Auf der Bundesdelegiertenkonferenz der AG betrieb & gewerkschaft, dem größten Zusammenschluss der LINKEn, referierte am 31. Oktober 2015 der Marburger Professor Frank Deppe.
Eine Zusammenfassung von Kersten Artus (Als PDF hier)
Deppe sieht ein Comeback der Gewerkschaften, nachdem diese in den 1980-er Jahren in eine „dramatische Defensive“ geraten waren und machte dies an steigenden Mitgliederzahlen, den letzten Tarifabschlüssen aber auch am gesetzlichen Mindestlohn und an der Rente ab 63 fest. Auf den jüngst stattgefundenen Kongressen von IG Metall und ver.di sei ein neues Selbstbewusstsein zu spüren gewesen. Ver.di sei in einer anderen Situation als die IG Metall, denn die Mitgliederzuwächse seien nicht ganz so hoch. Im Gesundheitswesen allerdings habe Ver.di gut zugelegt, was Deppe durch dessen Ökonomisierung begründet sieht. Ver.di sei die Streikgewerkschaft, was man an den Auseinandersetzungen in Kitas, in der Pflege, bei der Post oder bei Amazon sehe. Das sei neu für die Bundesrepublik Deutschland. Es sei aber ein Comeback mit Widersprüchen.
Da sei zunächst der „Krisenkorperatismus“ der Gewerkschaften: Es sei ein Einvernehmen mit der deutschen Industrie und der Regierung hergestellt worden, um die Wettbewerbsfähigkeit und Export zu sichern. Hierfür haben etliche Gewerkschaften mit Arbeitgeberverbänden eine Stiftung (der Verein „Netzwerk Zukunft Industrie“, K.A.) gegründet, mit dem SPD-Bundesvorstandsmitglied Armin Schild als Vorsitzenden. Ver.di hingegen würde derzeit die Gewerkschaften „neu erfinden“. Grund sei unter anderem, dass die Dienstleistungsbereiche im öffentlichen Dienst Opfer der Austeritätspolitik wären und leere Kassen zu Lasten der Beschäftigten spürbar seien. Ebenso sei das Gesundheitswesen durch die Privatisierungen hauptbetroffen. Dies seien jedoch Bereiche, wo es kaum oder keine Erfahrungen seitens der Beschäftigten mit Kämpfen gäbe.
An den Grundsatzreferaten, die der neue IG-Metall-Vorsitzende Jürgen Hofmann und der ver-di-Vorsitzende Frank Bsirske auf ihren Kongressen gehalten hatten, wäre zwei Kulturen deutlich geworden: So habe Hofmann seinen Referatseinstieg mit den Flüchtlingen gewählt, habe dann Leitbilder der Arbeit für die IG Metall skizziert: Man brauche Innovation und Wettbewerb, die jedoch reguliert werden müssten. Das Normalarbeitsverhältnis müsse neue Strahlkraft bekommen, der Sozialstaat gestärkt werden. Riester sei gescheitert (Gemeint ist die Riester-Rente. Der ehemalige Bundesarbeitsminister und Metaller Walter Riester war bei dem IG Metall-Kongress persönlich anwesend. (K.A.).
Deppe wies auch auf das konfliktgeladene Terrain der Zuständigkeiten zwischen DGB-Gewerkschaften hin. So hätte Hofmann ausgeführt, dass der DGB neu erfunden werden müsse. Es gäbe eine neue Verständigung mit ver.di, welche Gewerkschaft für welchen Branchen/Betriebe zuständig sei. Allerdings hätte es eine Satzungsänderung gegeben, mit der die IG Metall ihre Zuständigkeit entlang der Wertschöpfungskette definiere. Die Gewerkschaft sähe sich künftig auch nicht mehr an Beschlüsse des DGB gebunden, wenn sie der Satzung der IG Metall entgegenstünde. Dennoch gäbe es den Satzungszusatz, DGB-Beschlüsse anzuerkennen. Hofmann habe, so Deppe, sich als Pragmatiker positioniert, der sich auf das Kerngeschäft konzentriere und keine Krisenanalyse vorgenommen habe.
Bsirske hingegen habe die Aufgaben der Gewerkschaften an den derzeitigen Bedingungen festgemacht, die Rolle der Regierung dargestellt und die Kräfteverhältnisse eingeschätzt. Daraus habe er Ziele abgeleitet. Er forderte neue Regeln für den Finanzmarkt und wetterte gegen die „Ökonomie der Maßlosigkeit“. Er forderte ein „demokratisches, sozialstaatlich verfasstes Europa“. Allerdings, so Deppe, sei Birskes Kapitalismuskritik auf dem Bundeskongress vor vier Jahren deutlicher ausgefallen, was aber dem unmittelbaren Zusammenhang mit der Krise 2008 geschuldet gewesen sein kann.
Es würden sich laut Deppe nicht zuletzt wegen des Paktes der vier Industriegewerkschaften IG Metall, IG BAU, EVG und IG BCE zwei große Gewerkschaftsblöcke herausbilden. Die Folge sei eine Abwertung des DGB. Seine Schwäche sei deutlicher geworden. Diese Blöcke kämen miteinander ins Gehege. Deutlich wird dies zum Beispiel durch das Outcourcing von Logistik- und Transportbereichen aus Unternehmen. Wer sei dann für diese Bereiche zuständig? Deppe wies auch darauf hin, dass die Erfolge im Angestelltenbereiche nicht so hoch seien, wie von der IG Metall stets verkündet worden wäre.
Der Professor ging weiter auf das Prinzip der Einheitsgewerkschaft* ein und hinterfragte: Was sei das noch? Das Prinzip „Ein Betrieb eine Gewerkschaft“ trüge auch wegen der vielen Berufsverbände heute schon nicht mehr. Alte Konflikte zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten wären heute daher nicht mehr das Hauptproblem in dieser Frage. In diesem Zusammenhang spiele eine Rolle, dass die Interessen der Lohnbeschäftigten immer ausdifferenzierter würden. Es sei erforderlich, diese Verschiedenheiten anzuerkennen und die Gemeinsamkeiten hervorzuheben.
Als Fazit der beiden Kongresse zog Deppe die Anerkennung der Bedeutung des neuen Produktivkraftschubes, Arbeitszeitpolitik, erkennbare Defizite in der Bildungsarbeit und die Gefahren durch den schwachen DGB.
Nach einer Diskussionsrunde mit dem Plenum entgegnete Frank Deppe zusammengefasst folgendes: Die Bildungsarbeit müsse in den Gewerkschaften politisch gestärkt werden und eine größere Rolle einnehmen. Dann würde ihr auch wieder mehr Geld zufließen. Eine große Aufgabe bestünde darin, (wieder) zu lernen, wie man mit Niederlagen umgehe. Die Geschichte der Arbeiterbewegung sei voll mit Niederlagen. Die intellektuelle Fähigkeit, zu erkennen, dass man es mit einem extrem starken Gegner zu tun habe, sei eine Einschätzung von systemischer Bedeutung. Es bestände immer die Gefahr, dass Niederlagen schwächen anstatt dass sie stärken würden. Gewerkschaften sollten sich aber auch nicht überbeanspruchen, sondern ihre Hauptziele nie aus dem Blick verlieren: Tarifverträge und sichere Arbeitsverhältnisse.
Deppe plädierte dafür, dass sich DIE LINKE bewusster werden müsste, welche Bedeutung Gewerkschaften in dieser Gesellschaft hätten, um Veränderungen herbeizuführen. Sie seien es, die mit lebendigen Menschen auf die Straßen gingen. Diese Einsicht würde der LINKEN mehr zum Erfolg der eigenen Ziele verhelfen als ständige Debatten über eine Regierungsbeteiligung. Die Demonstration gegen TTIP habe gezeigt: Das Erkennen der Machtverhältnisse im weltweiten Kapitalismus seien bei Millionen Menschen angekommen. Hier sah einen unabdingbaren Schulterschluss zwischen den Bewegungen: „Wenn die Arbeiterklasse nicht auf die Straße geht, wird es keine größeren Veränderungen geben.“
*= Hier ist die neue Broschüre “Einheit oder Spaltung?” von Professor Frank Deppe zu finden