Es ist zwei Jahre her, dass sich mein Leben grundlegend veränderte. Ich betrat einen Weg, bei dem mir weder klar war, wo er endete, noch welche Abzweigungen, Brücken, Stolpersteine mir begegnen würden. Ich war mir nur in einem sicher: Um das nächste Etappenziel meines Lebens – gute Arbeit, die mich zufrieden und glücklich macht – zu finden, galt es, neue Herausforderungen zu meistern. Das geschah nicht ganz freiwillig, wie viele wissen.
Was kann ich, was will ich? Womit kann ich künftig meinen Lebensunterhalt absichern? Erstaunlicherweise war mit letzteres wenig wichtig. Ausgerechnet! Ich bin immer risikoscheu gewesen, was meine finanziellen Verhältnisse angeht.
Vielleicht ist es so: Ich habe jahrelang privilegiert arbeiten dürfen, konnte mich als Betriebsrätin und Abgeordnete fast frei von chefdiktierten Arbeitszwängen bewegen. Sinnentlehrte, langweilige Arbeit habe ich mit politischer Arbeit und Interessenvertretung kompensiert. Und da meiner Meinung nach das Sein das Bewusstsein bestimmt, habe ich strukturell bedingte Konfrontationen gegen mich nicht persönlich genommen, sondern als systembedingt eingeordnet. Naja, fast immer. Einige Chefredakteur*innen und Personalerinnen haben sich zu wichtig genommen, mir das (berufliche) Leben zu vermiesen versucht und es fast geschafft, dass ich meine journalistischen Ambitionen in Frage gestellt habe.
Also auf. Los. Keine Atempause, auch wenn ich mein Leben zunächst entschleunigt habe.
Meine Leitlinien waren: Mach was aus dem, was Du kannst. Nutze Deine Fähigkeiten. Lerne nochmal was. Erfülle Deine Wünsche. Du hat nur das eine Leben. Das habe ich getan. Schöne, exklusive Geschichten recherchiert, geschrieben und publiziert. Mich fortgebildet, bin weit weg gefahren, habe mein Englisch aufgebessert, mir Moderationshandwerkszeug angeeignet, Webvideos produziert, die Kunst der guten Trauerrede gelernt. Bin Kleingärtnerin geworden, genieße Omafreuden.
Ich habe vielen Menschen zu danken, die mich in dieser Zeit begleitet und gefördert haben. Dazu zählen übrigens auch die Beschäftigten der Agentur für Arbeit, die sich unerwartet flexibel für meine Belange gezeigt haben. Danke an die Hamburg School of English, die Akademie für Publizistik, das Medienbüro, das trostwerk. Großer Dank an meine Familie, die an mich geglaubt hat und an Freundinnen, alte und neu dazu gewonnene. Meine Nachbarschaft habe ich neu entdeckt. Danke denen, von denen ich lernen durfte, die auf meine Expertise Wert gelegt, mit denen ich gern zusammen gearbeitet habe und zusammenarbeite: Jörn Lauterbach, Jan Pfaff, Tom Strohschneider, Eva Roth, Kathrin Hartkopf, Anja Bensinger-Stolze, Ulf Rödde, Christine Schmidt, Cornelia Kost (eh. Mertens), Cornelia Möhring, Annette Rosenfeld, Annegret Rumöller, Klaus Wicher, Joachim Speicher, Petra Lotzkat, Isabel Said, Marcel Schweitzer, Rita Bake, Karin Reupert, Shirley Hartlage, Elke Peine, Annette Biskamp, Helga Neugebauer, Gernot Langs, Rolf Küstermann, Paula Klingemann.
Ich habe jetzt einen Job angenommen, der all das beinhaltet, worauf ich allergrößte Lust habe: Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, politische Beratung und Begleitung, Frauenpolitik. Ich werde weiterhin versuchen, journalistisch zu arbeiten, habe aber auch akzeptieren müssen, dass ich damit nicht soviel Geld verdienen kann, dass es zum Leben reicht. Aber die Moderation und Gestaltung von Trauerfeiern ist eine überwältigende Erfahrung und eine feste nebenberufliche Tätigkeit geworden. Zuhören, recherchieren, schreiben, reden … Meine Sprechzeit hat sich vervierfacht. 🙂
Ich freue mich nun auf die Zusammenarbeit mit Cornelia Möhring und ihrem Team. Darauf, den aufkommenden Antifeminismus aktiv und effektiv zu bekämpfen, um Frauenrechte keinen Millimeter preiszugeben: Sexuelle und reproduktive Rechte weiter sichern und ausbauen. Pflege- und Hebammenwissenschaften stärken helfen, die Arbeit im Carebereich zu mehr Anerkennung und Bezahlung verhelfen. Gender Studies als integralen Bestandteil in alle gesellschaftlichen Bereiche integrieren helfen. Ich werde dafür weiter kämpfen, dass Erwerbstätigkeit sich an den Interessen der Frauen orientiert und nicht an den Verwertungsinteressen von Chefetagen und Vorständen, der sog, “Wirtschaft”. Feminismus bleibt bewegt. Ich bewege ihn weiter mit.
Hermann Hesse schrieb:
Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf’ um Stufe heben, weiten.
Steige also auf die nächste Stufe..
Ich lese deine Blogs sehr gern. Für mich ist es gewinnbringend, ich denke darüber nach und lasse es auch auf mich wirken. Mach mal weiter – in jeder Beziehung 🙂
Liebe Kerstin… weiterhin viel Wachheit und Beweglichkeit wünsche ich Dir. Und bewahre Dir im täglichen Politzirkus Deine Fähigkeit zur Empathie . Liebe Grüße aus Gütersloh Deine Almuth Wessel