Der fantastische Bus: Das hätte er besser machen können

Jakob Martin Strid ist ein dänischer Schriftsteller. Außerdem zeichnet er und musiziert. Der 52-jährige hat bereits mehrere Preise gewonnen. Sein Buch „Die unglaubliche Geschichte von der Riesenbirne“ wurde verfilmt.

Sein neuestes Werk “Der fantastische Bus“ wiegt ebenfalls schwer – vor allem an Gewicht: Es brngt 2,5 Kilogramm auf die Waage, umfasst über 200 Seiten und wird in den Medien gefeiert: Die Rezension in der Zeit trägt die Überschrift „Geiler Trip“. Der Merkur schreibt von einem „Kinderbuch-Meisterwerk“. Der Tagesspiegel lobt es als „Schwergewicht“. Der Schriftsteller selbst ist jedoch auch selbstkritisch. Der Süddeutschen Zeitung offenbart er: „Das hätt´ich besser machen müssen.“ Er sei ein bescheidener Meister seiner Zunft, würdigt Journalist Alex Rühle den 52-jährigen.

Ich habe das Buch mit großen Erwartungen für 68 Euro gekauft und meinen beiden jüngsten Enkeln vorgelesen – es ist für Kinder ab vier Jahre ausgewiesen. Danach habe ich entschieden, es weiterzuverkaufen.

Tatsächlich sind die Bilder die Strid gezeichnet hat, beeindruckend. Detailreich, kräftige Farben. Handelnde Figuren wie auch den Bus, die Häuser und die Wolken hat er in verschiedensten Perspektiven geschaffen.

Jede Seite macht neugierig auf die nächste. Äußerst gelungen ist im hinteren Teil der sich am Horizont verlierende Bus – nach und nach rückt ein gestecktes Blumenbild in den Vordergrund, das schließlich in seine Einzelteile zerfällt. Wunderbar und überraschend emotional erscheinen bunte Götter, die als freundliche Wesen helfen, die Reise des Busses fortzusetzen.

Zum Inhalt: Hundekind Taku erzählt von Timos Rettung durch eine seltsame Blume, die in einem glücklichen Land wächst. Dafür bauen die Tiere einen Bus, der fliegen kann.

Die erste Stolperschwelle sind die Anzahl der beteiligten Tiere: Es sind 14 – und davon sind sage und schreibe nur zwei eindeutig weiblich, darunter die ständig besorgte Adoptivmutter von Timo, Frau Friby. Ein paar Nilpferdbullen, die Baggerfahrer und „Abrissmänner“ darstellen, nehmen ebenfalls männliche Nebenrollen ein

Hier könnte ich im Grunde genommen aufhören, das Buch weiter zu rezensieren, denn ich habe mich als zweifache Mutter und vierfache Oma schon häufiger von Büchern getrennt, die stereotype Rollen reproduzieren. Janoschs Bücher etwa waren darunter, auch wenn ich seine Figuren wie Bär und Tiger äußerst niedlich fand und finde. Wie auch die Zeichnungen von Strid schön anzusehen sind.

Aber da Strids hoch gelobtes Buch viel Geld kostet, für Vierjährige empfohlen wird, und kein ausschließliches Bilderbuch ist, ist der Inhalt einer intensiveren Betrachtung und Bewertung wert.

Einerseits, weil Geschlechterrollen derzeit endlich eine grundlegende Zäsur erfahren und die Diversität von Identitäten auch rechtlich zunehmend anerkannt und gelebt werden kann. Andererseits, weil Jakob Martin Strid zudem militärische Inhalte, Alkohol- und Zigarettenkonsum unkritisch in seine Erzählung integriert.

Nun wird der Story über die Rettung von Timo eine alte Geschichte hinterlegt, der man Zugute halten könnte, dass damals die Welt anders ausgesehen hatte: Das männliche war aktiv, das weibliche passiv; geschraubt, gebohrt und gebaut wurde von Männern.

Man erfährt dann nebenbei, dass Tolstoi und Lucas beim Militär gewesen waren, dass Lucas außerdem „voll“ ist, was Strid mit einem „Hicks“ noch einmal verdeutlicht, und zugleich relativiert: „Lucas hatte ein Alkoholproblem, aber im Krieg hatte er so viele Medaillen bekommen, dass sie ihn nicht feuern konnten.“

Exkurs: Jüngsten Zahlen zeigen, dass in Europa weltweit am meisten Alkohol konsumiert wird. An den Folgen sterben nach Schätzungen jährlich 800.000 Menschen und Dänemarks Bevölkerung hat eine herausragende Alkoholnorm.

Tatsache ist: Kinder könnten besser vor späterem eigenen Alkohlkonsum geschützt werden, wenn sie gute Vorbilder hätten, altersgerechte Erklärungen erhielten und gute Selbsteinschätzungen treffen können. In dem Buch „Der fantastische Buch“ vermisse ich das – schmerzlich.

Eine weitere Szene hätte ich meinen Enkelkindern gern erspart: Während Taku etwas isst und sich Tolstoi mit Charlie darüber unterhält, ob es wirklich Götter gibt, zündet sich Charlie eine Zigarette an. Es wäre dabei ein leichtes gewesen, Tolstoi einen Satz sagen zu lassen wie „Mach die Kippe aus, Taku isst“, oder so ähnlich.

Tierhelden in Büchern eine Zigarette in die Hand zu zeichnen und sie neben dem Kopf eines Kindes abzubilden, gehört sich nicht nur nicht, es ist fahrlässig. Jakob Martin Strid ist hier echter Fauxpas unterlaufen. Ich finde, das dürfte einem Schriftsteller, der bereits mehrere Kinderbücher verfasst hat, nicht passieren.

Exkurs: Rauchen und Passivrauchen sind ebenfalls gesundheitsschädlich und sehr tödlich. Rauchen gilt weltweit als das größte vermeidbare Gesundheitsrisiko. Corona hat die Zahlen der Rauchenden wieder steigen und das Einstiegsalter wieder sinken lassen. Die Vorbildfunktion ist auch hier maßgeblich.

Es ist schade um das Buch, es ist schade um die Arbeit, die Strid sich gemacht hat. Denn auch eine Geschichte zu den Bildern zu kreieren, ist ein großer Akt, den ich lieber respektvoll würdigen möchte, als zu kritisieren. Hat das denn niemand gesehen – etwa der Lektor/die Lektorin oder der Verlag? Wieso kann ein Kinderbuchautor mit einem Werk auf den Buchmarkt erscheinen, das an Traditionalität den Bodensatz der 1950er Jahre zum Leben erweckt?

Meinen Enkeln hat das Buch gut gefallen – und ich habe es gegendert und ausgelassen, was für mich nicht sagbar ist. Das haben sie nicht bemerkt, natürlich nicht. Aber es geht hier um mehr: Ich möchte nicht, dass sie Alkohol harmlos finden und denken, dass eine Zigarette neben dem Kopf eines Kinders erlaubt sein kann. Sie sollen von Anfang an verstehen, dass auch Frauen und LSBTIQA* mehr können, als sich Sorgen um kranke Kinder zu machen: Sie können ebenso Bagger fahren können und fantastische Busse montieren. Mindestens.


Der Fanstatische Bus, 204 Seiten, Kunstmann

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