Sexarbeit gehört entstigmatisiert

Als die Sozialpolitikerin Magda Langhans im Parlament über die Razzien sprach, mit denen die Ausbreitung von Geschlechtskrankheiten verhindert werden sollten, stellte dies eine ungeheure Provokation dar. Denn die Abgeordnete skandalisierte, dass die Zwangsuntersuchungen nur an Frauen durchgeführt wurden. Drei- bis viermal, so prangerte Langhans in ihrer leidenschaftlichen und zugleich gestrengen Art an, würden Frauen zur Untersuchung müssen, die Männer hingegen unbehelligt bleiben. Magda Langhans war Abgeordnete der KPD in der Hamburgischen Bürgerschaft und hielt diese Rede 1946.1

70 Jahre später werden Frauen immer noch für sexuelle Aktivitäten stigmatisiert, drangsaliert und kriminalisiert – insbesondere, wenn sie sie als Dienstleistung verkaufen. Prostitution gilt im Mehrheitsglauben immer noch als Unzucht – auch wenn sie seit 2002 in der Bundesrepublik Deutschland legal betrieben werden darf: Sittenwidrig handelt eine Prostituierte dennoch, sobald sie ihrem Gewerbe in so genannten Sperrgebieten in Großstädten wie Hamburg nachgeht. Ihr drohen Bußgelder und Arrest.

Bereits die Klassiker der Linken hatten ihre Schwierigkeiten mit Analysen und Lösungen zum Thema Prostitution. Für Clara Zetkin gehörten Prostituierte zum Lumpenproletariat. Alexandra Kollontai befand Prostitution als sittenwidrig. Sie forderte einen Arbeitszwang für Prostituierte, um sie zu befreien. Karl Marx nannte Prostituierte, Vagabunden und Verbrecher in einem Atemzug.2 Dagegen steht heute die Gewerkschaft ver.di, die eine parteiliche Sichtweise für Frauen in der Sexarbeit entwickelt hat und ihren Schutz vor Ausbeutung in den Vordergrund stellt.3„Es gibt keine Betriebsräte, keine Berufsgenossenschaften. Prostitution auf der Straße oder in der Illegalität folgt ihren eigenen Regeln, an die sich die hier Tätigen anpassen müssen. Da Prostitutionsgesetz hat Wege eröffnet, Arbeitsschutz und Arbeitsbedingungen zum Thema zu machen.“ 4

Prostitution hat viele Gesichter. Die hässlichen sind die der sexualisierten Gewalt und sexuellem Missbrauch von Kindern, Behinderten, sowie von Menschen, die Opfer von Menschenhandel geworden sind. Man wird diesen bereits seit langem strafbewehrten Tatbeständen5 allerdings nicht gerecht, wenn man jede Sexarbeit als Verbrechen darstellt. Sie werden dadurch eher relativiert. Vor allem den Frauen und Männern, die in der so genannten Armutsprostitution, bzw. auf dem Straßenstrich tätig sind, wird nicht geholfen, indem Sexarbeit im Gleichklang mit Menschenhandel und Missbrauch ertönt.

Die andere Facette der Sexarbeit sind Frauen, die selbstbestimmt ihrem Gewerbe in Wohnungen, Bordellen, Hotelzimmern oder eigenen Instituten nachgehen – entweder hauptberuflich oder als Nebenverdienst. Sie fühlen sich durch eine gesetzliche Reglementierung in der Ausübung ihrer Arbeit beeinträchtigt und befürchten Repressionen durch ihr gesellschaftliches Umfeld sowie Stalkern.

Die Große Koalition hat das Prostitutionsgesetz novelliert. Künftig soll es eine Kondompflicht geben. Prostituierte sollen sich registrieren lassen. Bordelle werden einer besonderen Erlaubnispflicht unterliegen. Unwürdige Sexpraktiken sollen verboten werden. Und: Es sind medizinische Zwangsberatungen für Frauen vorgesehen.6 Damit, so erhoffen sich die selbsternannten Wächterinnen und Wächter von Sitte, Moral und Frauenrechten, würde der illegalen Prostitution und dem Menschenhandel der Garaus gemacht. Zwar sind sich Politik, Wissenschaft und Betroffene weitgehend einig, dass das Prostitutionsgesetz von 2002 gescheitert ist: Nur wenige Sexarbeiterinnen sind auf Angestelltenbasis tätig und krankenversichert. Aber eine Verschärfung von Auflagen lehnen viele Sozialarbeiterinnen, Sexarbeiterinnen und auch Linke und Feministinnen ab.

Die aktuellen Vorstöße zum Verbot der Prostitution stützen und forcieren den Rassismus in der Gesellschaft. Durch die Öffnung der Grenzen innerhalb der EU ist der Anteil der Prostituierten mit Migrationshintergrund stark angestiegen, insbesondere Bulgarinnen und Rumäninnen gehen der Sexarbeit nach. Diese Frauen benötigen jedoch anstatt Repressionen Aufklärung über ihre Rechte. Allein die Sprachbarriere fördert gesundheitliche Gefahren und ökonomische Abhängigkeiten. Oft sind sie in scheinbar einfachsten Dingen, wie Kenntnisse über Schwangerschaftsverhütung oder Begrifflichkeiten von Körperteilen, nicht aufgeklärt.

Insgesamt ist viel zu wenig über die Akteurinnen und Akteure in der Sexarbeit, ihre Arbeitsweise und Arbeitsfelder in ihren Facetten bekannt. Nicht einmal präzise Angaben über die Anzahl von Prostituierten liegen vor. Dem wird auch dadurch nicht entgegengewirkt, dass Prostituierte sich künftig anmelden. Prostitution aus sozialer Not oder aufgrund von Menschenhandel zum Zwecke sexueller Ausbeutung wird aller Vermutung nach auch künftig im Dunkelfeld stattfinden.

Das Hauptproblem der Novelle des Prostitutionsgesetzes ist, dass sie die verschiedenen Formen der Prostitution nicht berücksichtigt. Und dass Frauen, die Opfer von Menschenhandel zum Zwecke sexueller Ausbeutung geworden sind, nur selten bereit sind, auszusagen. Die mit den Anforderungen verbundene Bürokratie kann zudem dazu führen, dass viele sichere Arbeitsplätze in Bordellen aufgegeben werden – so geschehen 2011 in Wien. Auch die Gesundheitsgefährdung dürfte steigen: Der Zusammenhang zwischen Kriminalisierung von Prostitution und der Ansteckungsgefahr von HIV/Aids gilt als nachgewiesen. Ein Drittel bis die Hälfte aller HIV-Ansteckungen könnten vermieden werden, wenn Prostitution entkriminalisiert wäre.7

Sexarbeit geht auch ohne Gewalt und Verbrechen: Die der Sexarbeit anheftende und nicht zu leugnende Anlehnung an Kriminalität und Gewalt hat mit ihr an sich nichts zu tun. Denn es geht um einen Austausch Dienstleistung gegen Geld. Aber so lange es politisch gestützte Reglementierungen gibt, wird es weiter Diskriminierungen der Menschen geben, die der Sexarbeit nachgehen.

Sexarbeit gehört entstigmatisiert und entkriminalisiert. Das Beratungssystem und die Sozialarbeit müssen besser finanziert und personell aufgestockt werden. Kontaktanbahnungsverbote und Sperrgebiete gehören abgeschafft. Gegenteilige Interessenlagen in Wohngebieten und sozialen Brennpunkten gehören an runden Tischen debattiert und dürfen nicht als Spielball Boulevardpresse und einschlägigen Medienmagazinen überlassen werden.

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