Mein alljährlicher Weihnachtsblues

Grüffelo, Foto ©keartus

Diesem Grüffelo, den ich meinem Enkel vor ein paar Wochen geschenkt habe, mag Weihnachten nichts anhaben. Bei mir hingegen löst das Fest der Feste jedes Jahr Krisen aus. Ich weiß nur nie, wann genau. Und in welcher Intensität. Es kann beim Anschauen von Fotos passieren.  Bei einem Film. Bei irgend einer Szene in der U-Bahn, die ich mit erlebe. Oder auf einer Weihnachtsfeier. Spätestens ab 25. Dezember hänge ich dann vollends durch und muss alles, was nach Weihnachten aussieht, aus meinem Nahfeld entfernen. Der Baum, wenn ich einen aufgestellt habe, fliegt in der Regel nach dem 2. Weihnachtstag raus.

Wie so oft, hilft es mir, schwierige Gefühle aufzuschreiben und zu veröffentlichen. Es ist, als wenn ich einen Fuß raus aus einem sich drehenden Karussell setze und ihm damit die Dynamik nehme, mich schwindelig zu machen. Es dreht sich weiter, hat aber keine Macht mehr über mich.

Vor zwei Jahren habe ich bereits einen längeren Text nach Weihnachten verfasst und zudem die Konsequenz gezogen, Weihnachten 2018 insofern nicht an mich heran zu lassen, dass ich alle Deko in den Kisten lasse. Kein Baum, kein Adventskranz. Das habe ich – wie zur Selbstbestätigung, im letzten Jahr auch noch einmal aufgeschrieben. Geholfen hat es  – nichts. Im Gegenteil: Ich hatte so einen Druck, dass ich am zweiten Weihnachtstag in den Michel gegangen bin. In der vollbesetzten Kirche bekamen wir gerade noch einen Platz in einer der hinteren Reihen. Als die Musik einsetzte, liefen bereits die Tränen. Nach etwa einer viertel Stunde begann der Pastor zu reden – wir sind dann gegangen. Und wie es sich für eine Atheistin gehört, habe ich in die Kollekte einbezahlt – ich will nicht kostenlos eine Dienstleistung der Kirche in Anspruch nehmen.

Für ein paar Minuten durfte ich an Heilig Abend auch mit Kleiner Donner schmusen.

Dieses Weihnachten habe ich die Wohnung wieder dekoriert. Und einen Baum aufgestellt. Habe an Heilig Abend für acht Personen gekocht, meinen Enkelkindern schöne Geschenke eingepackt – Kleiner Donner war der Hit! – meinen Vater eingeladen, festliche Musik gehört. War ein paar Mal über Weihnachtsmärkte gebummelt. Habe am 1. und 2. Weihnachtstag Bekannte im Krankenhaus und im Pflegeheim besucht. Und war auf einem großen Familientreffen in Appelbeck am See, wo sich jedes Jahr die Verwandtschaft meines Mannes versammelt und sich den Bauch vollschlägt. Es war ein sehr schönes Treffen. Neffen und Nichten Ersten, Zweiten und Dritten Grades waren da, und das Essen hat so gut wie noch nie geschmeckt.

Dieses Jahr sackte meine Performance Heilig Abend zusammen, nach der Bescherung, nachdem wir wieder alleine waren. Mein stiller, diffuser Hunger nach Harmonie, Glück und Aufmerksamkeit hatte sich wieder einmal nicht erfüllt – bis auf das glückseelige Enkelkind, das Kleiner Donner nicht mehr von seiner Seite ließ.

Nach der Gefühlbesoffenheit folgt der Kater. So habe ich mir meine Niedergeschlagenheit versucht, zu übersetzen. Bei einem Kater ist es ja so, dass er wieder vorbei geht. Man muss nur abwarten. Das passierte dann auch so. Die Besuche im Krankenhaus und im Pflegeheim hatten mich von meinen Abgründen abgelenkt und halfen so, zu relativieren: Anderen geht es viel schlechter als mir. Mir hat es schon immer geholfen, mich mit anderen zu vergleichen, um mich einordnen zu können. Das ist in manchen Fällen zwar eine Schwäche, aber in depressiven Phasen hilft es wirklich.

Es hilft auch, einzugestehen, dass das an Weihnachten eben so so ist und die Gefühle zu einem Zeitpunkt entstanden sind, den ich weder wiederholen kann, noch auszumerzen ist. Es ist ein Teil von mir, meiner Geschichte. Es erinnert mich zugleich an eine Kindheit, die ja zu mir gehört. Wo es ja auch viel Liebe gab. Also auch Ressourcen. Es hilft daher auch nicht, Weihnachten doof zu finden, wegzufahren oder nicht stattfinden zu lassen.

Ich denke, ich werde diese Art Texte fortsetzen, es ist jetzt der dritte.

Und jetzt schmücke ich ab.

4 Gedanken zu „Mein alljährlicher Weihnachtsblues“

  1. Mir geht es ähnlich.
    Nicht, dass ich alles weihnachtliche sofort entfernen möchte. Es ist eher so, dass ich in der Weihnachtszeit immer eine Art Ziel sehe, hinter dem das Alltagsleben Pause machen darf. Dann aber kommt die Erkenntnis, dass diese Pause kurz, praktisch nicht vorhanden ist. Dann kommt die Enttäuschung des Alltags.

    1. Ich empfinde mich als Christ, auch wenn nicht jede Woche od. Monat in einen Gottesdienst gehe (Kirche in HH-St. Georg). Wenn ich aber hingehe, freue ich mich auch, alte Freunde und Bekannte dort zu treffen. Ansonsten gibt es bei mir keinerlei Weihnachtsschmuck oder ähnliches. Ich habe die Weihnachtszeit bei meinem Freund verbracht, der hatte wenigstens einen Adventskranz ?.
      Den Jahreswechsel verbringe ich bei meiner Schwester, bei Augsburg. Dann geht’s wieder, für 1-2 Nächte zu meinem Freund. Dann muss ich wieder einen Arzt aufsuchen und der normale Alltagstrott geht wieder los!

      1. Ich empfinde mich als Christ, auch wenn nicht jede Woche od. Monat in einen Gottesdienst gehe (Kirche in HH-St. Georg). Wenn ich aber hingehe, freue ich mich auch, alte Freunde und Bekannte dort zu treffen. Ansonsten gibt es bei mir keinerlei Weihnachtsschmuck oder ähnliches. Ich habe die Weihnachtszeit bei meinem Freund verbracht, der hatte wenigstens einen Adventskranz ?.
        Den Jahreswechsel verbringe ich bei meiner Schwester, bei Augsburg. Dann geht’s wieder, für 1-2 Nächte zu meinem Freund. Dann muss ich wieder einen Arzt aufsuchen und der normale Alltagstrott geht wieder los!

  2. Ich empfinde mich als Christ, auch wenn nicht jede Woche od. Monat in einen Gottesdienst gehe (Kirche in HH-St. Georg). Wenn ich aber hingehe, freue ich mich auch, alte Freunde und Bekannte dort zu treffen. Ansonsten gibt es bei mir keinerlei Weihnachtsschmuck oder ähnliches. Ich habe die Weihnachtszeit bei meinem Freund verbracht, der hatte wenigstens einen Adventskranz ?.
    Den Jahreswechsel verbringe ich bei meiner Schwester, bei Augsburg. Dann geht’s wieder, für 1-2 Nächte zu meinem Freund. Dann muss ich wieder einen Arzt aufsuchen und der normale Alltagstrott geht wieder los!

Schreibe einen Kommentar zu Fred Jörke-Kunath Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert