Was uns Frauen wesentlich von Männern unterscheidet, ist, dass wir Kinder kriegen können. Den folgenreichen, sich lebenlang auswirkenden, Unterschied spürt eine Frau aber meist erst dann, wenn sie eines bekommt – und auch, wenn sie es nicht austragen will. Abtreibungen werden hierzulande seit vielen Jahren unter bestimmten Voraussetzungen geduldet, aber sie sind grundsätzlich immer noch nach dem Strafgesetzbuch verboten. Die jüngste Geschichte zeigt zudem: Das Selbstbestimmungsrecht der Frauen wird je nach politischer Wetterlage neu definiert: In Spanien drohte erst vor kurzem ein Abtreibungsverbot. Nicaragua hatte einst ein liberales Abtreibungsrecht, heute sind Abtreibungen dort vollständig verboten Derzeit stehen in 68 Prozent aller Länder Abtreibungen voll unter Strafe, darunter auch Mexiko, Ägypten, Malta, Kenia. In diesen Ländern leben 25 Prozent der Weltbevölkerung. Deutschland gehört zu den 57 Ländern, die eine Fristenlösung haben – in der ehemaligen DDR seit 1972, in der alten BRD seit 1974.
Charlotte Worgitzky hat daher Anfang der 1980er Jahre ein bis heute aktuelles Buch geschrieben. Und wenn wir mal ehrlich sind: Bis heute ist es ein Tabu, über Abtreibungen zu reden. Sie werden bei uns und an uns vorgenommen und gut. Es gibt ausreichend und finanzierte Beratungsangebote, doch Gegenstand politischer Debatten um den § 218 sind passé. Sie selbst in Frauengesprächen werden sie nicht mehr thematisiert. Konflikte darum sind psychologisiert und auf die individueller Ebene abgeschoben worden.
Die Protagonistin von Charlotte Worgitzky schildert, wie es zu ihren sechs Abtreibungen gekommen ist. Die Schilderungen sind eingebettet um die Inszenierung des Stücks „Cyankali“ von Friedrich Wolf aus dem Jahr 1929, in dem sich die schwangere Hauptdarstellerin am Ende selbst vergiftet, weil sie aus Versehen eine Überdosis des Gifts eingenommen hat, das dem viel beachteten Drama als Namensgeberin diente.
Die Schauspielerin Martha Trubec hat einen erwachsenen Sohn, der selbst in Kürze Vater wird. Und sie hat eine junge Kollegin, die sich zunächst keine großen Gedanken um das Thema macht, weil sie die Zeiten, in der Abtreibungen verboten waren, nicht mehr kennt. Und es gibt einen Dramaturgen und einen Intendanten, die die leidenschaftliche Sicht auf das Thema so gar nicht verstehen. So werden die verschiedenen Sichtweisen um Schwangerschaftsabbrüche spannend miteinander verstrickt und Positionen hinterfragt. Eine Schwangerschaft abbrechen oder nicht, ist eben nicht so einfach mit ja oder nein zu beantworten. Denn die Folgen können je nachdem traumatisierend und lebenslang sein. Die Lebenslage der Schwangeren ist viel zu vielen Einflüssen unterworfen. Und dafür sind auch die aktuellen Fristen oft zu knapp.
Ich habe „Meine ungeborenen Kinder“ Anfang der 1980er Jahre das erste Mal und heute mit den Augen einer Frau gelesen, die ebenfalls beides erlebte: Geburten und Abtreibungen. Ich kann sagen: Ich bin bei den Schwangerschaften und den darauffolgenden Geburten nie allein gewesen. Bei den Abtreibungen schon. Es ist bis heute ein Hinterzimmerthema geblieben.
Und ich finde, es ist an der Zeit, die gesellschaftliche Debatte neu zu entfachen: Der § 218 muss ganz verschwinden. Denn wir sollten uns von der Ruhe nicht täuschen lassen: Abtreibungsverbote als Waffe gegen die Frauen einzusetzen, ist immer noch eine gängige Methode. Gerade nicht hierzulande. Aber was ist Morgen? Oder Übermorgen?
„Meine ungeborenen Kinder“ von Charlotte Worgitzky, 322 Seiten