Perspektivwechsel: Abschiedsrituale in anderen Ländern
veröffentlicht im “Caspary-Journal”
“Werden wir sterben, ohne mehr zu tun als zu sterben?
Wozu dient es zu sterben?
Will der Tod wirklich meine Seele?
Es gibt keinen Schatten ohne meinen Namen.”

Worte des chilenischen Dichters Pablo Neruda (1904-1973), die hierzulande nahezu unbekannt sind. Und das ist kein Wunder: Wie Sterben, Tod und Trauer erfahren und bewältigt werden, ist eng mit eigenen Lebensweisen und weitergegebenen Traditionen verbunden.
Trauer ist zwar eine universelle menschliche Reaktion. Doch variieren Abschiedsrituale und Beerdigungsformen je nach Kultur, Lebensart und Überzeugung. Pablo Neruda ist zwar weit über Chile hinaus bekannt, doch etliche seiner Texte und Gedichte sind in seinem Lebensumfeld geblieben.
Dabei unterscheidet sich die heutige chilenische Trauerkultur gar nicht so sehr von der mitteleuropäischen. Die Nachkommen der indigenen Bevölkerung des südamerikanischen Landes allerdings pflegen mit Körperbemalungen und Opfergaben ihre überlieferten Rituale.
Mit Fantasy Coffins an das Leben erinnern
Andere Länder, andere Sitten – das geflügelte Wort trifft auch das Lebensende zu. In Mexiko etwa werden Altäre mit Fotos, Essen und Trinken aufgebaut, um die Seelen Verstorbener zu einem Besuch einzuladen. Der „Día del Muertos“, dem Tag der Toten, wird fröhlich begangen, auf Gräbern wird gepicknickt. In Ghana erhalten Särge oft Formen, die an Beruf oder Status des Verstorbenen erinnern.
Mit „Fantasy Coffins“ wird an das Leben erinnert, anstatt den Tod zu fürchten. Auch in Madagaskar geht es weniger bedrückend zu: Bei so genannten Knochenwenden, „Famadihanas“, werden alle paar Jahre Gebeine aus den Gräbern geholt und in Seidentücher gewickelt. Bei Musik und Tanz wird die Verbindung zu den Ahnen gestärkt.
Trauerrituale sind oft geografischen Gegebenheiten geschuldet
In manchen Regionen erhielten Abschiedszeremonien erst nachträglich eine spirituelle Begründung. In Tibet und in Teilen Bhutans werden bei Himmelsbestattungen, dem „Jhator“, tote Körper auf einem hochgelegenem Felsen gelegt, damit sie in einen neuen Lebenszyklus eintreten können – indem Geier die Körper verspeisen. Wegen der harten Steppenerde konnten Verstorbene nicht beerdigt, und mangels Brennholz auch nicht eingeäschert werden. Jhators gelten bis heute auch als großzügiger Akt gegenüber der Tierwelt.
Auch in den arktischen Regionen, in Teilen von Kanada und Grönland finden Verstorbene nicht in der Erde ihren letzten Platz, sondern auf Felsen oder in Eishöhlen.
Bei so genannten Luftbestattungen, die in der indigenen Kultur Nordamerikas und in Indien bekannt sind, werden Verstorbene auf Bestattungsbäumen oder Türmen abgelegt, wo sie sicher vor Raubtieren verwesen können. In Indien wird die Asche von Toten auch im heiligen Flusswasser des Ganges beigesetzt, manchmal auch der mit Gewichten beschwerte Körper.
In Japan gilt Obon als Wiedersehensfest, das landesweit im August begangen wird und im Buddhismus verwurzelt ist. Vergleichbar mit dem hiesigen Allerheiligen und dem Totensonntag werden an diesen Tagen die Gräber gepflegt, Blumen und Essen wird auf ihnen niedergelegt. Kleine Lagerfeuer oder Laternen werden vor den Häusern entzündet, um die Ahnen zu geleiten. Auf öffentlichen Plätzen wird der Bon-Odori, ein Volkstanz aufgeführt. Schließlich werden die Laternen auf das Wasser von Flüssen gesetzt, um den Seelen den Weg zurück zu weisen.
Bestattungsrituale ferner Länder werden oft beargwöhnt. Manche wachsen in unsere Kultur langsam hinein: Den Sarg oder die Urne zu bekleben oder zu bemalen, oder eine Urne sogar selbst anzufertigen, wird immer häufiger gewünscht. Bunt bemalte Totenköpfe und musizierende Skelette als Symbole des Día del Muertos sind mittlerweile sogar als Kinderspielzeug erhältlich.
Abschiedsrituale sind beständig – und verändern sich langsam
Die Welt wächst wie in vielen anderen Bereichen auch beim Trauern nach und nach zusammen – auch wenn Abschiedsrituale sehr beständig sind. Der Wandel hierzulande hängt auch damit zusammen, weil die Bindung an die christlichen Kirchen immer weiter sinkt. Freie, weltliche Redner:innen sind nicht mehr an die Liturgien der Gottesdienste gebunden, so dass Lebensbiografien und Erzählungen in den Vordergrund treten können.
In bi-nationale Familien verbinden sich hingegen nahezu selbstverständlich unterschiedliche Vorstellungen. Und auch rechtliche Schranken brechen nach und nach auf: Die grundgesetzlich garantierte Religionsfreiheit ermöglicht Muslime in mittlerweile fast allen Bundesländern Bestattungen im Tuch, statt im eigentlich gesetzlich vorgeschriebenen Sarg. Bestattungsgesetze werden nach und nach liberalisiert.
Die Bestattung als letzter Liebensdienst
Die überwiegend immer noch in Mitteleuropa vorherrschende religiös geprägte Trauerkultur verändert sich aber nicht nur aufgrund zunehmender Sakularität und Globalität. Es gibt auch einen allgemeinen Wertewandel.
Kulturwissenschaftliche Studien zeigen, dass Angehörige Trauerfeiern mehr und mehr als „letzten Liebesdienst“ betrachten und als aktiven Beitrag zum Erinnern gestalten möchten. Sie bringen sich persönlich ein, tragen nicht mehr ausschließlich schwarze Kleidung, hören Musik aller Genres.
Die Bestattungsinstitute als zentrale Schnittstellen zwischen Sterben und Beisetzung passen sich an – und manchmal wirken sie wie ein sanfter Motor mit einfühlsamen Getriebe. Diese, noch viel zu wenigen, zugewandten Bestatterinnen und Bestatter verstehen sich als moderne, empathische Dienstleister, anstatt rein logistische Aufgaben zu erfüllen. Caspary-Bestattungen versteht sich so.
Offenere Formen der Solidarität und des Gedenkens
Dass sich Wünsche nach Individualität und Vielfalt durchsetzen, dazu haben Hospize und Palliativstationen einen wertvollen Beitrag geleistet. Und auch die AIDS-Epidemie in den 1980er und 1990er Jahren hat Beisetzungen tiefgreifend und auf paradoxe Weise verändert: Einerseits brachte sie Stigmatisierung und Isolation, andererseits führte sie zu neuen, offeneren Formen der Solidarität und des Gedenkens.
Seelenkundliche Expert:innen befürworten dies: Psycholog:innen plädieren dafür, den Tod in den Alltag und nach Hause zurückzuholen – derzeit sterben die meisten Menschen in Krankenhäusern. Denn wenn der Tod als natürlicher Teil des Lebens und nicht als ein Tabu-Thema angesehen wird, kann das helfen, besser mit Verlusten umzugehen. Wer die Endlichkeit anerkennt, kann zu einer bewussteren Lebensführung angeregt werden.
Rituale aus anderen Ländern laden zu einem Perspektivwechsel ein. Und zu neuen Worten des Trostes. Etwa, wie es der indische Dichter Rabindranath Tagore einmal ausgedrückt hat, ist „Sterben das Auslöschen der Lampe im Morgenlicht, nicht aber das Auslöschen der Sonne.“