50 Jahre pro familia Hamburg

©HeikeGünther

Das war ein toller Tag: Über 150 Gäste waren ins Hamburger Rathaus gekommen, um mit uns unser Jubiläum zu würdigen. Hier ist die Presseerklärung der Gesundheitsbehörde dazu, hier der Bericht im Hamburg Journal und hier Rede, die ich auf dem Senatsempfang gehalten habe, im Wortlaut – und hier kann das Video dazu gesehen werden:

Liebe Abgeordnete der Hamburgischen Bürgerschaft, sehr geehrte Frau Senatorin Prüfer-Storcks, liebe Stefanie Schlitt, liebe Gäste des heutigen Empfangs,

wir sind ganz unbescheiden, wenn wir sagen: Wir lassen uns heute gerne loben und feiern!

Und es ist schön, dass viele Ehemalige – Vorstandsmitglieder und langjährig Beschäftigte – heute ebenfalls hier sind. Alle haben ihren Teil dazu beigetragen, dass pro familia Hamburg eine gewichtige Stimme hat, wenn es um Sexualpolitik geht, und die wichtigste Anlaufstelle für Menschen ist, die Unterstützung bei der Familienplanung suchen.

Und es ist heute vor allem eine Feier für die Beschäftigten: Die Freie und Hansestadt Hamburg würdigt Eure Arbeit. Und auch der Vorstand des Vereins sagt Danke für das, was Ihr für die Menschen tut. Ich bin immer wieder beeindruckt von Eurer Fachkompetenz aber auch von Eurer Menschlichkeit, mit der Ihr die Themen angeht. Danke dafür.

Ich möchte aber auch unserer einzigartigen, tollen Geschäftsführerin Kerstin Falk danken, die seit 17 Jahren dafür sorgt, dass der Laden läuft. Und das war nicht immer einfach! Danke, Kerstin!

Nun haben sich die Fragen der Geburtenkontrolle und der sexuellen Bildung in den letzten 50 Jahren stark verändert – alles andere wäre ja auch schrecklich – aber im Grunde genommen geht es heute wie damals um etwas ganz einfaches:

Wie können Menschen selbstbestimmt Sexualität erleben. Es gilt dafür das gleiche wie für so vieles, was man erst lernen oder gestalten muss:

• Aller Anfang ist schwer;
• Übung macht den Meister, die Meisterin;
• Erlaubt ist, was gefällt.

Oder, um es mit der 91-jährigen deutsch-amerikanischen Sexualtherapeutin Ruth Westheimer zu sagen: „Schiebt sexuelle Erfahrungen nicht auf die lange Bank.“

Insbesondere Frauen wird seit Jahrtausenden das Recht abgesprochen, über ihren Körper und ihre Lust selbst zu entscheiden. Die Spirale hat eine erst ungefähr 100-jährige Geschichte, erst seit Anfang der 60er Jahre gibt es die Pille. Und erst seit wenigen Jahren ist die „Pille danach“ hierzulande rezeptfrei. Das ist auch mit ein Verdienst von pro familia.

Und dass die Sexualaufklärung heute nicht mehr unter der biederen Überschrift „Woher kommen die kleinen Buben und Mädchen?“ steht, hat ebenfalls viel mit uns zu tun.

Ohne uns, und da übertreibe ich glaube ich nicht, wären Lust und Liebe in diesem Land sehr viel prüder.

Und durch die Proteste gegen den § 219a StGB wurde erstmals breiten Teilen der Gesellschaft, besonders den Jüngeren zwischen 20 und 30 Jahren, deutlich, dass es ihnen nicht allein überlassen ist, ob und wann sie Kinder bekommen.

Wir haben im letzten Monaten richtig viel bewegt ist dieser Frage. Wir haben den 219a zwar nicht abgeschafft – noch nicht – aber wir haben breite Teile der Gesellschaft aufgeklärt. Und ich möchte mich heute sehr gerne bei Senat und Bürgerschaft dafür bedanken, dass wir in dieser Frage Eure und Ihre volle Unterstützung hatten. Und haben. Wir brauchen sie auch weiterhin.

Wir möchten bereits Heranwachsende darin bestärken, auszuprobieren, zu experimentieren und ihre Erfahrungen zu sammeln. Dafür bedarf es starker und schlauer Kinder. Sexuelle Bildung ist ein wichtiger Teil der Persönlichkeitsentwicklung. Sie muss altersgerecht sein und ist übrigens auch die beste Prävention gegen sexuelle Grenzverletzungen und sexualisierte Gewalt.

So wissen viele Jugendliche heute aber doch schon ganz gut darüber Bescheid, dass es nicht nur zwei Geschlechter gibt. Und sie wissen oft auch, dass das, was in Pornos gezeigt wird, nicht der Wirklichkeit entspricht. Vor allem die Körperwahrnehmung von Mädchen und Frauen hat sich stark gewandelt.

Aber, Jugendliche haben immer noch die gleichen Fragen, wie ihre Mütter, Väter und Großeltern, als sie jung waren. Und dabei ist es völlig egal, aus welchem Kulturkreis sie kommen oder welcher Religion sie angehören.

Fragen wie

„Sind meine Brüste richtig?“
„Ist mein Penis zu klein?“
„Wie schmeckt Sperma?“
„Kann ich von Küssen schwanger werden?“
„Bin ich eigentlich normal?“

… werden immer und immer wieder gestellt. Und verlangen, mit Ernsthaftigkeit und Ehrlichkeit beantwortet zu werden. Und mit Beginn der Pubertät erfahren viele zudem ja auch, ob sie eher auf Jungs oder Mädchen stehen.

Dass das immer noch eine sehr problematische Sache ist, zeigt die immer noch überdurchschnittlich hohe Suizidrate bei homosexuellen Teenagern.

Verändert hat sich allerdings, dass die typischen Fragen zur Sexualität und zum eigenen Körper immer früher gestellt werden, so dass wir heute schon Angebote für vierte Klassen vorhalten.

Unsere Teams sind außerdem fortwährend damit beschäftigt, sich selbst zu hinterfragen. Um diskriminierungsfrei mit Menschen zu arbeiten, die etwa eine Migrationsgeschichte haben.

Wir sind daher auch sehr froh, das wir Sprachmittler*innen ausbilden konnten. Denn in vielen Kulturkreisen ist das, was wir hierzulande unter Beratung verstehen, nicht existent. Und in manchen Sprachen gibt es gar keine Worte für Vagina oder Vulva.

Wir sind auch gut vernetzt in der Stadt. Und ganz besonders glücklich sind wir darüber, dass mit dem Fachdialog-Netzwerk, für dieses Modelprojekt war Hamburg einer von acht Standorten – eine Struktur geschaffen wurde, die die Versorgung für schwangere Geflüchtete verbessert.

Doch vor allem unsere Beratungsarbeit nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz ist der Bereich, durch den pro familia vorwiegend bekannt ist.

Man kommt zu uns, wenn eine ungeplante Schwangerschaft nicht fortbestehen soll. Und die Erfahrungen hierbei sind: Die meisten Frauen wissen dann bereits, dass sie die Schwangerschaft nicht fortsetzen wollen.

Gute Beratung setzt immer Freiwilligkeit voraus. Die Pflichtberatung ist ein Anachronismus. Viele, die uns aufsuchen, sind daher zu Recht skeptisch und misstrauisch.
Und immer noch ist es so, dass viele glauben, sie bekämen den Beratungsschein – ohne den ein Abbruch ja strafrechtlich verfolgt werden würde – nur, wenn sie gute Gründe für ihre Entscheidung angeben.

Den Raum trotz dieser Zwangssituation zu öffnen, erfordert Fingerspitzengefühl, sehr viel Professionalität und Zeit. Denn natürlich ist es hilfreich, wenn sich eine Schwangere beraten lässt. Und wir wissen, dass keine Frau leichtfertig abtreibt. Wer anderes behauptet, lügt – und handelt in anderer Mission.

Pro familia setzt sich auch seit vielen Jahren für kostenlose Verhütungsmittel ein und wir sind froh, dass es nun – übrigens fast auf den Tag genau seit einem Jahr – die Möglichkeit endlich auch in Hamburg gibt.

Aber, es war ein langer Weg. Bis die Regularien geklärt waren, sind fast zwei Jahre nach dem Beschluss der Bürgerschaft vergangen. Und da wir wissen, dass finanzschwache Frauen oft auf billigere und weniger sichere Verhütungsmittel ausweichen oder gar nicht verhüten, war dies aus unserer Sicht eine mehr als verlorene Zeit.

Wir haben mit Notlagen zu tun. Und diese Notlagen haben bei uns immer ein Gesicht.

Und wir wollen, dass Familienplanung nicht vom Geldbeutel abhängig ist. Und grundsätzlich sowohl die Kosten für Schwangerschaftsabbrüche wie auch für Verhütungsmittel eine Leistung der Krankenkasse sind. Schwangerschaftsabbrüche müssen unserer Auffassung nach zudem ganz aus dem Strafgesetzbuch raus.

Wir werden also auch künftig sicherlich noch viele Vorschläge und Forderungen an Bürgerschaft und Senat richten.

Heute feiern wir das bisher Erreichte hier im Hamburger Rathaus. Danke für die Einladung, Frau Senatorin.

Herzlichen Glückwunsch, pro familia Hamburg, zum 50. Geburtstag!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert