veröffentlicht in: Mittelbayerische Zeitung, September 2020 “Außenansicht”
Dass immer weniger Ärztinnen und Ärzte Schwangerschaftsabbrüche durchführen, ist ein wachsendes Problem. Ungewollt Schwangere müssen immer größere Wege zurücklegen, um abtreiben zu lassen. Daher gibt es den richtigen Vorstoß, Universitätskliniken zu verpflichten, Abtreibungen durchzuführen und das dafür erforderliche, ärztliche Personal einzustellen.
Offenbar ist in den vergangenen Jahren auch die Debatte darüber innerhalb der Ärzteschaft zu kurz gekommen. Dies mag mit daran gelegen haben, dass die ärztliche Tätigkeit zunehmend durch kommerzielle Interessen bestimmt wird. Ärztinnen und Ärzte müssen heute vielmehr darauf achten, dass sie ihre Arbeit ökonomisch ausrichten und mit Schwangerschaftsabbrüchen kann man nicht viel Geld verdienen.
Abtreibungen sind etwas völlig Normales. Dennoch sind sie mit Tabu und Stigma belegt. So werden Ärztinnen und Ärzte, Beratungseinrichtungen wie Pro Familia und ungewollt Schwangere immer wieder durch Abtreibungsgegner belästigt und bedroht. Ein Spießrutenlauf insbesondere für Frauen, überwiegend übrigens Mütter, nicht wenige über 40 Jahre alt.
Es gibt Abtreibungen, seit es die Menschheit gibt. Und da in nur wenigen Ländern der Welt wie in Kanada und Neuseeland Schwangerschaftsabbrüche gesetzlich nicht reglementiert sind, sterben zehntausende Frauen jährlich aufgrund von Pfusch oder selbst herbeigeführten Aborten. Die Erfahrungen aus der Beratungsarbeit zeigen zudem, dass keine Frau leichtfertig abtreibt; und auch keine leichtfertig schwanger wird. In den circa 30 Jahren, in denen eine Frau in ihrem Leben reproduktiv ist, kann ein Kondom platzen, die Pille vergessen werden oder während des Abstillens eine ungewollte Zeugung stattfinden. Oder „es“ passiert unerwartet in den Wechseljahren.
Das Beenden einer ungewollten Schwangerschaft ist ein zentrales Gesundheits- und damit Menschenrecht. Und dass keine Leben gegeneinander ausgespielt werden, zeigt Kanada: Dort hat es in keinen Anstieg an Abbrüchen gegeben, seit er dort legal ist.
Es bedarf neben einer Legalisierung aber auch ausreichender Sozial- und Hilfsangebote. Wie auch kostenlose Verhütungsmittel für alle. Wie es auch guter Ausbildungs-, Arbeitsbedingungen und Einkommen für Frauen bedarf, ausreichend Kita-Plätze und einer lebenswerten Zukunft.
Ebenso gehört sexuelle Bildung ausgebaut: Wer gut Bescheid weiß, handelt bewusster und verantwortlicher. Kann Sexualität positiv und altersgerecht leben, ist gesünder und zufriedener. Und ist weniger missbrauchsgefährdet.
Reproduktive und sexuelle Selbstbestimmung ist ein Menschenrecht. Für Menschen mit einem Uterus gilt dies derzeit nicht. Dieser strukturelle Sexismus muss beendet werden.