Wir befinden uns am Ende der 18. Wahlperiode des Deutschen Bundestages. In weniger als 100 Tagen wird der Bundestag neu gewählt. Während die Satirepolitsendung „Heute Show“ bereits in der Sommerpause ist, werden im Reichstag noch die Geschicke des Landes gelenkt. Ich bin seit April Teil der linken Opposition, betrachte die Politik nunmehr aus der Sicht einer Mitarbeiterin einer Bundestagsabgeordneten. Eine spannende Perspektive. Nicht so stressig wie als Abgeordnete selbst, aber nicht viel weniger vielfältig. Hier eine Presseerklärung, da ein Grußwort, eine Einschätzung zu einer Gesetzesinitiative. Ein Webvideo. Und nun das erste Mal bei einer Sitzung des Bundestages dabei. Beobachterin.
„Meine“ Abgeordnete hält heute zwar keine Rede, beteiligt sich aber an der Fragestunde. Es geht um das Gutachten zum Gleichstellungsbericht. Die neue Ministerin Dr. Katarina Barley (SPD), die auf Manuela Schwesig folgte, stellt die Ergebnisse der Sachverständigen im Plenum vor. Ich bin erstaunt: Fünf Minuten sind dafür vorgesehen. Hätte ich mich nicht vorher informiert, das Gutachten durchgeschaut und heute Morgen auch die Presse dazu gelesen, hätte ich aufgrund der Darstellung der Ministerin vermutet, es handele sich um eine dürre Broschüre. Dass das Ministerium den Bericht bereits seit Mitte Januar hat, lässt sie unerwähnt. Warum kommt es erst heute auf die Tagesordnung, in der vorletzten Sitzungswoche?
Tatsächlich umfasst das Gutachten eng bedruckte 196 Seiten, inklusive Literaturhinweisen und Handlungsempfehlungen. Die Sachverständigen gehen schonungslos mit der Gleichstellungspolitik der Bundesregierung um: Die Ungleichbehandlung zeige sich auf allen Felder nachhaltig und anhaltend: Bei der Bezahlung der Erwerbsarbeit, bei der unbezahlten Arbeit wie Kinder, Haushalt, Pflege, bei den Einkommen im Alter. Maßnahmen, die in der Vergangenheit ergriffen wurden, hätten nur wenige Veränderungen gebracht, etwas dass etwas mehr Männer als früher Pflegepersonen seien. Die Frauenerwerbstätigkeit habe zugenommen. Mehr Kinder seien heute in öffentlicher Betreuung. Unbestreitbare Fakten, aber sie zeigen sich nur vage Trends, keine Trendwende. Von einer Gleichstellung der Geschlechter sei dieses Land noch weit entfernt. Teilzeit sei bespielsweise bei Frauen und insbesondere bei Frauen mit Migrationshintergrund sehr hoch. Geflüchtete Frauen würden – unabhängig von ihrer tatsächlichen Qualifikation – vorwiegend in schlecht bezahlte Dienstleistungsbereiche vermittelt.
Doch darüber verliert die Ministerin kein Wort. Auch nicht zur Weiterbildung: Männer profitierten vielmehr von betrieblicher Weiterbildung als Frauen, steht da geschrieben. Die Sachverständigen legen die Ursachen dafür offen. Ganz klar ein Problem, das doch eigentlich schon ab Januar hätte angegangen werden können. Wer hat da gepennt? Wer wollte nicht, dass das noch Thema wird? Oder dass Deutschland europaweit Europa die größte Rentenlücke zwischen den Geschlechtern aufzeigt. Das ist doch nicht nur eigentlich ein Skandal. Aber für die Ministerin ist das offenbar nicht erwähnenswert. Fünf Minuten hat sie. Sie nutzt die Zeit, um zu sagen, dass die Gleichstellung noch nicht erreicht sei. Dass erstmals auch die Unterschiede bei der Pflegearbeit untersucht wurden. Schön. Aber was folgt daraus? In dieser Wahlperiode sei viel angeschoben worden. Gleichstellung sei kein Sprint, sondern ein Marathon, meint sie. Den Satz hat sie morgens schon im Fernsehen gesagt.
Die Fragen der Abgeordneten darauf sind gut. Sie fragen, warum es so lange dauerte, bis der Bericht auf die Tagesordnung kam. Conni Möhring fragt nach dem Entgelttransparenzgesetz. Und nach der Prioritätensetzung, die sich für die Ministerin aus dem Gutachten ergäben. Dr. Barley antwortet kurz, eine Minute hat sie für die Antwort laut Protokoll, Ampelfarben deuten bei laufender Uhr die ablaufende Zeit. Sie bleibt allgemein und dass sie sich auch mehr gewünscht hätte. Vielleicht in der nächsten Wahlperiode, wenn sie dann noch dabei sei, sagt sie etwas hoffnungsvoll.
Wer nicht fragt, sind Abgeordnete von CDU und CSU. Das ist nicht nur peinlich. Das sagt alles. Desinteresse pur. Ich erinnere mich daran, wie sie gemauert haben, bis der gesetzliche Mindestlohn endlich durch war. Mit vielen Ausnahmen. Zu vielen. Der Mindestlohn, heißt es in dem Gutachten, habe (dennoch) dazu beigetragen, dass sich der Gender Pay Gap verringert habe. Ich schließe daraus: Er wäre durchschlagender gewesen, wenn er ohne Ausnahmen eingeführt worden wäre. Es sagt etwas darüber aus, was CDU und CSU Gleichstellung wert ist. Wenig bis nichts.
Ob die SPD nach den Wahlen wieder mit CDU und CSU koaliert? Ich mag gar nicht daran denken. So rutscht Gleichstellung auf der Schneckenspur herum, das kann sich auch die SPD nicht schönreden.