei Euro beträgt der Einsatz, auch ich habe eingezahlt.

Die Wartezeit ist jetzt ein bisschen kürzer geworden. Die Vorfreude ist einmal mehr gestiegen.

* KKK: Kinder, Küche, Kirche

 

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