Weihnachten ist ein schwieriges Fest

Weihnachten ist ein schwieriges Fest. Bedürfnisse und Erwartungen schaukeln sich über Wochen hoch wie eine Riesenwelle, die spätestens Heiligabend ihren Zenit erreicht und sich auf gefühlsfiebernde Menschen wie mich ergießt.

Warum gefallen uns an Weihnachten kitschige Melodien und überdimensioniert geschmückte Tannen? Warum essen wir Unmengen an Fleisch und Süßigkeiten? Warum verschenken wir Nützliches wie Wegschmeißartikel, Designerware und den halben Inhalt von Spielzeuggeschäften? Warum weinen wir bei Kerzenschein und Glockengeläut‘? Warum geht es vielen anschließend oft schlecht, sodass nur Alkohol oder ein Horrorfilm dabei helfen können, nicht vollends aus dem Lot zu geraten? (Ich habe bis halb 1 morgens “Harte Jungs” mit Will Smith gesehen).

Das ist vielleicht etwas übertrieben. Und ein wenig zynisch. Mein Weihnachten läuft eigentlich ganz “normal” ab. Zumindest nach außen hin. Innen stehe ich mitten unter der Riesenwelle und starre sie an, sehe sie kommen. Meistens bemerke ich sie aber nicht, bzw. zu spät.

Jedes Weihnachten warnen psychologisch kundige Fachleute davor, dass es beziehungsmäßig knallt und/oder innere Dramen Menschen zum Äußersten bringen könnten. Frauenhäuser, Polizei, Notaufnahmen und die Seelsorge haben gut zu tun. Bei mir ist es nicht so schlimm. Nichts ganz so schlimm. Ich musste vor ein paar Jahren aber in die Kirche, obwohl ich nicht gläubig bin, um meine Gefühle entladen im sakralen Rahmen zu können und heulte mir beim Orgelspiel im Hamburger Michel die Augen aus. Als der Pastor anfing, seine Sachen zu erzählen, sind wir schnell raus.

Ich haben nahezu alles versucht, um dem Weihnachtsblues zu entgehen: Weihnachten ignoriert, Weihnachten zelebriert, Weihnachten über mich ergehen lassen. Habe sündhaft viel Geld ausgegeben, Schönes gekocht und dann doch das Gefühl gehabt, zu wenig für meine Lieben getan zu haben. Ich habe mal einen großen, mal einen kleinen Baum in die Wohnung gestellt – um dann doch festzustellen, dass ich ihn spätestens am zweiten Weihnachtstag nicht mehr ertragen kann und ich meine Wohnung ohne Weihnachtsgedöns am allerschönsten finde. Gar keinen Baum aufzustellen war auch eine Variante, die ich erfolglos getestet habe. Daher ist es wohl auch sinnlos, wegzufahren: Es ist in mir. Schreiben hilft mir dann immer: Zweimal habe ich bereits über meine Weihnachten Texte verfasst, 2017 und 2018. Dennoch holt mich der Wahnsinn immer wieder ein.

Während vor Weihnachten die Nächstenliebe hochgehalten wird, Spenden für die Armen eingesammelt und Alleine sein/Einsamkeit beim „Fest der Liebe“ als schlimmste aller Daseinsformen an den Feiertagen thematisiert werden, leide ich darunter, Gemeinsamkeit zu gestalten. Dabei wünsche ich mir nichts sehnlicher. Um bei den Tatsachen zu bleiben: Meine Kinder sind mit ihren Partner:innen jeden Heiligabend bei uns und seit acht Jahren snd vier Enkelkinder hinzubekommen. Ab und an ist auch die vorherige Generation mit dabei, Holgers Mutter oder mein Vater. Wir streiten nicht, niemand säuft und unglücklich über Geschenktes ist auch noch nie jemand gewesen. Politisch gibts ebenfalls keinen Stress.

Warum geht es mir nach jedem Heiligabend so schlecht? Psychologisch geschulte Fachleute wissen, warum. Ich weiß es auch. Nur leider nutzt das Wissen nicht viel. Daher muss ich es vermutlich aushalten lernen. Und dafür sorgen, dass die schlechten Gefühle nicht zu lange dominieren. Ich muss und darf mir erlauben, zu weinen und zu trauern über unerfüllbare Bedürfnisse und dass es eben so ist, dass nicht alle Erwartungen erfüllt werden können. Und ich es anderen nicht immer recht machen kann. Zumal sie es auch gar nicht von mir erwarten.

Das hatte nur meine Mutter. Sie hatte Weihnachten inszeniert und unsere Aufgabe als Töchter bestand darin, die Hauptrollen einzunehmen. Unsere Mutter glücklich zu machen, war das Wichtigste. So ist es wohl bis heute geblieben, obwohl meine Mutter vor über 20 Jahren gestorben ist.

Also nehme ich heute die kleine Kersten auf den Schoß und rede mir ihr über die vielen Heiligabende, die sie (und mich) so geprägt haben. Und sage ihr, dass es gut war, wie es war und dass es Teil von ihr (und mir) ist und bleiben wird und in der Vergangenheit bleiben kann. Ich mache heute auch Menschen glücklich so wie mich Menschen glücklich machen. Aber es sind nicht mehr die 1960 und 1970er Jahre. Es sind andere Menschen.

Weihnachten 2023 könnte also wie folgt aussehen: Der Esstisch wird vom Flur ins große Zimmer verschoben. Enkel 4 hat seinen eigenen Stuhl. Jedes Kind bekommt ein Geschenk. Der Weihnachtsbaum steht im Flur, die Kunder durften ihn schmücken. Fotos von unseren früheren Weihnachten hängen an den Wänden. Wir sprechen darüber. Ich fange an, mich darauf zu freuen.

Fortsetzung folgt.

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert