Freihandelsabkommen sind völkerrechtliche Verträge. Sie regeln die Bedingungen, zu denen Handel betrieben wird. Die meisten Menschen verstehen darunter, dass Zölle sowie ein- und Ausfuhrverbote abgeschafft werden. Damit können unter anderem Produktionsverlagerungen verhindert werden oder auch Wettbewerbsverfälschungen. Der Außenhandel wird dadurch gesteigert. Es gibt bereits circa 150 solcher Abkommen, die Deutschland unterschrieben hat.
Was gibt es derzeit für Abkommen, die verhandelt werden?
Sie tragen die Namen von Buchstaben, die Abkürzungen englischer Namen sind und werden so auch in der Presse bezeichnet. Sie heißen TTIP, CETA und TISA. TTIP soll mittelständischen Unternehmen den Marktzutritt erleichtern. Dies soll positive Impulse für die Hamburger Wirtschaft bringen.
An diesen Verhandlungen gibt es massive Kritik, die zum Teil mittlerweile auch von der Bundesregierung geteilt werden. Hauptkritik ist, dass die Verhandlungen geheim stattfinden. Die USA haben der EU sogar regelrecht verboten, US-Verhandlungspapiere an die EU-Mitgliedsstaaten zu geben. Daher wissen auch Bundestagsabgeordnete gar nicht, was und worüber genau verhandelt wird. Sie bekommen nur gefilterte und als vertraulich eingestufte Papiere. Sie würden sich strafbar machen, wenn sie diese weitergeben würden. Erst durch die unautorisierte Veröffentlichung geheimer Verhandlungsunterlagen im Internet hat die Öffentlichkeit erfahren, worum es genau geht. Und warum die Verhandlungen so geheim gewesen sind. Seitdem fordern viele, unter anderem DIE LINKE, die Verhandlungen sofort zu stoppen. Wirklich geheim sind sie zudem nicht: Über 600 Wirtschaftslobbyisten haben Zugang zu den TTIP-Dokumenten!
TTIP: Diese Buchstaben stehen für „Transatlantic Trade and Investment Partnership“ (Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft). Hierbei geht es nicht um den Abbau von Zöllen und Mengenbeschränkungen im Handel zwischen den USA und Europa. Es geht vielmehr um Gesetze, Vorschriften, Standards, Normen, Zulassungs- und Kontrollverfahren. Diese sollen in den jeweiligen Ländern so angepasst werden, damit sie Unternehmen nicht mehr behindern, ihre Waren oder Dienstleistungen zu exportieren und zu verkaufen. Oder ihre Art der Produktion überall gleich durchzuführen. Was das genau bedeuten könnten, dazu gleich mehr.
Gesetze und Vorschriften würden mit TTIP künftig so angepasst, dass sie Handel, Investitionen und Produktionsverfahren nicht mehr behindern. TTIP beinhaltet nämlich ein Investitionsschutzabkommen.
Was das bedeuten kann, dafür gibt es bereits ein aktuelles Beispiel:
Investitionsschutz – was ist das? Der schwedische Konzern Vattenfall verklagt derzeit die Bundesrepublik Deutschland wegen des beschlossenen Atomausstiegs auf rund 3,7 Milliarden Euro Schadensersatz. Vattenfall kann klagen, weil es zwischen Schweden und Deutschland bereits ein Handelsabkommen mit einer Investitionsschutzklausel gibt.
Solche Klagen werden allerdings nicht vor ordentlichen Gerichten ausgetragen und entschieden. Vielmehr in Schiedsverfahren. Konkret verhandeln drei Anwälte geheim und einigen sich. Es gibt keine Öffentlichkeit, Geschworenen, Experten oder mehrere Instanzen.
Würde TTIP abgeschlossen, könnten theoretisch 75.000 Unternehmen der USA die sowohl einen Sitz in den USA und n Europa haben, bei einem ähnlichen Fall Schiedsverfahren anrufen. Die Erfahrungen zeigen übrigens, dass nur in etwa 30 Prozent der Fälle die Staaten gewonnen haben.
Es geht aber nicht nur um Schadensersatz, der eingeklagt werden kann, sondern auch entgangene Gewinne Ein Beispiel, was das bedeuten kann:
Der Tabakkonzern Philip Moris hat den Staat Uruguay im Jahr 2010 auf zwei Milliarden Dollar verklagt, weil er strenge Rauchergesetze erlassen hat. Das sind sieben Prozent des uruguayischen Staatshaushaltes. Eine Revision gegen das Schiedsgerichtsverfahren ist nicht möglich. Philip Moris klagt auch gegen die Warnhinweise auf Zigarettenshcachteln in Australien und Uruguay.
Auch gegen Argentinien wird geklagt, als es während der Finanz- und Wirtschaftskrise Obergrenzen für die Gebühren von Strom, Gas und Wasser verfügte. Europäische Konzerne klagte. Es geth um 1,2 Milliarden Euro.
Kritiker sagen, mit TTIP wird Demokratie unbezahlbar.
TTIP soll auch den Dienstleistungsbereich liberalisieren. Das würde enorme Auswirkungen auf die Vergabe öffentlicher Aufträge haben. Zum Beispiel wenn es um den Straßenbau geht oder um Bauvorhaben. Dazu sollen soziale und ökologische Kriterien untersagt werden, wenn sie ausländische Anbieter diskriminieren. Das Hamburger Vergaberecht sieht zum Beispiel eine Tarifbindung vor. Betriebe, die öffentliche Aufträge bekommen, müssen nach einem Tarifvertrag bezahlen. Diese Klausel könnte durch TTIP erfolgreich angefochten werden.
Folgen für den Umweltschutz
- Fracking, die umstrittene Methode zur Förderung von Gas und Öl, könnte ohne Weiteres bei uns angewendet werden. Dabei werden giftige Chemikalien unter hohem Druck in die Erde gepumpt, um die Stoffe freizusetzen. In den USA ist bereits das Grundwasser ganzer Landstriche verseucht.
- Eine neue Studie legt jetzt offen, dass die Ölindustrie daran arbeitet, höhere EU-Klimaschutzstandards auszuhebeln. Es betrifft insbesondere die Einfuhr von Teersand-Öl. Dafür werden ganze Landstriche umgegraben, um die schwarze Masse zu fördern. Riesige Waldflächen verschwinden, der Wasserverbrauch ist extrem hoch.
Folgen für den Verbraucherschutz
Oft wird mit dem Chlorhuhn argumentiert, wenn es um TTIP geht. Was steckt dahinter? In den USA ist es erlaubt, gerupfte Hühnchen in einer Chlorlauge von Keimen zu befreien. In der EU ist das verboten. In der EU wird vielmehr die Bildung von Keimen dort bekämpft, wo sie entstehen, auf den Geflügelfarmen. Diese Errungenschaften könnten mit dem Standard des US-Chlorhuhns zunichte gemacht werden. Dagegen wenden sich beispielweise die Länderregierungen von Berlin und auch Bayern. Sie fordern, dass es keinen gemeinsamen Lebensmittelmarkt zwischen USA und EU gibt. Gleiches gilt nämlich auch für hormonbelastetes Fleisch oder Gentechnik. Die kann künftig unseren Honig beeinflussen, nämlich wenn Pollen Bestandteil sein dürfen, die aus Gentechnik-Pflanzen stammen. Bislang ist das in der EU nicht möglich.
Folgen für Arbeitnehmerrechte
Die USA haben nur zwei der acht ILO-Kernarbeitsnormen unterzeichnet. Unterzeichnet haben sie die
- Abschaffung der Zwangsarbeit als Disziplinarmaßnahme sowie
- Die Abschaffung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit
unterzeichnet. Nicht unterzeichnet haben sie
- die Koalitionsfreiheit
- das Recht auf kollektiv verhandelte Tarifverträge
- die Abschaffung der Zwangs- und Pflichtarbeit
- Gleicher Lohn für gleiche Arbeit von Mann und Frau
- Das Mindestalter für den Eintritt in ein Arbeitsverhältnis
- Das Verbot der Diskriminierung in der Arbeitswelt wegen Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Religion, politischer Meinung, nationaler und sozialer Herkunft
Konkrete Folgen am Beispiel der Koalitionsfreiheit: In US-Betrieben dürfen auch Nichtgewerkschaftsmitglieder entscheiden, ob Gewerkschaften im Betrieb anerkannt sind und Tarifverträge aushandeln dürfen. So wird auch die Bildung von Betriebsräten erschwert. Dieses gibt es beispielsweise bei VW in Mexiko, Brasilien oder auch Portugal, aber nicht in den USA.
Das hieße am Ende: Es wird die Form der Gewerkschaftsarbeit, wie wir sie kennen – Tarifverhandlungen, nicht mehr möglich sein.
Folgen für die Kultur
Die 150 Abkommen, die Deutschland bislang unterschrieben hat, haben die Kultur bislang ausgenommen. TTIP wird die Kultur erstmals mit erfassen. In den USA ist Kultur weniger ein Bestandteil nationaler Identität, sondern eher eine Handelsware. Was kein Geld einbringt, findet nicht statt. Wäre dies der Maßstab in Deutschland, müssten viele Theater und Museen schließen. Staatliche Förderung wäre dann nicht mehr möglich, weil sie wettbewerbsverzerrend wäre und amerikanische Unternehmen dagegen – wahrscheinlich erfolgreich – klagen könnten. Selbst der öffentlich-rechtliche Rundfunk stände auf dem Spiel. Künftig könnte Amazon Deutschland zum Beispiel Amazon verklagen, weil es hierzulande eine Buchpreisbindung gibt. Deswegen fordert selbst die Kulturstaatsministerin Monika Grütters, den Kulturbereich bei TTIP auszunehmen.
Folgen für Entwicklungsländer
Wichtig sind die Freihandelsabkommen mit afrikanischen Ländern, weil sie dort den Absatz fördern. Wenn TTIP abgeschlossen würde, könnten den afrikanischen Staaten Absatzmöglichkeiten verloren gehen.
Folgen für die USA
Auch für die USA kann TTIP negative Folgen haben, was beispielsweise die Einfuhr von Medikamenten angeht. Die Regeln dort sind viel strenger als bei uns in Europa. Von TTIP würden also auch die großen Pharma-Konzerne profitieren. Oder auch die viel schärferen Regeln für Banken und Investmentfonds. Auch die Produkthaftung ist in den USA viel höher als in Europa.
Meine Schriftliche Kleine Anfrage vom März 2014: Der Hamburger Senat hat mir auf eine Schriftliche Anfrage hin geantwortet, dass er Freihandelsabkommen für Hamburg eine herausragende Bedeutung beimisst. Sie würden den internationalen Austausch von Waren, Dienstleistungen und Kapital erleichtern. Außerdem bräuchte es international anerkannter Regeln und Standards. Der Senat habe sich dafür eingesetzt, dass die Sozial-, Arbeits-, Umwelt-, Agrar-, Lebensmittel- und Gesundheitsstandards nicht in Frage gestellt werden. Der Senat sagt aber auch, dass er die Proteste gegen TTIP aufmerksam verfolgt und sie in seine Entscheidungsfindung einfließen lässt.
Da die Proteste immer größer wurden, fanden sie endlich Gehör. Die Verhandlungen sind derzeit ausgesetzt. Der Bundesverband der Industrie befürchtet mittlerweile, dass TTIP ganz scheitern könnte und hat vorschlagen, die Schiedsverfahren bei Investitionsschutzfragen transparenter zu gestalten. Und auch aus den USA kommt mittlerweile Kritik gegen die Investitionsschutzklausel. Das Cato-Institut hat kritisiert, dass der Investitionsschutz von kreativen Anwälten genutzt werden könnte, regelrecht Beute zu machen. Somit könnte dies den freien Handel mehr behindern als fördern. Damit stellt sich das relativ bedeutende Institut gegen das US-Handelsministerium.
Es gibt übrigens ein gutes Beispiel, dass Proteste auch wirksam sein können: Das Anti-Piraterie-Abkommen Acta, das über zwölf Runden verhandelt wurde, wurde durch das EU-Parlament verworfen. Es sollte Unternehmen vor Fälschungen schützen und Urheberrechtverletzungen bekämpfen. Zunächst wurden die geheimen Verhandlungen kritisiert. Dann wurde der Verdacht geäußert, dass Nutzerinnen und Nutzer des Internets pauschal überwacht werden könnten und dadurch Persönlichkeitsrechte und Meinungsfreiheit gefährdet seien. Gefahren wurden aber auch bei der Auswahl von günstigen Medikamenten gesehen, die dann nicht mehr so leicht in Entwicklungsländern gelangen könnten. Zehntausende waren auf die Straße gegangen. Das Abkommen kam nicht zustande.
Es gibt im Übrigen auch Stimmen, die bezweifeln, dass TTIP die Wirtschaftsleistung erheblich anheben würde. Grund sind die jetzt bereits niedrigen Zollschranken, die es zwischen den USA und der EU gibt. Problematischer seien die Wechselkursschwankungen zwischen Euro und Dollar. Jan Priewe, Professor für Volkswirtschaft an der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft schlägt vor, dass sich die europäische und die amerikanische Zentralbank koordiniert vorgehen, um Schwankungen zu begrenzen.
Laut WELT vom 23. Juli 2014 steht TTIP vor dem Aus. Es sei ein Lehrstück über Fehlkommunikation und Mangel an politischem Mut. Die Debatte sei der Politik entglitten. Die Bürger hätten es mit der Angst zu tun bekommen. Auch die Snowdon-Enthüllungen hätten die Verhandlungen gestört. Ebenso wolle die EU kein Chlor-Huhn. Frau Merkel habe mäßiges Engagement gezeigt.
Wir fordern:
- Streichung des Konzern-Klagerechts aus Handelsabkommen
- Vorrang von Mensch und Natur vor Konzerninteressen
- Stärkungen von Arbeitnehmerrechten
- Mehr Mitbestimmung und Demokratisierung
- Starker Verbraucherschutz
- Keine Patentierung von Wissen
- Hohes Niveau öffentlicher Dienstleistungen
Ein Gedanke zu „Gefahren für die Demokratie: TTIP, Ceta & Co.“