Es ist ein Weg von zweieinhalb Kilometern, den ich gehen muss, bis ich im Zentrum von Putten angekommen bin. Fünf Stunden Zugfahrt liegen hinter mir, doch erschöpft bin ich nicht. Die Züge waren nicht voll, und es war weder stickig noch zugig. Verspätungen gab es auch nicht – was will man mehr von einer Reise, die von Hamburg in die Niederlande geht? Und mein Aufenthalt wird nur 17 Stunden dauern. Morgen früh um 7 Uhr geht es schon wieder zurück.
Als ich ins Zentrum der Kleinstadt einbiege, sehe ich das dunkelgraue Monument, das ich auch bereits im Internet auf der Info-Seite von Putten gesehen habe. „Oktober 44“ steht daran geschrieben. Gegenüber befindet sich eine große Rasenfläche, eingesäumt mit niedrigen Hecken. Eine Statue steht dort. Gegenüber sind kleine Bäume mit handgemalten Zetteln behängt – es müssen die Kinder des Ortes gewesen sein, die diese Bilder malten und aufhängten.
Am 2. Oktober 1944 wurden über 600 Männer ab 16 Jahre des Ortes auf Anordnung der SS von der Wehrmacht zusammen getrieben und ins KZ Neuengamme nach Hamburg deportiert. Die meisten von ihnen wurden dort ermordet. Es war die “Rache” für einen vom niederländischen Widerstand ermordeten Offizier. Auch wurden noch hundert Häuser angezündet. Das Verbrechen hat tiefe, bis heute nicht geheilte Wunden, in diese Stadt gerissen. Deswegen bin ich hier. Die Bürgerschaft hat mich entsendet, um einen Kranz niederzulegen und dem Gedenken beizuwohnen.
Am 70. Jahrestag kommen besonders viele Menschen zusammen, um an die Toten zu denken. Auch aus Deutschland sind etliche dabei. Von den Arbeitskreise des KZ Neuengamme, und aus Ladelund, wo es ein Nebenlager gegeben hat, in dem ebenfalls Niederländer vernichtet wurden. Auch aus Wedel ist eine Gruppe angereist. Ein älterer Herr, der sich als Überlebender des KZ vorstellt, ist auch extra aus Deutschland angereist – er wohnt unweit der Grenze. Etwa 500 Überlebende gibt es noch, erzählt mir Detlef Garbe, Historiker, und der Leiter der Gedenkstätte des KZ Neuengamme. Er ist ebenfalls angereist.
Im Gemeindehaus gibt es Kaffee. Man trifft sich dort, sieht alte Bekannte wieder. Ich kenne niemanden, werde aber vielen vorstellt. Viele der Niederländer*innen können Deutsch. Ich begutachte den Kranz, den die Bürgerschaft gesendet hat, ich werde ihn nachher aufstellen.
Erst gibt es einen Gottesdienst. Auch der Bürgermeister der Stadt und der Ministerpräsident der Niederlande, Mark Rutte, sprechen. Ein hoher Beamter des Königshauses ist zugegen. Es wird ein Psalm gesungen, den damals auch die Puttener vor ihrer Deputation gesungen haben. Bei der Nationalhymne singen alle aus vollem Hals mit.
Danach gehen die Hunderte Menschen, die auch in der Kirche allesamt Platz gefunden hatten, zu der großen Rasenfläche, wo die Statue steht. Ständer für die Kränze stehen bereit. Eine kleine Kapelle marschiert auf, ein Chor. Eine dreiviertel Stunde dauert die Zeremonie, bei der niemand mehr redet. Dann geht es zurück ins Gemeindehaus.
Wir sitzen noch den ganzen Abend zusammen, und essen einfach aber gut, ich höre viele Geschichten.
Es ist gut, dass Hamburg da gewesen ist, höre ich immer wieder. Es gibt auch Familien, die die Deutschen nicht leiden können und auch unter sich bleiben wollen mit ihrer Trauer und Wut. Wer kann es ihnen verdenken?
Die Geschichte der Razzia in Putten und der Deportation muss in Erinnerung bleiuben. Nicht nur an diesem Ort. Diese Erinnerung gehört auch fest in das deutsche, in das hamburgische Bewusstsein verankert.
Kersten, ich sage ganz einfach “,Danke” für diesen Bericht.