Den Fallen des Parlamentarismus getrotzt
Kersten Artus hat die eindrucksvollen Reden der Hamburger KPD-Politikerin Magda Langhans veröffentlicht
Von Anja Röhl
Meine Herren und Damen!« – so begann Magda Langhans (1903–1987), eine Abgeordnete der KPD im Hamburger Rathaus, jeweils ihre Reden. In bewußter Umkehrung der geläufigen Floskel gab sie hier aus Höflichkeit zuerst die Herren an. Langhans war schon 1932 ins Parlament der Hansestadt gewählt worden. In der Nazizeit leistete sie Widerstand und verbrachte sechs Jahre im Zuchthaus. 1946 wurde sie erneut Mitglied der Bürgerschaft und wirkte dort bis 1952 erneut als einzige Kommunistin.
Parlamentarischer Kampf ist vielen Linken ein Dorn im Auge, weil sie seit Einführung desselben immer die gleichen negativen Erfahrungen damit machen: Er hält nicht, was er verspricht. Er soll Garant der Demokratie sein, aber er scheint wirkliche Demokratie, nämlich den Einfluß des Volkes auf die Entscheidungen der Mächtigen und Großen eines Landes, eher zu verhindern. Angesichts des Lobbyismus der Besitzenden und Wirtschaftslenker sind Parlamente oft nicht mehr als eine »Spielwiese«, ein heuchlerisches Aushängeschild, das die wahren Herrschaftsverhältnisse verschleiert.
Dennoch gibt und gab es immer wieder Parlamentarierinnen und Parlamentarier, die es geschafft haben, auch in diesem Umfeld in wirklich demokratischem Sinne wirksam zu sein, sich nicht bestechen und durch zermürbende Ausschußarbeit kleinkriegen zu lassen. Die die Interessen der kleinen Leute, der abhängig Beschäftigten oder Nichtbeschäftigten, der Ohnmächtigen gegen die Mächtigen immer wieder vertreten und manchmal sogar durchgesetzt haben. Eine davon ist Magda Langhans, nach der heute in Hamburg keine einzige Straße benannt ist.
Kersten Artus, eine politische Enkelin, Abgeordnete der Linksfraktion und Vizepräsidentin der Hamburger Bürgerschaft, hat anläßlich des 25. Todestages der Politikerin jetzt eine Sammlung von Auszügen der von Langhans zwischen 1946 und 1952 gehaltenen Parlamentsreden in einer Broschüre herausgebracht und dieser einen spannenden biographischen Abriß vorangestellt. Es handelt sich bei den Ansprachen ausnahmslos um konkrete Beschreibungen der Nöte verschiedener Bevölkerungsgruppen, und jedes Mal ist dieser Beschreibung ein konkreter Antrag beigegeben, um Abhilfe zu schaffen. Das Buch ist ein erschütterndes Dokument über das Ringen fortschrittlicher, eben erst vom Faschismus befreiter Menschen, die in der Nachkriegszeit erleben mußten, wie genau der Demokratie, die der Parlamentarismus zu bringen versprach, in dieser und mittels dieser Institution auf kalte Weise der Garaus gemacht wurde.
Während Magda Langhans das Elend in den Hamburger »Nissenhütten« schildert, wo Flüchtlinge auf den feuchten Fußböden schlafen mußten, so daß Seuchen grassierten, machen sich ihre Parlamentskollegen über sie lustig und unterbrechen ihre Rede mit hämischen Zwischenrufen. Dezidiert beschreibt sie die Probleme von Frauen, Arbeitslosen, Alten, Kindern. Die Reden sind somit ein einzigartiges Dokument der Lebenssituation breiter Bevölkerungsteile in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Langhans stellt das wenige, das man bräuchte, um Not zu lindern, dem gegenüber, was etwa für repräsentative Prachtbauten ausgegeben wurde. Den Marshallplan entlarvt sie als etwas Ähnliches wie das, was uns heute als »Griechenland-Hilfe« verkauft wird: als Betrug, zu nichts anderem gut, als die eigenen Überschüsse loszuwerden und Krisen auf Kosten der Armen zu bewältigen.
Die Reden zeugen außerdem vom Kampf einer Frau, die das Wohl des Volkes wirklich ernst nahm, einer echten Volksvertreterin. Und sie geben Einblick in das ebenso antisoziale wie misogyne Milieu, in dem sie sich durchbeißen mußte: Die Kollegen reagierten stets höhnisch, verächtlich und schließlich mit Verbot und Ausgrenzung.
Magda Langhans war sich der Tatsache bewußt, daß ein Parlament noch keine Demokratie macht und daß sich Parlamente meist nur dann bewegen, wenn der Druck von draußen, der Kampf auf der Straße, stark genug ist – und wenn als Voraussetzung dafür vor Ort aufgeklärt wurde über Zustände, wenn Streikende und Benachteiligte Unterstützung bekamen. Die Reden der Kommunistin zeugen davon, daß sie die Leute in den Nissenhütten besucht hat, daß sie direkt versucht hat, etwas für arme Frauen und Kinder zu tun. Von ihr können heutige linke Abgeordnete lernen, wie man der Gefahr widersteht einzuknicken, sich im Schlagabtausch der Meinungen zu verlieren und sich so immer mehr von der Lebenssituation der Bevölkerung zu entfernen.
Junge Welt, 25. Mai 2012