Noch vor wenigen Tagen habe ich wieder einmal an sie gedacht. Wie es ihr wohl geht? Was ihre Gesundheit macht? Ob sie wieder reisen kann? Am 13. Mai 2014 ist Gisela Kessler 78-jährig gestorben. Es ist ein großer Verlust für die Frauen- und Gewerkschaftsbewegung. Ich bin traurig.
Ich lernte Gisela Kessler kennen, da war ich noch keine 20 Jahre alt. Sie ist damals für mich eine imposante, respektable Erscheinung gewesen. Herzlich, laut, wortstark. Ihre heisere Stimme war unverwechselbar. Auf politischen Seminaren in Heidenrod/Springen, dem zentralen Schulungsheim der DruPa, lernte ich in den 1980er Jahren bei ihr das Einmaleins des proletarischen Feminismus. Menschliche Wärme war ihr immer eigen: Als ich 1988 hochschwanger ein Frauenseminar bei ihr besuchte, besorgte sie mir einen bequemen Stuhl.
Als sie 1995 als stellvertretende Vorsitzende der IG Medien von Detlef Hensche verabschiedet wurde, sagt er, nachdem er das vorbereitete Manuskript beiseite gelegt hatte: “Alles zu hölzern und gestanzt, wenn man dich selbst, deine Ausstrahlungskraft und Wärme dagegensetzt.” Gisela war auch Rechtssekretärin beim DGB, sie war vor allem aber jahrelang Frauensekretärin der IG Druck und Papier – und setzte Maßstäbe für die Gleichberechtigung und Lohngerechtigkeit.
1979 organisierte sie die Solidaritätsbewegung für die Heinze-Frauen. 29 weibliche Angestellte aus der Abteilung Filmentwicklung der Gelsenkirchener Firma Photo Heinze klagten auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Die Heinze-Frauen gewannen den Aufsehen erregenden Arbeitsgerichts-Prozess 1981 in letzter Instanz.
Giselas politische Botschaften lauteten: Uns Frauen wird nichts geschenkt. Wir müssen für unsere Rechte kämpfen. Und zwar an der Seite vom Manne – nicht unter ihm, nicht gegen ihn. Aber auch: Die Menschen sind in Klassen aufgeteilt. Daher müssen wir in einer Gewerkschaft für stete Verbesserungen in der Arbeitswelt – ohne die wir nicht existieren können – streiten. Die Kämpfe sind stets Kämpfe um Zeit und Geld.
Gisela Kessler war mehr als eine Stimme in der Frauenbewegung. Sie war Ermutigerin. Sie hat tausende Frauen ermutigt, zu kämpfen. Sie hat mich ermutigt, mein Ungerechtigkeitsempfinden politisch umzusetzen und zu handeln. Gut in Erinnerung ist mir das von ihr organisierte Wiesbadener Tribunal geblieben, eine 1988 spektakulär inszenierte Veranstaltung gegen prekäre Arbeitsverhältnisse, in dem sie als Anklägerin aufgetreten war.
Stets den Blick von unten schärfen – das ist Gisela Anliegen gewesen. Und sich auf Augenhöhe begeben. Einmal sagte sie zu mir: Manchmal ist es doch kein Wunder, dass Männer uns nicht ernst nehmen, wenn wir unablässig Sexualität funken. Ich habe diesen Satz mein Leben lang mit mir getragen. Und er hat mir oft geholfen. In betrieblichen Verhandlungen, in meiner politischen Arbeit. Denn natürlich sind es vor allem die Männer, die Frauen aufs Objekt reduzieren. Aber es sind wir Frauen, die uns das nicht gefallen lassen dürfen. Also nicht kokettieren, sondern diskutieren. Und nicht flirten, sondern streiten. Nicht immer nur lächeln, sondern das eigene Ziel nicht aus den Augen verlieren.
In den Gesprächen der letzten Jahre sprach sie viel von ihrer Mutter, die sie jahrelang gepflegt hatte. Es sei eine wichtige Zeit für sie gewesen, sagte sie mir immer wieder. Leider wollte sie aus gesundheitlichen Gründen einer Einladung von mir nach Hamburg zu einer Veranstaltung nicht mehr nachkommen.
Gisela, Du bist eine ganz Große gewesen. Eine wichtige Frau für mich. Die alten Unterlagen aus den gemeinsamen Seminaren mit Dir habe ich allesamt aufgehoben. Sie bezeugen die gute Lehrerin in Dir. Eine Lehrerin für den Klassenkampf, für gelebte Solidarität.
Texte über Gisela Kessler:
Marx21, 2014
Freitag, 2005
Publik, 2005