Ich habe ein Jahr, eine neue Arbeit zu finden. Das ist viel und wenig Zeit, je nachdem. Ich merke, wie sehr ich mich erholen muss. Vom Spagat zwischen Betrieb, Rathaus, Partei und Gewerkschaft. Vom Sitzungsmarathon und abendlichen Terminen. Von Präsenzzeiten an Wochenenden. Ich muss entschleunigen, entspannen, Abstand gewinnen, meine Gesundheit aufrüsten. Manchmal purzeln die Ideen, wie und wo ich arbeiten möchte. Dann kommen Momente, wo Leere herrscht. Ein Jahr ist viel und wenig – je nachdem.
Ich habe vor, dieses Jahr gut zu nutzen. Ein guter Urlaub gehört dazu: Cuba ist gebucht. Ein neuer Lebensrhythmus ist nötig: Früh aufstehen wie immer. Etwas Arbeitszeit am Rechner, handschriftliche Notizen, tieferes Studium der “Süddeutschen Zeitung”. Den “Freitag” habe ich zusätzlich abonniert, Hamburger Zeitungen spare ich aus. Ich führe diszipliniert und mit Freude Gespräche für das Frauenhaus-Projekt der Sozialbehörde. Einige journalistische Fortbildungen und Fachtagungen zu Opferschutz und Sucht standen und stehen auf meinem Programm. Da ich kein diktiertes Zeitraster mehr habe, muss ich viel besser planen.
Bewusste Freizeit wie mein neuer Kleingarten gehört jetzt zu meiner Gegenwart. Das Arbeiten in den Beeten, das Mähen des Rasens, das Renovieren der Laube fördern das Denken, merke ich. Weil ich mehr nachdenke. Die Zeit mit meinem Enkel nehme ich mir und genieße die Anarchie eines Kleinkindes. Ich koche wieder selbst, bereite Joghurt, probiere neue Rezepte.
Ich suche einen Job: Einen sinnvollen, der Spaß macht und mich herausfordert. Die Frage, die mich umtreibt, lautet: Wartet der Markt auf jemanden wie mich? Ich möchte im nächsten Frühling wieder verbindlich, regelhaft und engagiert erwerbsmäßig arbeiten.
Ob es unvernünftig gewesen ist, wird sich zeigen: Nach 33 Beschäftigungsjahren habe ich mein unbefristetes, tarifiertes Arbeitsverhältnis aufgegeben. Habe meinen Arbeitsplatz geräumt, Poster von der Wand genommen und eingerollt, habe Aufgaben übergeben und Abschied von wunderbaren Kolleginnen und Kollegen genommen. Ich habe den Betrieb, in dem ich jede Treppe zigmal gelaufen; durch dessen Etagen und Kellerräume ich unendlich oft gegangen bin; in dem ich in unzählig vielen Büros gesessen habe; ich die hinterste Ecke und selbst die Elektrik der Fahrstühle auf dem Dach, sowie die Paternoster noch zu ihren intakten Zeiten kenne, verlassen. Ohne mich noch einmal umzusehen. Die Zeit war reif für Veränderungen. Zufriedenheit ist keine Frage von Vernunft. Zufriedenheit stellt sich ein, wenn inneren Bedürfnissen gefolgt wird, auch wenn die Vernunft sich an den Kopf tippt.
Ich will anders arbeiten. Ich will glücklicher werden mit dem, was durch meine Hände und in meinem Kopf entsteht. Ich will meine Erfahrungen und Fähigkeiten besser einsetzen können. Ich will Neues lernen und Ergebnisse erfinden, die anerkannt werden. Ich möchte nie wieder vor lauter Arbeit schöne Dinge als nebensächlich empfinden und die Lust daran zu verlieren. Ich will viel und intensiv arbeiten. Ich wünsche mir Arbeitsstrukturen, in denen Wertschätzung keine Floskel ist und Dankesagen keine Phrase.
Ich weiß um meinen Wert: Ich bin gut ausgebildet und leistungs- wie ergebnisorientiert, selbst wenn der Weg das Ziel sein sollte. Ich denke kaufmännisch durch meine Ausbildung als Verlagskauffrau und systematisch durch meine Tätigkeit als Presse-Dokumentarin. Ich arbeite kreativ durch mein journalistisches Volontariat und meine Arbeit als Redakteurin. Ich betätige mich solidarisch und lösungsbewusst durch meine Jahre als Betriebsrätin. Ich bin loyal einer Sache und den Personen gegenüber, die mich überzeugen.
Ich habe große Lust, dienstleistend zu arbeiten oder mit anderen gemeinsam etwas zu entwickeln. Da ich mein Wissen gern weitergebe, kann das auch beratend, begleitend oder koordinierend sein. Wenn ich Führung übernehme, lasse ich jeder und jedem den nötigen Raum. So möchte ich arbeiten. Ob der Markt auf jemanden wie mich wartet, wird sich zeigen. Ich bin glücklich mit meiner Entscheidung.