Update vom 7. Januar 2015 am Ende des Textes
Am Ende des Tages waren wir nur noch erschöpft. Draußen war es noch hell, obwohl die Uhr bereits 23.30 anzeigte. Sieben Termine hatte wir in zwölf Stunden hinter uns gebracht. Das bedeutete: Rein in den Bus, über die Straßen brettern, raus aus dem Bus, ein Treppenhaus hoch, Hände schütteln, hinsetzen, aufmerksam zuhören, Fragen stellen, Mitschreiben, ein paar Fotos machen, Visitenkarten mitnehmen. Und nicht vergessen: “Danke, dass Sie sich für uns Zeit genommen haben!” Treppenhaus runter, rein in den Bus.
Unser erster Termin am Dienstag war ein Besuch bei der Tageszeitung „St. Petersburg“. Sie wird kostenlos herausgegeben, ausschließlich Leute um die 30 und darunter saßen in einem engen Redaktionsbüro und tippten in ihre Rechner. Wir fanden in der aktuellen Ausgabe eine Meldung samt Foto über unseren Aufenthalt in der Stadt.
Anschließend fuhren wir zum gleichnamigen staatlichen Fernsehsender. Er produziert ein Komplettprogramm. Wir durften in die Studios und Redaktionsbüros.
Die dritte Etappe: Eine Besichtigung des 250 Jahre alten Jusspow-Palastes. Die Adelsfamilie, die dort gelebt hatte, soll reicher als die Zaren gewesen sein. Auch sie wurde 1917 aus dem Land gejagt. Vorher wurde Rasputin in dem Kellergewölbe ermordet – die Geschichte von dem einflussreichen Heiler aus der Bauernklasse kennt man ja.
Der Palast ist heute ein Museum, er kann aber auch für Veranstaltungen gemietet werden. So feierte in dem ursprünglich für die Familie ausgestatteten prunkvollen Theater vor Kurzem der ehemalige Bundeskanzler Schröder zusammen mit dem russischen Staatspräsidenten Putin sowie einigen Wirtschaftseliten aus Deutschland und Russland seinen 70. Geburtstag.
Die beiden Parteien, die wir danach besuchten, waren die Liberal-Demokraten und „Gerechtes Russland“. Anschließend erhielten wir einen Einblick in eine weitere Facette der Medienwelt der Stadt: Bei einem Gespräch mit Journalistinnen der privaten Nachrichtenagentur baltic info.
Kurz gesagt war unsere Erkenntnis: Die Medien des Landes werden entweder voll oder zum Teil vom Staat finanziert, auch durch die Übernahme von Druck und Papier. Die Regierung bezahlt auch nach Themen, die sie in Auftrag gibt, etwa zur Städteplanung. Gazprom ist ein großer Werbekunde. Einer der Journalisten sagte immerhin, dass er sich einen unabhängigeren Journalismus wünsche. Und charismatischere Kollegen.
Der Besuch bei den vier Parteien erfolgte laut Protokoll „auf unseren ausdrücklichen Wunsch“ und wurde von offizieller Seite als „privater Teil“ unseres Besuches angesehen. Die Unterschiede zwischen Liberal Demokraten, Kommunisten, Jabloko und Gerechtes Russland sind in den Gesprächen durch diese Besuche sehr deutlich geworden. Die Differenziertheit hätten wir niemals so erfahren, wenn es nur Runden mit der Gesetzgebenden Versammlung gegeben hätte. Zumal sie in ihren eigenen Räumen nach meinem Eindruck auch „freier“ redeten, und nicht dem direkten Konkurrenzdruck ausgesetzt gewesen waren.
Auffällig fand ich, dass sich die regionalen Vertreterinnen aller Parteien sehr intensiv mit den Themen ihrer Stadt befassen. Das sind vor allem Stadtgestaltung und Sanierung. Aber auch die Bekämpfung von Vetternwirtschaft und Korruption tauchte immer wieder auf.
Erst auf unsere gezielten Fragen nach Freiheitsrechten – Versammlungsrecht, Leben der sexuellen Vielfalt, Arbeitsweisen der NGOs, erhielten wir dazu Auskünfte und Meinungsbilder. So sind Lesben und Schwule für die Liberal Demokraten „nichttraditionelle Minderheiten“. Eine Haltung, die uns auch bei der privaten Nachrichtenagentur balticinfo begegnete: Was wäre, wenn es plötzlich eine Parade von Alkoholikern geben würde?, kam es ohne einen Ansatz von Ironie oder Aggression zurück, als wir nach dem Propagandaverbot für Homosexualität fragten.
Kann ich Bilanz ziehen? Es war richtig, zu fahren. Mit Multiplikatoren und PolitikerInnen reden, die Ansichten erfahren und auch die Motive, die dahinter stehen. Gespräche sind aber nur ein Ausschnitt vom Ganzen. Und die Aussagen hängen immer auch von konkreten Personen ab. Oder davon, was man fragt und was nicht.
Ich habe auf meinen nun insgesamt drei Auslandsreisen für die Hamburgische Bürgerschaft in diesem Jahr – Shanghai, Minsk, St. Petersburg – praktische Regeln der Diplomatie anwenden können: Anderen mit Respekt begegnen. Mit Fragen Themen zu setzen. Authentisch bleiben, aber nicht besserwisserisch rüberzukommen. Auch wenn man es besser weiß. Man sieht sich immer ein weiteres Mal.
Und auch die „andere Seite“ lernt von dem, was wir repräsentieren. So wurde ein Gespräch von der Frage einer Gastgeberin geprägt, ob wir alle Sozialdemokraten seien. Weil wir freundlich miteinander umgingen, dachte sie nicht, dass wir politische KontrahendInnen seien. Wir versicherten, dass wir „auf Knopfdruck“ bestens miteinander streiten könnte, sie könne probeweise ein Thema vorschlagen.
Eine andere Russin wünschte uns eine erfolgreiche Wahl, als wir erwähnte, dass nach der Sommerpause der Wahlkampf bei uns einsetzt. Als wir zurückfragten: „Wem denn?“, stockte sie und sagte schließlich: „Ihnen allen.“
7. Januar 2015: Hier ist der Bericht der Bürgerschaft über die Delegation nach St. Petersburg
Danke für Deinen interessanten Bericht aus St. Petersburg. Vor vielen vielen Jahren habe auch ich einmal die “weißen Nächte ” in Petersburg erlebt. Man fühlt sich high und fast beschwipst.
Wie sind Deine Sommerpläne? Können wir uns bald mal sehen?
Sei lieb gegrüßt,
Johanna