Seit 20 Jahren vermittelt die Lawaetz Service GmbH jungen Leute Wohnungen. Es ist eine besondere Gruppe, für die sie das macht. Es handelt sich um Frauen und Männer, die in Jugendwohnungen gelebt haben. Sie gelten als Personen mit “Zugangserschwernissen”. Heißt: VermieterInnen wollen solche Leute nicht haben, weil sie Dreck, Krawall und Polizeieinsätze befürchten.
Jetzt feierte das Projekt mit einer Fotoausstellung 20-jähriges Bestehen. Ich war dabei – und wurde richtig sauer. Von der Hamburger Presselandschaft hat sich niemand blicken lassen. Interessieren Euch diese Menschen etwa nur, wenn es wirklich zu Polizeieinsätzen gekommen ist?
Die Fotos von Heike Ollertz zeigen keine heile Welt. Sie zeigen junge Menschen auf ihrem Sofa, zusammen mit Kind, bei der Arbeit, in ihrer Küche. Es sind schlichte Wohnungen. Es sind Gesichter auf den Bildern zu sehen, die Zuversicht und Stolz ausstrahlen: Ich habe es geschafft! Ich habe meine eigenen vier Wände! Ich darf Verantwortung tragen, man traut mir das zu!
Für über 1.000 Wohnungen konnten in den letzten 20 Jahren Mietverhältnisse abgeschlossen werden. Und, wie es der Vertreter einer Baugenossenschaft in seinem Gastbeitrag sagte, nur selten kam es zu Vorfällen, die befürchtet wurden. Es sei vielmehr so, ergänzte er: Wenn man seine künftigen MieterInnen kennenlernt, weiß man nie, was das für Leute sind: Ob sie Krach machen oder die Wohnung verkommen lassen oder das Treppenhaus nicht reinigen. Bei den vermittelten jungen Erwachsenen handelt es sich ebenfalls um ganz normale Leute.
Ist das zu wenig spektakulär für die VertreterInnen der Hamburger Medienlandschaft? Am Rande der Ausstellung war es Gesprächsthema, dass die Presse nicht erschienen ist. Eine Dame sagte: Denen musst Du ganz genau vorformulieren, was sie schreiben sollen. Die Redaktionen sind ja so ausgedünnt.
Mit Verlaub. Ich glaube das nicht. Natürlich sind die Redaktionen ausgedünnt. Die Schrumpfkuren der Betriebswirtschafter in den Verlagen sind hinlänglich bekannt. Wenn aber einer auf den Fotos Abgebildeten sein Kind misshandelt oder Cannabis in der Wohnung angepflanzt oder seine Nachbarn terrorisiert hätte, hätte das eine gute Chance bekommen, auf der Titelseite zu stehen. Dann wäre keine Redaktion zu schlecht besetzt, um das zum Thema zu machen.
Was ist es also, was die Presse von solchen Themen fernhält, die wirklich wichtig wären, in der Breite bekannt zu werden? Was ist das für eine journalistische Faulheit oder Ignoranz, bei diesem Thema nicht das Berichtenswerte herauszufinden und so zu präsentieren, dass es die Leser und Leserinnen in den Text hineinzieht, dass sie gerührt sind von der Geschichte einer Anfang 22-Jährigen mit Kind, die mit ihrer ersten eigenen Wohnung die Chance für einen selbstbestimmtes Leben bekommen hat?
Drei der auf den Fotos Abgebildeten waren anwesend. Sie bekamen Fotomappen mit ihren Bildern überreicht. Sie standen bescheiden vor dem kleinen Publikum und freuten sich über die Aufmerksamkeit.
Die Redner und Rednerinnen fragten uns Gäste: Wie war das, als Ihr Eure erste eigene Wohnung bezogen habt? Was habt ihr gefühlt? Wie wichtig war es, den Mietvertrag unterschrieben zu haben?
Ich habe mich zurückerinnert: Ich war 1984 in die Sternstraße am Schlachthof gezogen. Zweieinhalb Zimmer, eingebaute Dusche in der Küche, offener Durchgang zwischen zwei Zimmern, viereckiger Flur. Lichtdurchflutete 55 Quadratmeter. Diese Wohnung war das Schönste, Beste, Tollste, was ich nach meinem Ausbildungsplatz zwei Jahre zuvor erreicht hatte.
Senator Scheele, der ein Grußwort hielt, erinnerte sich auch zurück: Seine ersten Nachbarn legten heimlich eine Erbse ins Treppenhaus, um zu kontrollieren, ob er es auch putzte. Darum geht es, sagte mir später der Geschäftsführer der Lawaetz Service GmbH, Willi van Buggenum: Die Jungerwachsenen sollen normale Erfahrungen machen, wozu eben auch gehört, Nachbarn zu haben, die Erbsen ins Treppenhaus legen. Sich mit der Alltagswelt auseinandersetzen und trotzdem einen gewissen Schutz zu haben – das sei das Konzept, das seit 20 Jahren funktioniert.
Warum, frage ich mich, warum wart Ihr, liebe Kollegen und Kolleginnen aus den Hamburger Redaktionen, nicht bei der Austellungseröffnung?
Glückwunsch, Kersten, Du hast es mal wieder auf den Punkt gebracht.
Vielleicht solltest Du hin und wieder mal wieder in einer Redaktion sein, um das mal wieder in Erinnerung zu bringen!
Danke für die treffende Beschreibung der gestrigen Ausstellungseröffnung – und für die “Fragen” an die Hamburger Medienlandschaft. Vielleich hat auch der oder die andere Interesse an der Fotoausstellung bekommen oder vielleicht einen Tipp, wo diese Wanderausstellung noch einen Platz bekommen könnte?
Toll Kersten, das Jungerwachsene kaum eine Lobby haben, interessiert den Mainstream nicht. Dabei erlebe ich täglich im Beruf diese Verzweiflung der Menschen. Mach weiter so.