Warum nur hat sie dieses Buch geschrieben?

Das Buch „Aus die Maus“ von Zaklin Nastic erscheint in unruhigen Zeiten. Zum einen befindet sich DIE LINKE, für die Zaklin im Bundestag sitzt, in existentieller Not – gekennzeichnet durch Wahlniederlagen und Mitgliederschwund. Zum anderen haben die Finanz- und Wirtschaftskrise und die Pandemie die soziale Spaltung weiter verschärft – es gibt immer mehr arme Menschen und immer mehr Superreiche. Ressourcenknappheit, globale Wettbewerbe, Grenzkonflikte und innerstaatliche Machtfragen befördern zudem weltweit Kriege. Und nicht zuletzt die Rechtsentwicklung in vielen Staaten sowie die Auswirkungen des Klimawandels stellen große Herausforderungen für linke und zivilgesellschaftliche Institutionen und Bewegungen dar. Anhaltend wirkt sich der Bedeutungsverlust der Repräsentation aus.

Zaklin hat im Bundestag einen menschenrechtspolitischen Schwerpunkt. Sie ist die vierte Linke, die nach dem Völkerrechtler Norman Paech, dem Umwelt- und Friedensexperten Jan van Aken und dem Finanzpolitik-Sachkenner Fabio de Masi, die von Hamburg aus nach Berlin entsendet wurde. Seit einiger Zeit ist sie Obfrau der Linksfraktion im Verteidigungsausschuss. Sie hat sich allerdings mehr und mehr von der LINKEn distanziert. Neulich kam sie groß im SPIEGEL in dem Text „Projekt Spaltung“ vor (1), wurde darin als „Wagenknecht-Verbündete“ bezeichnet. Dass Sahra Wagenknecht ein eigenes Parteienprojekt zu den Europawahlen 2024 anstrebt, ist offensichtlich. Dass Zaklin ihr folgen wird, ist denkbar. Ihr Wahlkreisbüro in Hamburg hat sie gekündigt. Angeblich wäre darin herumgeschnüffelt worden.

In diesen Zeiten ein politisches Buch herauszugeben, das hilft, diese Gemengelage einzuordnen und sich zu erklären, kann eine gute Idee sein. Es ist Zaklin nur leider nicht gelungen. Vielmehr reitet sie grobschlächtig und ohne Stringenz von Thema zu Thema. Getrieben wird sie von einem dichotomischen Weltbild und einer klaren Feindverortung: Der Westen gegen den Rest der Welt.

Ihre „Vorbemerkungen“ sind derweil mit Aussagen von ausschließlich männlichen Berühmtheiten von rechts bis links, von konservativ bis progressiv angereichert – als wenn sie mühsam Zeitzeugen zusammengesucht hat, die ihre Verfasstheit untermauern. Ausgerechnet misslang dann auch noch der Startschuss für die literarische Debütantin: Ihr Auftritt auf der diesjährigen Leipziger Buchmesse Ende April wurde ohne Angaben von Gründen abgesagt. (2)

Wichtig ist Zaklin, dass sie „von unten“ kommt. Es ist für sie so bedeutsam, dass sie es als Untertitel des Buches verwendet, als „Blick von unten auf die da oben“. Natürlich ist sie nicht mehr „unten“. Weder haust sie noch auf einem Flüchtlingsschiff, noch lebt sie prekär. Heute bezieht sie das Salär einer Bundestagsabgeordneten.

Zu wissen, woher man kommt, kann nie schaden. Ebenso ist es gut, sich immer daran zu erinnern, wer einem geholfen hat, einen guten Weg zu gehen. Zaklin kappt jedoch ausgerechnet diese Hamburger Verbindungen gerade radikal. Doch mit welcher Perspektive? Und warum nun dieses Buch? Ihre „Überlegungen“ hinterlassen eher ein Stirnrunzeln, als dass sie motivieren oder gar begeistern. Wo das doch eigentlich ihr erklärtes Ziel ist.

So liefert sie mit „Aus die Maus“ eine unglaubwürdige Präsentation ihrer politischen  Arbeit ab. Sie selbst ist zwar zwar von Herzblut und einem tiefen Bedürfnis nach Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse geprägt, entwickelt und präsentiert aber keine Lösung. Ihre Unglaubwürdigkeit nährt sich zudem aufgrund fast schon beschämender fehlender Kenntnis der journalistischen Arbeit und medialen Diskurse. Sie bedient vielmehr das Bild der Feindpresse. Das Weglassen von Quellenangaben wirkt zudem wenig vertrauenerweckend – selbst, wenn sie parlamentarische Papiere erwähnt oder sie seitenlang dokumentiert, verzichtet sie auf Drucksachennummern oder Links.

Zunächst entsteht der Eindruck, dass sie ein Buch über einen bevorstehenden Weltuntergang geschrieben hat: „Die Welt ist im Eimer“ lautet der erste Satz ihrer Vorbemerkungen. Dann heißt es: „Die Existenz unseres Daseins ist bedroht.“ Wenig später bekräftigt sie: „Noch näher an der Katastrophe, noch dichter am Untergang.“ Schließlich: „Wir sind allem und allen hilflos ausgeliefert.“ Und: „Die Wachstumsideologie des Kapitalismus gibt sich selbst den Todesstoß, der Systemwechsel steht auf der Tagesordnung.“

An vielen Stellen thematisiert Zaklin den Überfall Russlands auf die Ukraine. Dass das Agieren des russischen Präsidenten Wladimir Putin mit dem Völkerrecht nicht vereinbar ist, weiß sie und erwähnt es auch – nebenbei und betont sachlich. Ihre Gewichtung der Rolle Putins wirkt wie „Alle Angaben sind ohne Gewähr”, wenn die Lottozahlen im Fernsehen bekannt gegeben werden. Oder wenn nach einer Medikamentenwerbung der Hinweis „Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie den Arzt oder Apotheker“ eingeblendet wird.

Es sind schließlich ihre Bewertungen, die aufzeigen, wen sie für den Krieg verantwortlich macht – und das ist nicht Putin, sondern die NATO mit ihrer Ost-Politik. Es ist auch die Bundesregierung, die immer wieder Waffen in Kriegsgebiete geliefert hat. Selbst die Jugoslawienkriege müssen herhalten, weil Putin „sich bei seiner Annexion der vier ukrainischen Regionen Luhansk, Donezk, Saporischja und Cherson wie zuvor schon bei der Annexion der Krim auf den Völkerrechtsbruch bei der Abspaltung Kosovos berufen“ hat. Na dann. Der internationale Gerichtshof hat im März 2023 Haftbefehl gegen Putin wegen Kriegsverbrechen erlassen. (3) Das wusste Zaklin zum Zeitpunkt ihres Projekts noch nicht. Absehbar war es, auch wenn Kriegsberichterstattung über Bombardements und Massaker immer mit Vorsicht zu genießen ist – egal, von welcher Seite.

Für Zaklin, die Menschenrechte an anderer Stelle zu Recht als unteilbar und universell bezeichnet, fallen die Vorwürfe und Anschuldigungen russischer Verbrechen an der Menschheit vermutlich aber unter die Kategorie westlicher Doppelmoral, weil der Westen ja auch etliche Male das Völkerrecht gebrochen hat. Es sind diese und ähnliche Eindrücke über Schlussfolgerungen, die stellenweise das Lesen des Buches schwer erträglich machen.

Dabei sollte es durchaus die Aufgabe einer linken Oppositionspolitikerin sein, einen Kontrapunkt zu setzen, auch zugespitzt. Dazu gehört auch, die aktuelle Außenpolitik der aktuellen Bundesregierung zu kritisieren. Auch der aggressive und imperiale Charakter der NATO ist unbestritten. Doch auch für Linke gehört es sich nicht, Putins Agieren in nur irgendeiner Weise zu relativieren und zu rechtfertigen und dessen Narrative zu bedienen. Die Rolle Russlands in der Welt und die Bewertungen darüber haben seit dem 24. Februar 2022 grundlegend verändert. Putins Russland hat einen imperialen Anspruch, von dem Gefahr für den Weltfrieden ausgeht.

Dennoch riefen die konservative Verlegerin Alice Schwarzer und Zaklins “Fraktionskollegin” Sahra Wagenknecht im Februar 2023 zu einem “Aufstand für den Frieden” (4) auf. Begeistert beteiligten sich auch bekannte Rechtsradikale. Zaklin hatte teilgenommen und hat von denen kaum jemanden gesehen. Zuvor hatten Schwarzer & Wagenknecht auf Change.org eine Petition (5) gestartet, die laut Wikipedia über 810.000-mal unterzeichnet wurde. Zaklin macht keinen Hehl aus ihrer Empörung, dass DIE LINKE sich geweigert hatte, zu den Kundgebung am Brandenburger Tor aufzurufen. Sie schimpft auf die Medien, die von einer „umstrittenen, mitunter sogar von einer stark umstrittenen Demonstration schwadronierten.“ Was aber nun mal Fakt ist. Zudem passt das Adjektiv nicht so richtig. Mit ziemlicher Sicherheit war das von dem schwarz-linken Damen-Duo offensichtlich aber beabsichtigt, mindestens aber einkalkuliert. Wer sonst beherrscht das Geschäft mit der öffentlichen Polarisierung so wie diese beiden Narzistinnen?

Zaklin regt sich auch anderer Stelle über die Medien auf, die einfach nicht ihr Lied nachsingen wollen. Am 27. Februar 2023, schreibt Zaklin, habe Friedrich Küppersbusch auf radioeins/rbb in einem Kommentar als einer der wenigen Journalisten das Manifest und die Demonstration verteidigt. Dann wurde, skandalisiert sie, dieser Kommentar explizit mit dem Hinweis versehen, dass Kommentare grundsätzlich eine Meinungsäußerung der Kommentator*innen darstellen und nicht automatisch der Einschätzung der Redaktion entsprechen. Ihr Fazit: „Das nennt man wohl Distanzierung“. Das stimmt. Und das ist auch richtig. Unrichtig ist, dass dieser Zusatz explizit zugefügt wurde. Er stand dort obligatorisch, weil er unter jedem Kommentar von Journalist:innen steht, die bei radioeins/rbb kommentieren. Und nicht nur das: Es ist ein üblicher Hinweis, weil der Kommentar als journalistisches Stilmittel diesen Charakter besitzt und damit dazu beiträgt, Debatten und Meinungsbildung in der Gesellschaft zu befördern. Kommentare sind Teil demokratischer Meinungsvielfalt.

Dass Küppersbusch sich auch anders verortet, zeigt er in drei Tage zuvor einem taz-Interview zum gleichen Thema: Frage der taz: Sarah Wagenknecht und Alice Schwarzer veröffent­lichten das Manifest des Friedens. Nächste Woche wird demonstriert, Nazis sind auch willkommen, solange sie „ehrlichen Herzens für Frieden und für Verhandlungen“ eintreten. Ist das Pazifismus, Querfront oder einfach neues Deutschland? Antwort Küppersbusch: Das ist ein interessanter Aspekt – wie die Frage, ob genug Dixi-Klos bereitstehen werden oder mit Regen zu rechnen ist. Schwarzers Lager hat aufgerüstet, von Reinhard Mey über Günter Verheugen und Peter Gauweiler, bis Martin Sonneborn unterzeichnen erfrischend irrlichternde wie erstaunlich integre Persönlichkeiten. Mit jedem wohlklingenden Namen wird es schwieriger, die „Verhandler“ zu marginalisieren oder geradeaus rufmörderisch zu verkroneschmalzen. (6) Vermutlich hatten Zaklin oder eine:r ihrer Rechercheur:innen diese taz-Ausgabe gerade nicht zur Hand. Der Journalist Friedrich Küppersbusch kommentiert übrigens seit 1998 wöchentlich auf radioeins/rbb politische Ereignisse. Das macht er auch weiterhin.

Zusammen mit drei weiteren Bundestagsabgeordneten, Andrej Hunko, Sevim Dagdelen und Sahra Wagenknecht stellte Zaklin Anfang Februar eine parlamentarische Anfrage, deren Fragen sie in “Aus die Maus” dokumentiert. Es geht darin um „bewaffnete Untergrundaktivitäten durch Personen, die vom Nationalen Widerstandszentrum der Ukraine als Partisanen bezeichnet werden“. Zweck der Dokumentation der Fragen sei, schreibt Zaklin, „einmal an einem Beispiel aufzuzeigen, welcher Aufwand betrieben werden muss, um der Bundesregierung Auskünfte von einiger Relevanz abzutrotzen und worin Oppositionsarbeit besteht.“

Diese Anfrage findet sich nur nirgends – nicht in der Datenbank des Bundestages, nicht auf der Website der Bundestagsfraktion, nicht auf der Website von Zaklin oder der anderen drei Abgeordneten, die sie gestellt haben sollen. Wo ist sie geblieben, außer in ihrem Buch?

Die Recherche ergibt einen anderen Treffer: Mit der Drucksachennummer 20/7472 vom 27. Juni 2023 steht eine von der Bundesregierung beantwortete Kleine Anfrage der vier Abgeordneten online, die den Titel „Russischstämmigen rechtsextremen Milizen auf Seiten der Ukraine“ trägt (7).

Die von Zaklin dokumentierten 22 Fragen finden sich darin in abgeänderten Versionen wieder. In diesem Dokument werden nunmehr 44 Fragen gestellt. Was ist also passiert? Möglicherweise hat Zaklin eine Entwurfsfassung abgedruckt, lässt ihre Leser:innen darüber jedoch im Unklaren. Daher fehlt wahrscheinlich auch die Drucksachennummer. Die Verwaltung des Bundestages vergibt sie nämlich erst, wenn eine Anfrage bei ihr eingereicht wurde.

Das ist zwar einerseits Pech – aber es ist nicht unüblich, dass Anfragen mehrerer Fraktionsmitglieder mehrere Schleifen drehen, bis sie von allen beteiligten Abgeordneten abgesegnet wurden. Nach sechs Jahren Bundestag weiß man das auch. Es ist daher kein gutes Beispiel, das Zaklin gewählt hat, um aufzuzeigen, welcher Aufwand betrieben werden muss, um der Bundesregierung Auskünfte abzutrotzen. Oppositionsarbeit muss leider auch gründlich und transparent sein, um der Glaubwürdigkeit Willen, und um sich nicht bereits mit formalen und strukturellen Fehlern angreifbar zu machen.

Auf ihrer Website (8) bedankt sich Zaklin für die vielen positiven Rückmeldungen zu „Aus die Maus“. Besonders habe sie sich über die Rezension in Neues Deutschland gefreut (9). Der Text lässt vermuten, dass die Autorin zwar die gut gemeinte Absicht hatte, das Engagement Zaklins zu würdigen, aber offenbar nicht mehr als die „Vorbemerkungen“ gelesen hat. Aber immerhn hat sie das Lied gesungen, das sich Zaklin gewünscht hat.

Sie kündigt auf ihrer Website weitere Lesungen mit ihrem Buch an. Wann es bereits welche gegeben hatte, war nicht herauszufinden. Vielleicht demnächst in ihrer bisherigen Heimatstadt Hamburg?

Quellen:

  1. Ausgabe 26/23 vom 24. Juni 2023
  2. https://www.leipziger-buchmesse.de/pco/de/buchmesse/63ca89ca4ee96a61ae0b33e1
  3. https://www.zdf.de/nachrichten/politik/putin-kriegsverbrechen-kinder-ukraine-krieg-russland-100.html
  4. https://aufstand-fuer-frieden.de/
  5. https://www.change.org/p/manifest-f%C3%BCr-frieden
  6. https://taz.de/Berlinwahl-Pazifisten-und-Politmaenner/!5913918/
  7. https://dserver.bundestag.de/btd/20/074/2007472.pdf
  8. https://www.zaklinnastic.de/aus-die-maus-2/
  9. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1174495.mit-rueckgrat-und-kopf-%C5%BCaklin-nasti%C4%87-aus-die-maus-der-blick-von-unten-auf-die-da-oben.html

 

 

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