Wir sind wieder einmal nach Bremen gefahren, diesmal zu viert: Opa, Oma, Mama, Enkel-Sohn. Der Anlass: Die Tochter meiner kleinen Schwester wird getauft. Es ist das erste Mal, dass mein Enkel eine religiöse Zeremonie erlebt. Wir üben auf der Bahnfahrt nach Bremen den Namen „Emma“. Er kann ihn zwar schon, weil ein Kind aus seiner Kita so heißt. Ob er deswegen auch seine Cousine so nennen wird, ist fraglich.
Sein Sprechen ist eigen. Mein Mann ist „Houlga“, meine Tochter und meinen Schwiegersohn nennt er beide „Papa“. Mein Sohn heißt bei ihm “Phile”. Ich werde so ähnlich wie „Dete“ genannt. Sich selbst bezeichnet er als „Oka”. Das Nachbarskind, das ein halbes Jahr älter ist als er, nennt ihn so. Alles, was rund ist, wird “Ball” gerufen. Viele Tiere kann er bereits auseinander halten: Hund, Katze, Kuh, Pferd, Schwein, Vogel, Hase – mein Enkel macht die Tiergeräusche nach, was sich herzich anhört, vor allem bei der Katze (“Datze”). Er reißt den Mund weit auf und dann kommt ein etwa zwei Sekunden langes „maaaa“. Beim Schwein grunzt er, beim Pferd kommt eine Art wiehern, jeder Hund, den er auf einem Bild sieht oder der an ihm vorbeikommt, wird mit „wa-wa“ kommentiert. Da Hasen keine Geräusche von sich geben, bleibt es bei „Hase“. Jetzt lernt er, dass es zwei Emmas in seinem Leben gibt.
Wir haben uns schick gemacht, tragen weiße Leinenhosen. Da wir laut Wetteransage gerade einen Hitzerekord erleben, ist das eine gute Entscheidung gewesen. Dass seine Hose am Ende des Tages mehr grau als weiß aussieht, war uns klar. Das macht nichts.
Die Bahnfahrt dauert um einiges länger als sonst, weil „Personen im Gleis“ sind. Als wir endlich ankommen, schläft der Kleine. Das ist vielleicht auch ganz gut so, so eine große Feier ist anstrengend, für alle.
In der Kirche, in der das heutige Ritual stattfindet, wurde auch ich getauft. Auf dem Friedhof liegen meine vier Großeltern, mein Onkel und meine Mutter begraben. Neben den Beerdigungen und meiner Taufe 1964 fand 1978 auch meine Konfirmation hier statt. Es ist ein spirituelles Erlebnis für mich, diese Kirche zu betreten, auch wenn ich schon vor Jahren aus der Religionsgemeinschaft ausgetreten bin. Ich mag diese Kirche, weil sie für mich viele Zäsuren symbolisiert.
Mein Enkel vertreibt sich die Zeit bis zum Beginn des Taufaktes mit Grabräuberei: Er sammelt Kiesel ein und reicht sie uns. Wir legen sie – von ihm unbemerkt – zurück. Als er endlich das Baby sieht, sagt er wirklich “Emma”! Meine Nichte sieht entzückend aus: Sieht trägt Ton-in-Ton mit meiner Schwester. Mit ihren großen Augen schaut sie gelassen auf die vielen Menschen. Auch die Taufe macht sie toll mit. Mein Enkel rennt im Gotteshaus herum, es sind viele Kinder dabei, die sich alle zwanglos in der Kirche bewegen. Schön, dass sich die Zeiten diesbezüglich geändert haben. Der Pastor lädt alle Kinder ein, bei der Taufe vorn ans Becken zu kommen. Einige haben ihre Taufkerze mitgebracht, sie werden angezündet. Der zweite Täufling des heutigen Tages kann bereits krabbeln, er bewegt sich auf allen Vieren durch die Sitzbänke, was der Pastor locker in seine Worte einbaut. Mein Enkel geht auch nach vorn, entscheidet sich dann für den Schoß meines Vaters, der in der ersten Reihe sitzt. Interessiert betrachtet er dessen große, muskulöse Arbeiterhände. So was hat er noch nie gesehen!
Früher dachte ich, ein Kind hat keinen Namen, wenn es nicht getauft wird. So hatte man mir den Sinn der Taufe erklärt. Wie das wohl wäre, dachte ich, wenn man immer „Ey, Du da!“ gerufen wird, weil man keinen Namen hat. Ich war froh, getauft zu sein. Wir haben Emma ein Gedicht von Janusz Korczak gewidmet. Es ist eines der schönsten Gedichte für Kinder, wir hatten es 1988 auch auf die Geburtskarte unserer Tochter geschrieben.
Als wir den Rückweg antreten, nieselt es. Kurz bevor wir den Bahnhof Oberneuland erreichen, schüttet es. Die Nässe ist warm und stört nicht. Als wir in Hamburg ankommen, diesmal pünktlich, weil keine „Personen im Gleis“ sind, sind wir getrocknet.