Rezension, siehe auch
Alice Schwarzer ist Trägerin vieler Preise, zweimal erhielt sie das Bundesverdienstkreuz. 2004 verlieh ihr die Bauer Verlagsgruppe den Medienpreis Die Goldene Feder. Alice Schwarzer polarisiert, hat aber unbestreitbar gesellschaftspolitische Veränderungen in Deutschland maßgeblich mitgestaltet, heißt es in der Begründung. Als erbitterte Pornografie-Gegnerin hat sie diesen Preis eines der größten Porno-Anbieter im Internet nicht abgelehnt.
Im neuen Buch gibt sie viele Antworten: Darauf, warum Pornografie um sich greift und der islamische Fundamentalismus zunimmt. Warum junge Frauen dem Schlankheitswahn verfallen und wie der Kampf gegen Prostitution erfolgreich geführt werden könnte. Es sei ihr wichtig, >über all die Power- und Karriere-Frauen die Opfer nicht zu vergessen< (S. 155). Doch trifft sie keine fundierte Analyse: Die aufgefächerte Themenpalette wird gefüllt mit persönlichen Erlebnisse und gerät zur Nabelschau. Ellenlange Zitate aus ihren alten Büchern stehen als historische Belege. Voller Eigenlob schwärmt sie von ihrer Klage gegen die sexistischen Titelbilder des Stern oder von der von ihr initiierten Stern-Titelbild-Kampagne >Ich habe abgetrieben<.(S. 125) Sie feiert ihren Versuch, ein Gesetz gegen Pornografie in Deutschland durchzusetzen, und ebenso ihren Kampf gegen Prostitution. Vor allem aber nutzt sie jedes der elf Kapitel zur Abrechnung mit der Linken. Das macht sie geschickt, immer wieder schiebt sie Seitenhiebe ein: „Die Linken haben zwar anders geredet als die Konservativen, aber gehandelt haben sie gleich.“ (gemeint ist die Familienpolitik, S. 82). Oder: „Die DDR, deren Machthaber sehr genau die westdeutsche Frauenszene beobachtet hatten, schenkten den Frauen im realen Sozialismus 1972 die Fristenlösung – in der weisen Voraussicht, dass sie sich so gar nicht erst den Ärger mit einer aus dem Protest des Abtreibungsverbots entstehenden Frauenbewegung einhandeln würde.“ (S. 77)
Wie kann eine Geschichte der Frauenbewegung geschrieben werden, ohne die unzähligen Sozialistinnen, die dafür kämpften, auch nur zu erwähnen? Kein Wort über gewerkschaftliche Kämpfe von Frauen um gleichen Lohn für gleiche Arbeit, um gesetzlichen Mindestlohn, der vor allem Frauen ermöglichen würde, aus der Leichtlohnfalle und der ökonomischen Abhängigkeit vom Mann herauszukommen. Stattdessen appelliert sie: >Frauen müssen lernen, Freude an erfolgreichen Frauen zu haben, sie zum Vorbild zu nehmen.< (S. 102) Das sind für sie Margaret Tehatcher, Angela Merkel, Ursula von der Leyen – und Domenica, Streetworkerin, Kneipeninhalberin und ihres Zeichens Wahlkämpferin für die CDU. Sie bewundert gerade diese Frauen, denn „Die Konservativen haben gar nicht erst behauptet, die Emanzipation stünde auf ihrer Agenda.“ (S. 18)
Schwarzer wettert einerseits zurecht gegen Geschlechterklischees – baut aber eigene auf: Für Krieg und Nationalsozialismus seien ausschließlich Männerbünde verantwortlich – und nicht etwa Profitinteressen der Rüstungsunternehmen. Sie behauptet, Hitler habe zuallererst die Frauenorganisationen verboten – und nicht etwa die Kommunisten und Sozialisten verfolgt, wie es historisch belegt ist. Sie zitiert die Kritik, die ihr 1971 vom Verlag „Roter Stern“ in einer Zetkin-Ausgabe entgegengebracht wurde: >Wer von Frauenbefreiung redet und den Zusammenhang im antikapitalistischen Kampf nicht einmal berührt, hätte besser geschwiegen<, ohne jede Lehre daraus zu ziehen. Doch nicht nur die Linke erhält eine falsche Darstellung im Geschichtsbild der 64-jährigen Journalistin. Wenig sachgerecht ist auch ihre These: >Es war nicht die Pille, die ab Mitte der 60er Jahre das Sexualverhalten veränderte, es war die Frauenbewegung.< (S. 87). Im Kontext lüftet sie das (angeblich nur ihr bekannte) Geheimnis, dass Willy Brandt, Bundeskanzler und langjähriger Vorsitzender der Sozialistischen Internationale, seine Frau Rut (nach dem dritten Kind) gedrängt habe, abzutreiben. Wo er doch bei der Abstimmung 1974 im Bundestag, als es um eine Reform des § 218 Strafgesetzbuch ging, demonstrativ den Saal verlassen habe. Sie versichert, sie könne das jetzt schreiben, da beide tot sind.
Einen eher flapsigen Umgang pflegt Schwarzer mit Ungereimtheiten und Widersprüchen. Mal lobt sie Papst Benedikt für seinen >sensationellen Kurswechsel< (S.55), als er gegen Gewalt im Namen Gottes und Allahs aufruft. Mal will sie ihm alle toten Frauen, die bei illegalen Abtreibungen ums Leben gekommen sind, auf den Petersplatz legen. Dann zitiert sie zustimmend einen Professor, der Sexualität junger Menschen aufgrund der Flut von Pornografie heute unlösbar mit Gewalt verknüpft sieht und verkündet sodann aus der Sexualforschung, dass Sexualität heute viel herrschaftsfreier sei als früher und Frauen viel selbstbewusster mit ihrer Sexualität umgingen.
Im Kapitel über die Hungersucht junger Mädchen behauptet sie unbeirrt um neuere Forschungen, die Essstörungen auf frühkindliche Erfahrungen emotionaler Vernachlässigung zurückführen, Hauptursache von Magersucht seien >Mode, Film, Popkultur und Werbung< (S. 107).
Es ist die große Kluft zwischen Alice Schwarzers eitel erzählter Geschichte und der Vielschichtigkeit der Frauenfreiheitsbewegungen, die das Buch zur willkommenen Waffe gegen das Studium der Bewegung machen. So ist es nicht verwunderlich, dass es sogleich von der FAZ als Fortsetzungsroman gedruckt wurde.
Zum Schluss fordert Schwarzer trotz klar abgegrenzten Haltung zu den Linken: >Schluss mit den Rivalitäten, Schwestern!< (S. 172) Es ist empfehlenswert, das Buch zu lesen als Zeugnis gegen den medial erzeugten Mythos Schwarzer als Synonym für Feminismus.