veröffentlicht im pro familia-Magazin 2/21
Kristina Hänel hat alle Informationen für ungewollt Schwangere von ihrer Website genommen. Sie tat das nicht freiwillig. Sie ist nunmehr rechtskräftig verurteilt, gegen den § 219a StGB verstoßen zu haben. Dennoch hat sie gewonnen: Ihre Petition war 2017 Start einer neuen Bewegung, die den 219a in wenigen Wochen in den Mainstream der Medienberichterstattung rückte – und damit umgehend in die Schaltstellen der Politik, Parlamente und Ministerien, gelangte. Zehntausende haben Hänel dabei unterstützt.
Es war höchste Zeit: Die Uhr für sichere Schwangerschaftsabbrüche steht auf fünfvorzwölf: Die Anzahl an Kliniken, Einrichtungen und Praxen, die Abbrüche durchführen, ist seit 2003 um 40 Prozent auf 1.200 gesunken. Im Medizinstudium kommt der Schwangerschaftsabbruch nur am Rande vor – erst jetzt ist geplant, Leitlinien dafür zu erarbeiten.
Parallel wurde bekannt, wie strategisch Abtreibungsgegner agieren und verankert sind. Einige Beispiele: Als „Märsche für das Leben“ titulieren sie ihre religiösen Demonstrationen. Sie belästigen vor pro familia Beratungsstellen Ratsuchende und vor Arztpraxen Patientinnen. Sie versuchen auf EU-Ebene Einfluss auf Gesetze und Forschungsvorhaben zu bekommen. Auch im Bundestag haben sie bewirkt, dass Gesetzesanträge auf Streichung des 219a von Linken, Grünen und SPD keine Mehrheit fanden: Die damalige SPD-Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles zog im März 2018 ohne Rücksprache mit ihrer Fraktion deren Antrag zurück. Nahles ist Mitglied im Zentralkomitee der Katholiken Deutschland.
Warum haben Kristina Hänel und die Pro-Choice-Bewegung dann trotzdem gewonnen? Vor allem aus zwei Gründen: Die Bewegung besteht fort und bietet gerade Jüngeren erstmals eine Plattform, individuellen Protest gemeinschaftlich auszudrücken. Und: Nach ihrer rechtskräftigen Verurteilung konnte Kristina Hänel das Bundesverfassungsgericht Ende Februar 2021 anrufen. Dies ist nach dem kläglichen Scheitern des Bundestages der zweite Weg, den 219a zu kippen.
Die Aussichten, dass beide Ärztinnen, Kristina Hänel und Bettina Gaber (die Ende 2019 Verfassungsbeschwerde einreichte), in Karlsruhe Recht bekommen, stehen gut: Die Bestimmungen des § 219a StGB verstoßen gegen die grundgesetzlich garantierte freie Berufsausübung von Ärzt:innen und sie verletzen Grundrechte auf Patienteninformationen. Zudem erfüllen die Bundesländer ihren Versorgungsauftrag aufgrund des 219a nicht mehr. Denn er hält nachgewiesen Ärzt:innen davon ab, Schwangerschaften abzubrechen.
Machen wir uns aber nichts vor: Es tobt ein uralter gesellschaftlicher Kampf um die Deutungshoheit, wann menschliches Leben beginnt und wer das Recht hat, es zu beenden. Und obwohl religiöse Auffassungen und auch das Rechtsverständnis der Nazis diesbezüglich längst nicht mehr mehrheitsfähig sind, ist deren Gedankengut noch in unseren Gesetzen verankert und finden sich auch in alten Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts wieder. Körperliche und sexuelle Selbstbestimmung stehen als Rechtsgüter dagegen. Und die Vernunft: Abtreibungsverbote verhindern keine Abbrüche, sondern machen sie unsicherer und gefährlicher. Oder anders gesagt: Wer Abtreibungsverbote will, nimmt den gesundheitlichen Schaden Schwangerer billigend in Kauf. Deswegen muss zunächst der 219a gestrichen werden. Und dann der 218.