Suchen, finden, verstecken, entdecken

img_4992Es ist so, als wenn das Erreichen des sechsten Lebensmonats bei meinem Enkel zugleich der Eintritt in eine neue Lebensdimension darstellt: Er schaut jetzt gerne Menschen hinterher und dreht den Kopf bei Geräuschen. Er hält Sachen fest und greift danach. Der Popo hebt sich, er kann kullern, und er lacht gern und oft.

Auch die Mimik seines weichen Babygesichts spiegelt Gefühlsvielfalt wieder. Da sind jetzt  – im Unterschied zum Anfang, wo seine Wahrnehmung Hunger, Sattsein, Müdigkeit und noch Verdauungsprozesse umspannte – nun Ausdrücke von Freude, Glück, Ärger, Unzufriedenheit, Lust, Überraschung hinzu gekommen.

Und Neugierde: Noch wird er voll gestillt. Aber wenn jemand isst, dann stellt er jede Regung ein und schaut gebannt auf diesen Akt. Was machen die da? Was ist das für ein Gerät, mit dem da etwas ins Gesicht gesteckt wird? Am besten Mal nachmachen: Als es neulich das erste Mal ein paar Löffel Obstbrei gab, war das ein spannender Moment. Was kommt da in den Mund? Was macht man damit? Er machte ein überraschtes Gesicht beim Runterschlucken. Dass das Essen war, wusste er noch nicht. Der Zusammenhang zwischen Brei auf dem Löffel, in den Mund stecken, kauen und Runterschlucken ist noch nicht hergestellt. Aber die Neugierde wird dieses Kunststück bald zum Alltag werden lassen.

Ein weiterer Ausdruck, der auf seinem Gesicht zu sehen ist, ist Schalk. Mein Enkel ist witzig. In den letzten Wochen zeigte er noch Spaß daran, wenn man witzig mit ihm gewesen ist: Hochheben, in der Luft schaukeln, Dutzidutzi machen – das zaubert ein breites Lächeln und auch schon lautes Lachen auf sein Gesicht. Aber jetzt ist er witzig mit anderen!

Er  fordert es heraus: Gestern habe ich ihn in seine Wiege gelegt. Neben ihm lag ein kleines rotes Kissen, das auch schon bei meinen Kindern im Bett gelegen hat: Mit St. Pauli-Emblem darauf. So etwas haben Kinder, die im und um das Schanzenviertel aufwachsen, selbstverständlich in ihren Betten.

Dieses kleine rote Kissen passt in die Hände meines Enkels. Er zog es über sein Gesicht. Ich fragte laut: „Wo bist Du? Kuckuck!“ – Da schob er das Kissen beiseite, schaute mich an und lachte. Ich sagte: „Aaaah, da bist Du! Du warst versteckt!“ Dann schob er das Kissen wieder über sein Gesicht. Ich sagte wieder: „Wo bist Du? Kuckuck!“ – Und wieder zog der das Kissen zur Seite, hielt es weiter fest in seinen beiden Händen.

Das Versteckspiel dauerte ein paar Minuten. Wieder und wieder schob er das Kissen über das Gesicht und wieder zur Seite. Lachen, verstecken, abwarten, aktiv werden – so komplexe Handlungen mit fünf Lebensmonaten bewusst zu vollziehen, sind ein Wunder, finde ich.

Witzig sein ist gar nicht so leicht. Es setzt voraus, dass ich Reaktion erwarte. Niemand ist für sich selbst witzig. So wie man sich auch nicht selbst kitzeln kann, kann man sich auch nicht selbst einen Witz erzählen oder sich mit einer Grimasse überraschen. Vermutlich ist es eine der wichtigsten Eigenschaften der Menschen, miteinander witzig zu sein. Eine Errungenschaft der Evolution. Können Tiere witzig sein? Ja, Primaten wohl. Witzig sein ist also schwer und zugleich so leicht, dass es ein fünf Monate altes Baby einsetzt, um Kontakt aufzunehmen: Ich nehme Dich wahr. Ich mache etwas mit Dir. Ich entlocke Dir Reaktionen.

Das ist bewundernswert. Und richtig süß.

Ein Gedanke zu „Suchen, finden, verstecken, entdecken“

  1. Das ist ein schöner Erlebnis-Bericht! Ich beneidet dich um solche Erlebnisse. Aber vielleicht wird es bald auch für Schwule und Lesben möglich, wenn sie gemeinsam Kinder adoptieren können. Wir haben ja schon einiges erkämpft.

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