Ostermarsch 2022: Hauptfeind ist, wer am Krieg verdient und Macht durch ihn erlangen will

Ich nehme am diesjährigen Ostermarsch nicht teil. Eigentlich ist er eine wichtige Veranstaltung und hat bundesweite Bedeutung. Eigentlich wäre er die beste Gelegenheit, für Frieden und Abrüstung zu demonstrieren. Hunderttausende gehörten Ostern auf die Straßen. Eigentlich. Doch die Organisator:innen sehen als Hauptfeind auch im russisch-ukrainischen Krieg die NATO.

Ich ostermarschiere nicht mit, weil der Überfall auf die Ukraine unter dem Deckmantel allgemeiner Abrüstungsforderungen verharmlost wird. Wir erleben derzeit eine Neuordnung der Nachkriegszeit und da kommen welche um die Ecke und quatschen über Hauptfeind NATO. Das war gestern!

Ich mache mir dabei keinerlei Illusionen über die NATO und finde es brandgefährlich, dass Finnland und Schweden nun auch Mitglied werden sollen. Dass unter anderem Deutschland die Aufnahme der Ukraine immer abgelehnt hat, war richtig. Die NATO hat keine Konzepte, die friedensbringend sind, sondern steuert viele Konflikte und bedient die Rüstungsindustrie.

Ich verurteile daher auch das Aufrüstungsprogramm für die Bundeswehr. Ich finde aber nicht, dass man die Ukraine an Russland übergeben sollte. Was unweigerlich passieren würde, wenn das Land keine Waffenlieferungen mehr erhielte. Dabei mache ich mir keine Illusionen, welche Leute diese Waffen auch in die Hände bekommen. Das ASOW-Regiment hat eine unrühmliche Tradition, die Süddeutsche Zeitung hat sie als „ultrarechts“ bezeichnet. Söldner sind im Land, aus den Gefängnissen wurden verurteilte Mörder freigelassen, um gegen die Russen zu kämpfen.

Ich finde es daher richtig, dass Abgeordnete des griechischen Parlaments den Raum verlassen hatten, als ein Mitglied des Asow-Regiments per Video das Wort ergriffen hat, neben dem ukrainischen Präsidenten. Der für mich ebenfalls keine gute Rolle spielt und meiner Meinung nach alles andere als ein Held ist. Seine Ansprachen in allen möglichen Parlamenten der Welt sind schon beeindruckend und clever, doch seine antirussische Hetze erschreckt mich – dabei meine ich nicht den russischen Präsidenten und Kriegsverbrecher Putin, sondern das russische Volk. Viele Russinnen und Russen sind gegen den Krieg und schämen sich für das, was Putin seit dem 24. Februar 2022 entfacht hat. Putins Lügen sind infam und lassen mich an seinem Verstand zweifeln. Aber ich weiß, dass das erste, was im Krieg stirbt, die Wahrheit ist. Auf allen Seiten. Ich glaube, wir können derzeit alle sehr froh sein, dass die Ukraine keine Atomwaffen mehr hat.

Ich habe zugleich volles Verständnis, wenn meine aus der Ukraine stammende Kollegin sagt: Wenn ich eine Waffe in der Hand hätte, ich würde ballern. Ich möchte aber nicht, dass es eine aus deutschen Arsenalen gelieferte Waffe ist.

Ich leide wie so viele mit den Ukrainer:innen mit, sehe ihre zerstörten Städte, sehe die Toten und denke mit Schmerzen daran, wie viele von ihnen im Krieg ihr Leben für die Befreiung Deutschlands vom Hitlerfaschismus lassen mussten.

All das, alle Widersprüche, mit denen ich gerade konfrontiert bin, kommen bei Hamburger Forum nicht vor. Stattdessen wurde eine Veranstaltung zum Thema “Die Außen- und Sicherheitspolitik der USA unter der Regierung Biden” am 14. April beworben. Ehrlich: Das ist nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Aber wer nicht einmal dafür das nötige Fingerspitzengefühl hat, dem ist nicht mehr zu helfen. Und so ist für mich auch nicht die richtige Zeit, für das Hamburger Forum Teil des Publikums zu sein. Es ist bitter, aber ich bin auch wütend.

Der Hauptfeind steht nicht im eigenen Land. Der Hauptfeind steht „oben“. Damit meine ich die soziale Dimension und die Folgen des Krieges. Wer zahlt die Rechnung dafür? Wir. Als „Kanonenfutter“, als Geflüchtete, als Opfer von massiven Sozialkürzungen, um diesen Wahnsinn zu finanzieren. Mit „wir“ meine ich alle Menschen auf der Welt, die nicht am Krieg verdienen und auch keine Macht erlangen dadurch, dass gebombt und vernichtet wird. Ich finde daher auch das Denken in Landesgrenzen schädlich und wegorientierend.

Das erste Problem bei der ganzen Sache ist aktuell die fehlende Debatte in der Friedensbewegung um eine Neubewertung. Sie kommt zwar langsam in Gang, aber zu spät. Diese Lücke nutzen Militaristen, um Deutschland geistig-moralisch aufzurüsten und die nicht vorhandenen Gelder für die Hochrüstung der Bundeswehr als Sondervermögen grundgesetzlich zu verankern.

Das zweite Problem ist die Fehleinschätzung der Rolle Putins, der angeblich nur reagiert, weil die NATO sich osterweitert hat. So wird die Forderung nach einem Abzug der russischen Armee aus der Ukraine halbherzig den alten Parolen aus Zeiten des Kalten Krieges vorangesetzt. Aber es wird nicht darüber nachgedacht, welche Verantwortung die Friedensbewegung hat. Das ist verantwortungslos. Bündnissaufrufe bestehen zwar immer aus Kompromissen, sonst hätte die Friedensbewegung in den 70ern, 80ern und 90ern nicht funktioniert. Das Hamburger Forum ist aber kein Bündnis mehr, sondern eine Ansammlung von Einzelpersonen mit jeweiligem Hintergrund (Partei, Gewerkschaften, etc.) In der aktuellen Situation bedarf es zudem einer klaren Haltung und keiner verklärten Haltung.Druck der Straße hat schon immer geholfen, aber hier verkommen weite Teile der Ostermarschbewegung zur Anti-NATO-Folklore. Das tut mir in der Seele weh, weswegen ich nicht zum Hamburger Ostermarsch am 18. April gehe. Denen gebe ich kein Publikum und ich bin froh, dass die Hamburger DGB-Vorsitzende Tanja Chawla ihren Beitrag auf dem Ostermarsch zurückgezogen hat. Kluge Frau. Ich bin sehr froh, dass DGB, LINKE, VVN und andere eigene Aufrufe gemacht haben. Das hätte viel eher passieren müssen. Die kleinen Gruppen, die die Ostermärsche seit Jahren organisieren, haben meiner Meinung nach keine Legitimation mehr dafür.

Schrecklich fand ich auch die Gegendemo am Karfreitag in Berlin, mit der die Teilnehmenden Waffen für die Ukraine forderten. Doch genau das passiert aber, wenn man an Altem festhält und neue Aktivist:innen nicht einbindet. Da ist es gleichzeitig ein Hohn, wenn man von „Kompromissen in Aufrufen von Bündnissen“ spricht. Außerdem ist da Hamburger Forum kein Bündnis, sondern ein Verein. Es gibt diese bellizistische Grundstimmung in der Bevölkerung, und das ist schlimm. Frieden schaffen ohne Waffen ist zweifellos weiterhin die richtige Forderung, weil Waffen noch nie Frieden geschaffen haben, wie man den derzeit rund 21 kriegerischen Regionen weltweit sieht, Afghanistan als bestes Beispiel aus 20 Jahren Bundeswehreinsatz. Wer immer noch glaubt, dass Waffenlieferungen aus Deutschland in der Ukraine den Russen eine Niederlage beibringen, ist gnadenlos naiv. Im Krieg gibt es nur Verlierende. Vielleicht – was ich verstehen kann – emotional aufgeheizt durch die dramatischen und furchtbaren Bilder aus den zerbombten Städten, den Toten auf den Straßen und natürlich auch den urkainischen Menschen, die bei uns Schutz suchen. Ich bin beeindruckt von dem Engagement für sie, es erinnert mich sehr an 2015, als ebenfalls viele selbstlos geholfen haben. All das, was heute den Urainer:innen zugestanden wird, sollte zum Standard deutscher Flüchtlingspolitik werden.

Man muss sich leider eine gewisse Machtlosigkeit eingestehen, ebenso, wie man dem ukrainischen Volk auch das Recht auf Verteidigung zugestehen muss. Es ist zynisch, zu sagen, da überfällt einer ein souveränes Land und man sagt: Bitte, nimm? Aber die Beteiligung Deutschlands an kriegerischen Handlungen war noch nie erfolgreich oder zielführend.

Notwendig wäre ein Ratschlag zur derzeit größten friedenspolitischen Herausforderung angebracht, damit alle Kräfte, die an Abrüstung und Völkerverständigung interessiert sind, versuchen, sich gemeinsam zu positionieren. Den Minimalkonsens suchen und finden. Bereit sind, die Weltordnung neu einzuschätzen, nachdem Putin alle Grenzen durchbrochen hat. Zur NATO natürlich eine Position zu finden, die meiner Meinung eben nicht lauten kann: Sie ist an allem schuld. Sondern: Ukraine, Finnland und andere dürfen nicht Mitglied werden. Die EU darf keine eigene militärische Kraft werden. Etc. Zudem konkrete Forderungen und dafür Druck machen: Humanitäre Hilfe. Fluchtkorridore. Schutz für Frauen. Etc. All das wird gerade voll verpasst. Es ist eine Schande.

Ranking der Länder mit den höchsten Rüstungsausgaben

 

 

 

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