Es ist keine Weihnachtsgeschichte, es ist eine normale Geschichte. Und doch ist sie es nicht, denn wenn eine Sarah Connor oder ein Kai Diekmann Flüchtlinge aufnehmen, kann sich das jeder gut vorstellen, sie haben ja viel Platz in ihren großen Häusern. Wenn aber eine Alleinerziehende und ihr Sohn gleiches tun, ist es außergewöhnlich. Von dieser Familie handelt diese Geschichte.
Dass es so zeitintensiv würde, hätte Manuela Pagels (55) nicht gedacht, als sie die Idee hatte, eine syrische Familie aufzunehmen. „Mir taten die Menschen einfach Leid, die tagtäglich am Hamburger Hauptbahnhof stranden. Ich habe mir vorgestellt, wie es mir ergehen würde, wenn ich mit meinen Sohn hätte flüchten müssen.“ Manuela wollte daher das wenige, was sie hat, teilen. Sie ist Aufstockerin, weil ihr Lohn, den sie als Reinigungskraft verdient, zum Leben nicht reicht. Zusammen mit Ibo (10) lebt sie in einer Erdgeschosswohnung in der Eimsbütteler Lenzsiedlung. Drei Zimmer, Küche, Bad, kleine Terrasse – das ist ihr kleines Reich, das sie teilen wollte.
„Wir räumten um, Ibo stellte sein Zwölf-Quadratmeter-Kinderzimmer zur Verfügung. Einige seiner Lego-Heiligtümer zogen mit aus, die teilt er mit niemandem. Dann fuhren wir zum Hauptbahnhof.“ Es war Oktober, die Herbstferien hatten in Hamburg begonnen.
Dort angekommen wurde Manuela allerdings unsicher. Wie sollte sie eine passende Familie finden? So viele Menschen kamen hier an, standen an den Zelten des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. War es doch eine Schnapsidee, sollte sie einfach wieder in die U-Bahn steigen und nach Hause fahren? „Schließlich sah Ibo einen gleichaltrigen Jungen. Und da er einen Ägypter als Vater hat, spricht er ein bisschen arabisch. Es stellte sich heraus, dass der Junge mit seiner Mutter Ouschina (35) und zwei weiteren Geschwistern gerade eben angekommen und völlig erschöpft waren.“, erzählt sie.
„Mit Händen und Füßen und der Unterstützung von Ibo erklärte ich der Frau, dass wir sie gern mitnehmen würden. Ich habe sie überzeugen können, dass das ein seriöses Angebot war. Wir zeigten ihnen das Bad, die vorbereiteten Betten, wo die Handtücher liegen. Zunächst haben sie geduscht – das erste Mal seit zwei Wochen. Dann haben wir ihre Sachen in die Waschmaschine gesteckt. Da Ouschina auf der Flucht Koffer, Pässe, Visum, Handy und Geld geklaut worden waren, hatten sie und die Kinder nichts anderes anzuziehen, als das, was sie am Leib trugen. Also lief ich durch unser Treppenhaus, klingelte bei den Nachbarn, suchte passende Pullover, Hosen und Unterwäsche zusammen.“
Manuela hatte mit ihren Gästen mehr als alle Hände voll zu tun: „Ich hatte die Betreuungsintensität völlig unterschätzt. Man kann nicht mal weggehen und sagen: Dann macht mal. Die Kinder haben sich schnell eingelebt. Aber Ouschina hat gefühlt erst einmal drei Tage lang geschlafen. Ich kümmerte mich um die Kinder. Ich hatte mir zum Glück während der Ferien Urlaub genommen.“
Um sich mit der Familie besser zu verständigen, lud Manuela ihren Ex-Mann und andere arabisch sprechende Freunde ein. So erfuhr sie erstmals mehr über die Hintergründe der Flucht und über die Lebensbedingungen in Syrien – und war überrascht: „Es sind nicht die armen Leute, die die Flucht nach Europa wagen. Dass eine Flucht 10.000 Euro pro Person kostet, war mir gar nicht klar. Ich dachte, jetzt hast du eine Prinzessin im Hartz-IV-Haushalt. Und es war gleichzeitig völlig egal, denn Not ist Not.“
Zwei Wochen lang blieb die Familie bei ihnen, dann zog sie in eine Unterkunft: „Sie wollen ja mir ihren Leuten zusammen sein, außerdem musste sie sich Pass und ein Visum für ihre Weiterreise nach Schweden besorgen.“, sagt Manuela. „Dort leben ihre Verwandten. Wir haben noch Kontakt, aber mittlerweile kommen andere Familien zum Duschen, zum Essen und auch zum Übernachten zu uns.“ Manuela hat sich außerdem mit Ibo geeinigt: „Weihnachten laden wir eine Familie aus Ägypten zu uns ein.“