erschienen in pro familia Magazin 4/2023
Die Entscheidung, Kinder zu bekommen oder nicht, trifft jede Generation neu: Auch gestern und vorgestern gab es genug Gründe, auch jenseits der persönlichen Situation, auf Elternschaft zu verzichten. Da hieß der Klimawandel noch Ozonloch oder Tschernobyl. Oder es bestanden ganz allgemeine Zukunftssorgen.
Was aber ist, wenn das Entsagen von eigenen Kindern Folge einer kollektiven Haltung ist – etwa einem Gebärstreik? Der wurde bereits Ende des 19. Jahrhunderts gefordert. Die Ideen dahinter: Die Arbeiterklasse sollte der Ausbeutung durch Kapitalisten nicht mehr zur Verfügung stehen; dem Staat sollte der Nachwuchs an Soldaten verweigert werden. Die Feministin Clara Zetkin sprach 1913 vehement dagegen: Erfolgreicher Widerstand benötige viele Menschen, meinte sie. Sie setzte sich durch.
Klimaschutz-Aktivistinnen haben den Gebärstreik als „Birth-Strike-Movement“ nun wieder auf die Agenda gehoben. Damit soll heute erreicht werden, die Anzahl der Menschen zu reduzieren, um das Klima zu retten. Mit jedem Kind weniger könnten nämlich laut einer Studie bis zu 117,7 Tonnen CO2 pro Jahr eingespart werden. Massentauglich ist der Gebärstreik erneut nicht geworden – auch nicht die Facebook-Seite „Klimaschutz durch Abtreibung“. Aber da die Bewegung sehr jung und weiblich ist, könnte er sich durchaus bei Einzelnen verankern und Gewissenkonflikte auslösen. Es könnte ein Rechtfertigungsdruck für das eigene Handeln entstehen – wie immer, wenn Familienplanung gesellschaftliche oder staatliche Diskurse erfährt.
Dabei zeigt bereits ein Blick auf die Statistik, dass die Idee eines Gebärstreiks, um Emissionen zu verringern, einer privilegierten, weißen und westlichen Sicht entsprungen ist und damit rassistische Ressentiments in sich trägt: Die zehn Länder mit den höchsten Geburtenraten befinden sich auf dem afrikanischen Kontinent. Die Länder mit den höchsten Emissionen liegen in Nordamerika, Europa und Asien. Und – man ahnt es – die Idee einer „Birth-Strike-Movement“ ist in Ländern mit niedrigsten Geburtenraten und zugleich hohen Emissionen entstanden.
Das Problem solcher Forderungen besteht daher zum einen darin, dass sie völlig unrealistisch sind. Die Menschen in Ländern mit hohen Geburtenraten haben in der Regel Armuts- und Gesundheitsprobleme. Oft haben sie Krisen wie Kriege, Misswirtschaft oder Hungersnöte zu bewältigen. Zum anderen hat missionarischer Eifer noch nie dazu geführt, Lebensverhältnisse in positivem Sinne nachhaltig zu verbessern. Ziel also verfehlt.
Darf man heute aber trotzdem noch Kinder in die Welt setzen? Es kommt wie immer darauf an, nämlich auf die eigene, individuelle Sicht und auf persönliche Wünsche. In jedem Fall sollten Berater:innen, Mitglieder der pro familia-Verbände und Pia-Aktive mit der Generation, die um die Jahrtausendwende geboren ist, noch verstärkter ein konkreter und intensiver Dialog um reproduktive Selbstbestimmung geführt werden: Um ihnen bei Seite zu stehen, für sich die beste Entscheidung zu treffen. Und um mit abstrakten und auch gefährlichen Vorstellungen aufzuräumen.
Dass jede und jeder auch persönlich konkrete Beiträge zum Klimaschutz leisten und die Politik mehr Anstrengungen zeigen sollten, steht außer Frage. Die Familienplanung ist jedoch in keiner Weise ein Instrument dafür.
Zur Vertiefung, zum Weiterlesen:
https://www.wikiwand.com/de/Geb%C3%A4rstreik
https://www1.wdr.de/stichtag/stichtag-gebaerstreikdebatte-berlin-100.html
https://www.deutschlandfunkkultur.de/birth-strike-movement-besseres-klima-durch-weniger-menschen-100.html