Von einer Trennung

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In Gedanken hatte ich diesen Text bereits oft geschrieben. Und wusste gleichzeitig, wenn ich eines Tages den Laptop aufklappe und das Schreibprogramm starte, werden mir die Worte fehlen. Wie schreibe ich auf, was so schwer zu erklären ist? Was ich mir eigentlich selbst nicht erklären kann? Über ein Phänomen, von dem ich nicht wusste, dass es das geben kann. Allein das Wort finde ich unpassend. Mir einzugestehen, dass es mir passiert ist. Es kam mir falsch vor und war nicht eingeplant. Weil ich die Verbindung von Liebe und Verantwortung ernst nehme. Weil ich diesbezüglich ein treuer Mensch bin. Weil ich mein Leben lang immer glücklich war, mit einer Katze zusammen leben zu dürfen. Weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass das, was einem mit menschlichen Partnern ja durchaus passieren kann, sich zu trennen, weil man sich nicht mehr liebt, auch mit einem Tier passieren kann.

Jetzt sitze ich auf meinem Sessel, mein Laptop auf dem Schoß. Die Wohnung ist leer. Wirkt groß. Wirkt still. Heute Abend werde ich ihr kein Fressen in den Napf füllen. Sie wird nicht vor mir auf dem Tisch sitzen und mich mit telepathischem Blick fixieren, damit ich das Füttern nicht vergesse. Werde morgen nicht wie üblich mit dem Swiffer über die Holzdielen schieben, um die Haare einzufangen, die sie verloren hat. Werde kein Katzenclo säubern, keine Katzenstreu-Krümel zusammen fegen. Werde ihr Schnarchen aus ihrem Körbchen  auf meinem Schrank nicht hören, wenn ich an meinem Schreibtisch sitze und an der nächsten Trauerrede arbeite. Ich sitze in meinem Sessel, in dem ich kaum gesessen habe, seit ich ihn habe, weil sie ihn als Schlafplatz auserkoren hatte. Zum Schutz seines Leders hatte ich ihn mit Wolldecken überhängt. Auf die man sich aufgrund ihrer ausgefallenen Haare nicht setzen konnte. Bürsten ließ sie sich noch nie. Biss, wenn man ihr mit der Bürste durchs Fell strich.

Ich habe meine Katze fortgegeben. Zwölf Jahre hat sie bei uns gelebt. War als Baby zu uns gekommen, da konnte sie noch nicht Miau sagen und bekam gerade Zähne. Ihre Ohren waren so groß, dass sie ihrem Gesicht etwas Clownhaftes gaben. Ein fiependes Bündel Fell, in das wir uns sofort verliebt hatten. Meine Kinder waren fast erwachsen, wenige Jahre später zogen sie aus. Wir waren dann zu dritt, die Katze, mein Mann und ich. Aus der Wohnung kam sie nie, zweite Etage. Hatte aber Klettermöglichkeiten, durfte auf Regale, Tische, in die Betten. Hatte Bälle, Kratzbaum und –bretter. Liebte das Spiel mit Papiertaschentuchpäckchen, die sie wie frisch gefangene Mäuse oder Vögel packte, schleuderte, verteidigte.

Wir lebten zusammen, wie man mit einer Katze zusammen lebt. Erfreut sich an ihrer Eleganz, lacht über ihr Spiel, wurde manchmal Teil ihres Spiels, das mal sie gewinnt, mal der Mensch. Und versorgt sie mit Futter, säubert ihren Napf, ihre Toilette, ihre Schlafplätze. Sie kratzte uns, sie biss uns. Das gehört dazu. Man ist immer auch ein wenig selbst Katze.

Ich weiß nicht, wann es angefangen hat, dass ich die Katze nicht mehr liebte. Das deutlichste Signal empfand ich, als wir 15 Tage in Kuba waren. Ich habe die Katze nicht einen Tag vermisst. Und als wir wieder zurück gekommen waren, und die Abholung aus ihrem Gastquartier erst einen Tag später erfolgte, habe die Nacht ohne sie zuhause genossen. Zwei Jahre sind seitdem vergangen.

Vor einigen Wochen konkretisierte sich der Wunsch, ohne Katze leben zu wollen. Und nicht so lange zu warten, bis sie stirbt. Ich sprach mit meinem Mann und meinen Kindern. Mir ist die Katze am nächsten. Ich bin ihre Versorgerin. Alle hatten Verständnis für meine Entscheidung. Zunächst nahm ich mit einer Katzenschutzgruppe Kontakt auf. Sie setzten ein Inserat online. Wenige Tage später rief einer an, der Interesse zeigte. Da ein weiteres Tier in diesem Haushalt lebte, kam er nicht in Betracht. Meine Katze ist eine Einzelgängerin. Die Woche drauf stellte ich ein Inserat bei Ebay ein. Kurz darauf schrieb mich eine Davina Meyer an. Sie würde Pflegeplätze vermitteln, jetzt sei einer frei geworden. Ich möge 120 Euro für einen ersten Arztbesuch mitbringen. Ein Telefonat mit der angeblichen Pflegeplatzinhaberin nährte meine bereits vorhandene Skepsis. Als ich sagte, ich würde die Wohnung gern besichtigen, zögerte sie. Ein weiteres Telefonat fand nicht statt.

Beide Male weinte ich nach den Gesprächen. Es fühlte sich falsch an. Wie Verrat. Meine Katze schien darauf zu reagieren. Fraß nicht mehr, verlor büschelweise Fell. Dass es normales, vorübergehendes Verhalten war, das sich jedes Jahr im Hochsommer zeigte, fiel mir erst später ein.

Ich trauerte. Über den Verlust, der noch keiner war. Oder doch? Über den Verlust der Liebe zu meiner Katze. Den ich nicht verstand. Sie hatte mir nichts getan. Sie war mir nah. Und gleichzeitig nicht mehr. Ich verstand mich nicht. Das hat sie nicht verdient. Ich fand mich herzlos. Schämte mich. So sehr, dass ich mich nicht traute, außerhalb meiner Familie jemandem von meiner Entscheidung zu erzählen. Aber obwohl ich nicht an Fügung oder Schicksal glaube, glaubte ich, dass es irgendwann jemanden geben würde, der meine Katze aufnehmen würde. Wo alles passte. Jemanden, der mir auch meine Schuldgefühle nehmen würde. Weil sie es woanders womöglich sogar besser hätte als bei uns. In meiner Vorstellung war dies eine Frau in meinem Alter oder älter, die gerade ihre Katze verloren hatte.

Ich glaube an Zufälle. Und daran, dass man Chancen ergreifen muss, wenn sie sich bieten. Als ich einen alten Schreibtisch bei Ebay inserierte, erhielt ich zunächst keine Resonanz. Erst als ich erneut eine Anzeige einstellte, in der ich ihn kostenlos anbot, purzelten die Anfragen in mein Postfach. Gleichzeitig hatte ich den Schreibtisch in meiner Facebooktimeline gepostet – mit dem Versprechen, einer Anfrage dort den Vorzug zu geben. Tatsächlich meldete sich eine Hamburgerin, die ich auch kannte. Doch sie war noch im Urlaub und konnte das Möbel erst die Woche drauf abholen. Zögernd sagte ich zu, und glaubte nicht so recht daran, dass sie sich an ihre Zusage hielt. Auf meine Katzenanzeige meldete sich niemand mehr.

Meine Bekannte kam dann nicht. Nicht pünktlich. Ihr Auto steckte im Stau. Als sie abends mit Ihrem Mann die Treppe hochkam, dachte ich, wie gut, dass ich die Geduld hatte. Meine Katze machte, was sie immer macht, wenn Besuch kommt. Sie rennt wie ein Hund zur Tür und begrüßt die Gäste. In diesem Moment passierte es. Die Frau sagte: Ach, wie süß. Ich sagte: Du kannst sie haben, wir möchten sie abgeben. Sie sagte, wirklich? Wir suchen ein Haustier, unsere Kinder sind jetzt alt genug dafür.

Heute haben sie sie abgeholt. Die Jungen waren mit und hingerissen von meiner Katze. Sie haben sich auch genau richtig verhalten. Sie gut beobachtet, sie nicht bedrängt. Sie hat Futter aus ihren Händen gefressen, mit ihnen gespielt. Ist dann ohne Murren in den Kleintiertransportrolley gestiegen, so wie wir es oft geübt haben für Notfälle. Denn außer ihrem Gastaufenthalt während unseres Kuba-Urlaubes und einem Arztbesuch zur Sterilisation hat sie die Wohnung noch nie verlassen, von einigen Ausflügen ins Treppenhaus abgesehen.

Ich denke pausenlos an sie. Ob sie sich ein Plätzchen zum Schlafen gesucht hat? Ob sie schon die Wohnung inspizierte? Ob sie etwas vermisst? Wir haben vereinbart, dass ich sie besuchen komme. Natürlich möchte ich die Wohnung kennenlernen. Möchte meine Katze, die sie nun nicht mehr ist, auf dem Arm nehmen.

Ich weine nicht. Es fühlt sich nicht wie Verrat an. Auch wenn ich immer noch nicht verstehe, was mit mir passiert ist. Aber ich kann mir gut vorstellen, dass sie es in dieser netten Familie gut haben wird. Und besser. Sie ist dort gewollt und erwünscht. Sie macht Menschen glücklich. Ich vermisse sie.

2 Gedanken zu „Von einer Trennung“

  1. …. so schön und traurig zugleich – wie das Leben. Ich stehe vor dem gleichen, ähnlichen Vorhaben und spüre schon jetzt die Trauer und die Leere. Sie werden kommen und dann auch wieder gehen, wenn ich den rechten Moment abwarte und die übrig gebliebene, aber jetzt einsame Katze, wirklich guten Gewissens abgeben kann.

  2. Dieser Text wühlt viel in mir auf. Ich stelle mir Fragen, die auch Du Dir gestellt hast, Kersten. Und andere. Das Schicksal, die Vorsehung, unsere eigenen Entscheidungen bringen uns mit anderen Wesen zusammen, die ihr Leben mit uns teilen, ob sie wollen oder nicht. Katzen, Hunde, Kinder, Partner. Ich stelle diese Reihe mit voller Absicht auf.
    Liebe wird oft schlicht vorausgesetzt und es kostet Mut, ihr Verschwinden zuzugeben.

    Bei Partnern ist es noch am Einfachsten. Meist ist das Verschwinden der Liebe keine einseitige Angelegenheit. Der andere ist auch ohne einen lebensfähig und eine Trennung kann deshalb mit reinem Gewissen erfolgen.

    Kinder werden groß und verlassen einen früher oder später. In meinem Fall habe ich das Glück, dass meine Liebe zu ihnen mit den Jahren eher noch gewachsen ist.

    Und wie ist es mit meiner Katze? ich habe schon vor ihr Katzen gehabt. Meine erste habe ich zu Freunden aufs Land gegeben, weil mein Mann und sie sich nicht ausstehen konnten – und weil sie es dort auch besser hatte. Sie war drei Jahre alt.
    Meine zweite ist mit 15 Jahren an einem Tumor gestorben, heiß geliebt und schmerzlich vermisst.
    Meine dritte liebte meinen Gefährten mehr als mich und ist folgerichtig nach der Trennung mit ihm von mir gegangen. Ich vermisste meinen Echnaton anfangs noch sehr, aber war getröstet durch sein neues Leben am Waldrand.

    Meine jetzige Katze hab ich aus dem St. Franziskus Tierheim. Sie galt als nicht vermittelbar. Schwer gestört, weil schwer misshandelt. Sie war 6 Jahre alt, als sie zu mir kam und wir beide sind seit 2 Jahren inzwischen kaum ohne einander vorstellbar.
    Wird meine Liebe zu ihr verschwinden?
    Ich denke nicht.
    Das macht mich nicht zu einem besseren Menschen. Ich habe einfach das tiefe Gefühl, dass diese Katze für mich bestimmt ist – und umgekehrt.

    Es ist schön, dass deine Katze eine gute Familie gefunden hat. Ihr Weg ist noch nicht zu Ende, das ist sicher ein großer Trost für dich.

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