Unsere Reise nach Südafrika

Ich wollte immer dahin. In die Heimat Nelson Mandelas. In das Land, das die Apartheid überwunden hat, in dem sich die Menschen von einem rassistischem Regime befreiten. Doch bis vor wenigen Jahren mochte ich keine Fernreisen. Allein die Vorstellung, stundenlang in einem Flieger zu sitzen, bremste jede Lust, weit weg zu fahren. Das änderte sich vor ein paar Jahren. Ich fuhr zunächst mit der Bürgerschaft nach China und Weißrussland und 2015 mit Plan International nach Bolivien. Dann mit Holger nach Kuba, letztes Jahr waren wir Vietnam/Kambodscha. Und nun war es uns beiden ein großes Anliegen, endlich auch Südafrika zu bereisen.
Dreieinhalb Tausend Kilometer sind wir durch das Land gefahren. Wir besuchten Johannesburg und Pretoria, die Hafen- und Industriestadt Port Elizabeth am Indischen Ozean, Stellenbosch mit seinen Weinanbaugebieten, das holländisch geprägte Swellendam mit vielen Eichen – die jetzt im April, dem südafrikanischen Herbst, ihre Blätter verlieren – und zum Schluss das europäisch anmutende Kapstadt am Atlantischen Ozean. Wir besichtigten legendäre Orte wie den Kruger Nationalpark, das Kap der Guten Hoffnung und den Tafelberg. Wir waren im Tsitsikamma-Nationalpark und sind dort über eine Hängebrücke gelaufen, haben in den Cango-Höhlen Stalaktiten und Stalakmiten bewundert, auf einer Straußenfarm Strauße gefüttert und später auch das Fleisch der Tiere probiert. Viele kurze Zwischenstopps an unglaublichen Aussichtspunkten, an denen wir Schluchten, Berge, Täler und Wasserfälle bestaunen konnten, brachten meine Kamera zum Dauerglühen: Ich habe über 1.000 Fotos gemacht.

Robben Island war schließlich mein persönliches Highlight: Hier waren die politischen Gefangenen der Apartheidsfaschisten unter widrigsten Umständen eingesperrt, darunter 19 Jahre lang auch Nelson Mandela. 1964 – mein Geburtsjahr – bekam er lebenslänglich und kam erst 27 Jahre später frei, nachdem die Boykottaufrufe des ANC endlich Wirkung gezeigt hatten und das Land international so isoliert war, dass selbst unter der herrschenden, privilegierten, weißen Bevölkerung die Unzufriedenheit immer größer wurde. Die Insel ist heute ein Museum. Die Führung durch das Gefängnis hatte ein ehemaliger Insasse übernommen, er steht hier links im Bild, leider habe ich seinen Namen vergessen. Aber er trug eine dunkle Brille, was darauf hindeutet, dass seine Augen wie die von Nelson Mandela durch die Arbeit in der gleißenden Sonne irreparabel geschädigt wurden.

Direkt nach der Landung in Johannesburg nach zehn Stunden Flugzeit ging es nach Soweto. Eine Bewohnerin des Townships führte uns und erzählte über die Geschichte und das Leben. Mir war gar nicht so klar, wie vielschichtig der Ort ist. Schwarzer Mittelstand lebt dort in Bungalows wie auch Wellblechhütten zu ehen waren, deren Bewohner*innen so arm sind, dass sie Strom abzapfen. Wir fuhren durch die von Tourist*innen intensiv besuchte Straße, in der Desmond Tutu und Nelson Mandela lebten und besichtigen den Platz, an dem Mandela nach seiner Freilassung seine erste Rede hielt. Endlich dort gewesen zu sein bei den Menschen, für die auch ich einmal auf die Straße gegangen war, für die ich mich am Boykott gegen südafrikanische Produkte beteiligte, war ein sehr emotionaler Moment. Wir gingen dann noch durch das Museum, das von dem Schüleraufstand 1976 erzählt, die Polizei hatte etliche Schüler*innen erschossen. Es war zu den Protesten gekommen, nach dem die Regierung beschlossen hatte, dass nur noch die Sprache der weißen Nationalisten, Afrikaans, gelehrt und gesprochen werden sollte. Gerne wäre ich noch länger da geblieben, in die Häuser gegangen, den Alltag der Menschen erlebt. Es war leider keine Zeit dafür eingeplant.

Wer zehn Tage durch ein Land fährt, bekommt naturgemäß nur wenige ausgewählte und schon gar keine vertiefenden, Einblicke. So sind es viele kleine Momente, die bleiben, die sich aneinanderreihen, die ein Bild von einem Land und den in ihm lebenden Menschen ergeben. Wir haben überaus freundliche, gelassene Menschen kennengelernt. Wir haben sehr viel arme Menschen und den schwarzen Mittelstand gesehen. Und wenig Polizei, auch wenn überall vor der hohen Kriminalität im Land gewarnt wird. Es ist ein Land, das versucht, seine vielen Völker, deren Traditionen und Lebensweisen nebeneinander existieren zu lassen. Der Tourismus ist hochentwickelt, die Gastronomie kann sich locker mit der unsrigen messen. Gern stöbere ich im Urlaub in Souvenir-Shops, genauso gern gehe ich aber auch in Geschäfte, in denen sonst nur Einheimische einkaufen – Supermärkte und Basare. Da ist das Leben ungekünstelter. Ich kann in Einkaufswagen schauen. Man steht zusammen an der Kasse in der Schlange.

Manchmal habe ich mich gefragt, wo die Weißen sind. Doch Südafrika *ist* schwarz. Nur noch acht Prozent der Bevölkerung sind weiß. Sie wandern ab. Pretoria und Port Elizabeth wurden wie andere Städte auch umbenannt, heißen nun Tshwane und Nelson Mandela Bay, Johannesburg wird von den Schwarzen nur Joburg (Jobuck ausgesprochen) genannt. Neben Afrikaans und Englisch sind neun weitere Sprachen Amtssprachen.

Südafrika schüttelt seine rassistische Verhangenheit Stück für Stück ab: Der 21. März, der internationale Tag der Menschenrechteist, ist in Südafrika nun ein Gedenk- und Feiertag. Wie auch der  27. April, der Tag im Jahr 1994 – also vor 25 Jahren – an dem eine neue Verfassung in Kraft trat, und wenig später die ersten freien Wahlen stattfanden, die der ANC haushoch gewann: Freedom Day heißt er. Mandela wurde erster schwarzer Präsident. Auch die Geldscheine des Landes verkünden, dass Südafrika ein schwarzes Gesicht hat: Sie sind mit seinem Gesicht bedruckt. Es klingt nach Personenkult, er wird in der Tat hochverehrt. Doch ist der 18. Juli, sein Geburtstag, kein Feiertag in Südafrika. Allerdings ein internationaler Gedenktag, den die UNO ausgerufen hat.

Südafrika steht dennoch vor vielen Problemen: Armut hat nach wie vor eine Hautfarbe und der wirtschaftliche Erfolg des Landes geht an Millionen Menschen nach wie vor vorbei. Der Rassismus hat die Gesellschaft so lange gespalten, da darf man sich vielleicht nicht wundern, dass sich nicht alles grundlegend und sofort verändern lässt. Denn nach wie vor greifen die Strukturen, die die Menschen nach Wertigkeit und Verwertung unterteilen: Der Kapitalismus enteignet die  Bevölkerung nach wie vor, das Patriarchat entrechtet die Frauen. Die Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist immens, zudem betroffen mit einer der höchsten HIV-Infektionsraten. Das Virus wird in Südafrika hauptsächlich bei Heterosex übertragen.

Erhebungen zufolge wird in Südafrika alle 17 Sekunden eine Frau vergewaltigt. Vergewaltigungsopfer werden stigmatisiert und nicht ernst genommen, Polizei und Justiz arbeiten ineffizient. Viele Frauen haben Angst, ihren Fall öffentlich zu machen, oder Armut macht sie von Männern abhängig. Selbst Kleinkinder und alte Frauen werden häufig brutal vergewaltigt., heißt es in einem taz-Bericht aus 2013

Zwar stellt der südafrikanische Staat seit 2004 allen Betroffenen kostenlos HIV-Medikamente zur Verfügung. Aber das heißt noch lange nicht, dass diese die Kranken auch erreichen. 44 Prozent der mit HIV infizierten Menschen in Südafrika nehmen keine oder zu unregelmäßig Medikamente. Einer der Hauptgründe: Das Gesundheitssystem ist chronisch überlastet, es gibt zu viele Betroffene, zu wenig Apotheken, Kliniken, Ärztinnen und Ärzte., heißt es in der ZEIT vom 10. Januar 2019

Für Touristinnen und Touristen ist die Armut ebenso sichtbar wie der Reichtum. HIV/Aids sind unsichtbar. Sichtbar sind die Ängste vor Gewalt: verbarrikadierte Grundstücke und Häuser, die zusätzlich mit NATO-Draht gesichert sind. Es ist der vielleicht größte Unterschied zu unseren Städten. Alles andere ist – wie bei uns. Warum denn auch nicht? Alte und neue Häuser, Hütten wie Paläste. Auch wenn es bei uns kene Wellblechhütten gibt und keine Slums. Armut ist natürlich relativ und in keinem anderen Land er Welt leben Erste und Dirtte Welt so eng nebeneinander. In den ländlichen Gebieten sind wir andauernd an Friseuren und Bestattungsinstituten vorbei gefahren. Ich hätte an jedem Ort aussteigen und mich länger umsehen können. Und mit den Menschen reden, vielleicht auf Englisch – die Jüngeren können es.

Beeindruckt war ich von der Landschaft: Südafrika liegt überwiegend im Hochland. Viele Regionen sind Nationalparks – es gibt über 20 Stück davon. Tiere und Pflanzen können ohne Eingriffe der Menschen leben, die Natur sich von den Plünderungen vieler Jahre erholen. Immer wieder kamen wir aber auch an verkohlten Landstrichen vorbei, denn Brände sind alltäglich, es wird auch brandgerodet. Es ist erstaunlich, wie schnell sich die Natur davon dann wieder erholt.

Beeindruckt war ich von den Tieren, die dort leben: Nicht nur im Kruger Nationalpark haben wir sie erlebt – Elefanten, Affen, Antilopen, Zebras, Gnus, Büffel, Vögel, Hyänen mit ihren Welpen, Nashörner, Giraffen. Auch in den Städten leben sie: Die zahmen Grauhörnchen in Kapstadt haben uns genauso fasziniert wie die Brillenpinguine in Simons Town. In der Bucht vor Kapstadt schwammen Delfine, Klippschliefer grasten im Tsitsikamma-Nationalpark, Strauße grasten auf en Weiden. Ab und an huschte eine Katze um die Häuser. Ein Pavian hat mir am Kap der Guten Hoffnung sogar meinen Salat geklaut. Das war mehr lustig als schlimm, erschrocken habe ich mich trotzdem.

Südafrika hat mich möglicherweie nicht das letzte Mal gesehen. Wenn es die Möglichkeit gäbe, mich in den zivilgsellschaftlichen Strukturen des Landes zu engagieren, könnte mich das reizen. Dannkbar bin ich für eine nette Reisegruppe – auch das Kennenlernen der Menschen, die mit uns gefahren sind, waren Teil unseres Urlaubs. Ein Bremer Paar werden wir sicher wiedersehen, mit anderen wenigstens Kontakt halten. Der Reiseleiter war erfahren, kannte das Land, konnte uns aber nur den Blick eines vor über vier Jahrzehnten eingewanderten weißen Mannes vermitteln. Ich hätte mir eine schwarze Frau oder einen schwarzen Mann als Guide gewünscht.

Ein Gedanke zu „Unsere Reise nach Südafrika“

  1. Liebe Kersten, gleich gelesen und so interessant – vielen Dank für die ersten Eindrücke und Einblicke in eure Reise!
    Fernreisen waren und sind auch nicht mein/unser Ding, deshalb genieße ich Berichte ohne Schnörkel und Postkartenidylle, mit persönlichen Erlebnissen, Begegnungen und vor allem Emotionen!
    Und – für mich bemerkenswert – mein ältester Sohn und Schwiegertochter waren im Februar das zweite Mal auch in Südafrika. Ich habe zwar noch keinen ausführlichen Bericht gehört oder Bilder gesehen, aber leider beschränken sich deren Ausführungen fast nur auf Safaris und Landschaft… Da sehe/lese ich schon Unterschiede. Und da werde ich sie nun aber noch gezielter fragen können.
    Nochmals vielen Dank!

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