Abtreibung ist ein Grundrecht

veröffentlicht in: Mittelbayerische Zeitung, September 2020 “Außenansicht”

Dass immer weniger Ärztinnen und Ärzte Schwangerschaftsabbrüche durchführen, ist ein wachsendes Problem. Ungewollt Schwangere müssen immer größere Wege zurücklegen, um abtreiben zu lassen. Daher gibt es den richtigen Vorstoß, Universitätskliniken zu verpflichten, Abtreibungen durchzuführen und das dafür erforderliche, ärztliche Personal einzustellen.

Offenbar ist in den vergangenen Jahren auch die Debatte darüber innerhalb der Ärzteschaft zu kurz gekommen. Dies mag mit daran gelegen haben, dass die ärztliche Tätigkeit zunehmend durch kommerzielle Interessen bestimmt wird. Ärztinnen und Ärzte müssen heute vielmehr darauf achten, dass sie ihre Arbeit ökonomisch ausrichten und mit Schwangerschaftsabbrüchen kann man nicht viel Geld verdienen.

Abtreibungen sind etwas völlig Normales. Dennoch sind sie mit Tabu und Stigma belegt. So werden Ärztinnen und Ärzte, Beratungseinrichtungen wie Pro Familia und ungewollt Schwangere immer wieder durch Abtreibungsgegner belästigt und bedroht. Ein Spießrutenlauf insbesondere für Frauen, überwiegend übrigens Mütter, nicht wenige über 40 Jahre alt. Abtreibung ist ein Grundrecht weiterlesen

Keine ungeborenen Kinder

Ich habe mir nie die Frage gestellt, was es wohl für Kinder geworden wären. Ob Mädchen oder Jungen. Ob dunkelhaarig oder blond. Ob schlau, pragmatisch veranlagt, hochbegabt. Nie. Wirklich nicht. Die vier Schwangerschaften, die ich in meinem Leben bewusst beendet habe, hatten für mich keine Sekunde mit einem neuen Menschenleben zu tun. Waren also auch nicht von einem schlechtem Gewissen oder Schuldgefühlen gegenüber “ungeborenen Kindern” begleitet. Ich wurde in meinem Leben fünfmal ungewollt schwanger und viermal davon habe ich entschieden, abzutreiben. Fertig aus. Ich hatte zudem höchstwahrscheinlich eine Fehlgeburt ganz am Anfang einer Schwangerschaft. Auch die war kein Problem für mich. Ich hatte zu dieser Zeit keinen Kinderwunsch.

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Frau N. geht spazieren

Ein mit Blumen geschmücktes Fahrrad vor dem Altenheim.

Ich habe Frau N. im Altenheim besucht. Um mich zu erkundigen, wie es ihr geht. Letzte Nacht, als ich auf dem Weg von der S-Bahn nach Hause war, sah ich sie, ohne Jacke, mit Rock, nackten Beinen und dünnen Schuhen auf dem halbdunklen, nassgeregneten, Bürgersteig laufen. So, als sei sie ohne Ziel.

Ich war zunächst an ihr vorbei gegangen. War nicht sicher, ob und wie ich sie ansprechen sollte. Zog mein Gesicht noch tiefer in das Kunstfell meiner Kapuze, steckte meine handbeschuhten Hände in die Winterjackentaschen. Kalt war es und ich wollte schnell nach Hause, es war kurz vor Mitternacht. Außerdem befinden sich rund um Sternschanzen-Bahnhof oft Leute, die verwahrlost wirken. Und so signalisierte auch Frau N.  – von der ich zu diesem Zeitpunkt natürlich den Namen noch nicht wusste – keine Hilflosigkeit.

Ich überholte sie langsam und etwa zehn Meter weiter drehte ich mich um und beobachtete sie genauer. Außer mir und ihr war niemand auf dieser Seite der Straße, nur noch wenige Autos fuhren. Und nun fühlte es sich sehr falsch an, nicht auf sie zuzugehen, sie nicht anzusprechen. Ob sie noch einen weiten Weg habe, fragte ich. Sie blickte hoch, schaute mich an. Ihr Gesicht war sehr schmal, die Haare standen ungeordnet vom Kopf ab. Eine sehr alte Frau. Sehr zart. Frau N. geht spazieren weiterlesen

Der § 219a StGB steht auch in der juristischen Kritik

Kristina Hänel und Dörte Frank-Boegner (Vorsitzende pro familia Bund) ©keartus

veröffentlicht im pro familia Magazin 1/2020

siehe auch

Erneut musste sich das Landgericht Gießen mit der Strafsache Hänel befassen. Die Allgemeinmedizinerin war 2017 zu 6.000 Euro Strafe verurteilt worden, weil sie auf ihrer Website über Schwangerschaftsabbrüche in ihrer Praxis informiert. Denn das ist gemäß § 219a StGB verboten. Anlass des erneuten Termins war die Reform des § 219a StGB im Frühjahr 2019. Seitdem dürfen Ärzt*innen auf ihrer Website zwar bekannt geben, wenn sie Abbrüche durchführen – aber ohne jede weitere Information. Das OLG Frankfurt wies das Landgericht Gießen daher an, Kristina Hänels Informationsverhalten aufgrund der Reform neu zu bewerten.

Die Richterin äußerte sich einerseits kritisch: Die Reform des 219a haben zu mehr Unklarheiten geführt und sei zu schnell gestrickt worden. Es sei zu Fehlern dabei gekommen. Zuvor hatte Hänels Verteidiger dargelegt, dass der 219a keinen Fötus vor einer konkreten Gefährdung schützen würde, sondern nur abstrakt, was allerdings rechtsdogmatischer Unfug sei. Zudem würden ärztliche Berufsrechte verletzt und daher müsse das Bundesverfassungsgericht den 219a bewerten und das Landgericht die Sache direkt in Karlsruhe vorlegen. Da außerdem Europarecht berührt sei, könne das Verfahren auch ausgesetzt und zunächst eine Meinung des Europäischen Gerichtshof eingeholt werden. Richterin wie Staatsanwalt wollten sich allerdings nicht durchringen, den Vorschlägen der Verteidigung zu folgen, sondern lediglich den Straftatbestand überprüfen. Und so bestätigte die Kammer, dass Hänel gegen § 219a StGB verstoßen habe und senkte nur das Strafmaß auf 2.500 Euro ab. Der § 219a StGB steht auch in der juristischen Kritik weiterlesen

Rede am Holocaustgedenktag vor dem Meßberghof (Ballinhaus)

Weitere Redebeiträge sowie Fotos sind hier zu sehen.

Rede im Wortlaut:

Der Bauer Verlag, dem unter anderen der Meßberghof heute gehört, hat sich jetzt bereit erklärt, seinen Teil zur Aufarbeitung der Geschichte zu leisten.

Denn der frühere Verleger, Großvater der heutigen Verlegerin, war NSDAP-Mitglied und hat sich an jüdischem Eigentum bereichert wie er auch eine wichtige Rolle in der Strategie der Nazi-Propaganda gewesen war.

Ganz freiwillig hat er sich nicht zur Aufarbeitung bereit erklärt, erst die Medien mussten ihn an die Vergangenheit erinnern. Man hätte es dort gern vergessen, behauptet gar, keine Unterlagen mehr aus dieser Zeit zu besitzen. Aber das ist vorbei! Rede am Holocaustgedenktag vor dem Meßberghof (Ballinhaus) weiterlesen

“Strafsache Hänel!”

©keartus

Ein Bericht vom Prozesstag, 12. Dezember 2019

„Strafsache Hänel!” Laut und streng ruft eine Justizangestellte durch den Flur des Landgerichts Gießen. Aber wir sitzen schon alle im Zuschauerraum. Alle, die an der Kundgebung vor dem Gerichtsgebäude teilgenommen haben und jetzt den Verlauf des Prozesses gegen Kristina Hänel verfolgen wollen.

Erneut muss sie sich gegenüber dem Landgericht verantworten, weil das Oberlandesgericht Frankfurt ihre Sache zurück verwiesen hatte. Grund war die Reform des § 219a StGB, der einen Zusatz erhalten hatte. Seitdem dürfen Ärzt*innen, die Abtreibungen machen, dies auf ihrer Website bekannt geben. Das OLG Frankfurt war daher der Auffassung, dass das Verfahren von Kristina neu bewertet werden müsse. Und nun sitzen wir hier ein zweites Mal und harren der Dinge. Ich fasse hier den Prozesstag zusammen, die Wiedergabe ist keineswegs vollständig. Aber sie zeichnet meiner Meinung nach den Verlauf und die wesentlichen Argumentationsstränge nach. “Strafsache Hänel!” weiterlesen

Mein alljährlicher Weihnachtsblues

Grüffelo, Foto ©keartus

Diesem Grüffelo, den ich meinem Enkel vor ein paar Wochen geschenkt habe, mag Weihnachten nichts anhaben. Bei mir hingegen löst das Fest der Feste jedes Jahr Krisen aus. Ich weiß nur nie, wann genau. Und in welcher Intensität. Es kann beim Anschauen von Fotos passieren.  Bei einem Film. Bei irgend einer Szene in der U-Bahn, die ich mit erlebe. Oder auf einer Weihnachtsfeier. Spätestens ab 25. Dezember hänge ich dann vollends durch und muss alles, was nach Weihnachten aussieht, aus meinem Nahfeld entfernen. Der Baum, wenn ich einen aufgestellt habe, fliegt in der Regel nach dem 2. Weihnachtstag raus. Mein alljährlicher Weihnachtsblues weiterlesen