Es ist vorbei. Nun kann ich darüber schreiben. Das ging vorher nicht, denn ich musste in den letzten Wochen mit zwiespältigen Gefühlen klarkommen. Und wollte meine Gemütslage nicht bloßlegen. Wollte weder die berühmten Pferde scheu machen noch andere zum googeln verleiten, weil mir mein eigenes Halbwissen bereits mehr als reichte. So wussten nur ganz wenige Menschen Bescheid.
Meine Frauenärztin hatte Mitte Juni bei einer Routinevorsorge eine Zyste entdeckt. Und weil die an einer Stelle saß, wo sie – in meinem Alter – nicht mehr hingehörten sollte, empfahl die Ärztin sowohl ihre Entfernung wie auch die der Keimdrüse, an der sie hing. Sie überwies mich an ein Krankenhaus, das für diese Art Operationen eine gute Adresse sein soll.
Vielleicht hätte sie aber einige Sätze nicht sagen oder ihre Vermutungen anders ausdrücken sollen. So aber sagte sie: “Man kann ja immer etwas finden.” – “Das kann auch Überdiagnostik sein.” – “Dahinter kann sich etwas verbergen, was auch nicht so schön sein kann.” Aussagen, die auf mich wirkten, langsam in mich einsickerten, von meinen Gedanken Besitz ergriffen, mich Stück für Stück hilfloser machten. Vielleicht aber hätte der Befund auch gar nicht so viel ausgelöst, hätte ich nicht mehrere Wochen auf das Gespräch im Krankenhaus warten müssen. Denn natürlich rief ich gleich dort an. Doch erst vier Wochen später hatte man Zeit für mich.
Ich wusste bislang: Zysten sind normal. Ich hatte immer welche. Nun sollte diese, bzw. das, was sie verbergen könnte, eine Gefahr darstellen? Eierstockkrebs gilt als aggressiv. Er wird oft zu spät entdeckt, ist allerdings selten. Aber die Wahrscheinlichkeit, an einem Krebs zu erkranken, steigt nunmal statistisch mit dem Alter. Ich bin im besten Krebsalter. Insofern hätte ich eigentlich froh sein können, dass meine Ärztin die Zyste entdeckt hatte. War ich aber nicht. Je früher, desto besser, gilt bei Krebs nämlich längst nicht immer. Aber was gilt schon. Beim Thema Früherkennung kloppen sich selbst anerkannte Fachleute, wie lebensrettend sie sein kann. Oder ob sie Menschen nur früher und damit länger zu Patient*innen macht.
Und nun musste ich warten, warten, warten. Und lebte den persönlichen Weltuntergang.
Denn mein Leben könnte sich nun ja bald grundlegend ändern. Dabei lebe ich es, so wie es jetzt ist, unglaublich gern. Und ausgerechnet jetzt, wo ich eine Freiheit besitze wie nie zuvor, soll es durch einen Krebs eingeschränkt, vielleicht sogar in naher Zukunft beendet werden? Denn selbst wenn nicht: Eine Krebsdiagnose bedeutet mindestens, zunächst für viele Monate aus dem gerade geführten Leben herausgeworfen zu werden.
Bereits die Wartezeit bis zum Termin im Krankenhaus hatte praktische Folgen: Die Geburtstagsfeier eines Freundes, die nur wenige Tage nach der Untersuchung stattfand, verließ ich nach zwei Stunden wieder. Ich fühlte mich falsch dort, zumal eine schwer an Krebs erkrankte Bekannte da war und ich keine Ahnung hatte, wie ich mit ihr sprechen sollte, ohne die Sorgen über mich selbst zu erwähnen. Von einer weiteren Geburtstagsfeier ging ich ebenfalls früh fort, obwohl ich auch ein wenig Lust zu tanzen gehabt hatte. Die Hochzeitsfeier eines befreundeten Paares habe ich gleich ganz abgesagt. Kurzzeitig hatte ich zudem sogar überlegt, doch kein eBike anzuschaffen. Denn es würde ja höchstwahrscheinlich sowieso bald nur noch herumstehen. Abends im Bett wurden meinen Gedanken besonders schwermütig. Jeder Film triggerte mich, handelte er von Tod und Krankheit oder von den großen Gefühlen wie Liebe, Einsamkeit, Verlust, Hilfsbereitschaft.
Vielleicht war es der Gedanke, das Fahrrad nicht zu kaufen, durch den ich dann die Reißleine zog: Mach Dich nicht verrückt! Aber auch: Es ist doch zynisch, spekulativ Endzeitstimmung zu verinnerlichen, während andere gerade ganz konkret da durch gehen. Mach dich nicht kirre wegen einer vagen Vermutung und einer vorsorglichen OP. Du bist doch sonst auch eine Anhängerin von Fakten und Evidenz! Doch in der Nacht vor dem Gespräch im Krankenhaus schlief ich kaum. Und dachte: Wie muss es erst Menschen gehen, die so einer Situation ganz allein ausgesetzt sind? Ich weiß, es ist eine Hilfsstrategie von mir, aber wenn ich daran denke, dass es anderen noch schlechter als mir geht, hilft mir das leider wirklich. Immer schon. Auch wenn das nicht immer gut war, weil ich meine Angelegenheiten früher deswegen zu oft zurück gestellt hatte, anstatt mich und meine Bedürfnisse wichtig zu nehmen.
Das Gespräch und die Untersuchung im Krankenhaus taten unglaublich gut. Die sehr junge Frauenärztin strahlte einen Optimismus aus, der sich nicht falsch anfühlte, sondern realistisch. Die OP – eine Bauchspiegelung – wurde mir gut erklärt. Nach diesem Gespräch hatte ich keine Lebensangst mehr, die Niedergeschlagenheit war weg. Auch wenn überhaupt keine Veränderung eingetreten war, was Prognose und Wahrscheinlichkeit anging. Aber ich hatte meinen OP-Termin in der Tasche, nur eine Woche später sollte er stattfinden. Ich war wieder geerdet. Komisch, nicht?
Und nun ist sie auch schon vorbei. Ich bin die Zyste los und auch den Eierstock, an dem sie hing. Ich habe ein paar Schnitte im Bauch und das restliche Gas in mir nervt, aber ich habe keine großen Schmerzen. Auch die Werte des einschlägigen Tumormarkers in meinem Blut waren niedrig. Das mich begleitende Team im Krankenhaus war sehr nett, laut Anäthesist habe ich sogar noch gequasselt, als sie mir schon die Narkose eingeflößt hatten – und mussten nochmal “nachlegen”. Daran kann ich mich partout nicht mehr erinnern. Die Pflegefachkraft (Sie sagen alle zu sich selbst immer noch “Schwester xxx”) versorgte mich nach dem Aufwachen mit Kaffee und Zwieback. Und die Ärztin, die mich operiert hatte, kam nochmal zu mir und hat sich aufmerksam erkundigt. Ich habe aber auch den Pflegenotstand konkret wahrgenommen. Es ist unglaublich, was die Pflegekräfte leisten müssen – und was sie leisten! Ich spürte Dankbarkeit und war sehr erleichtert.
Ich habe mich eine Woche lang krank schreiben lassen und mir Schonung verordnet – was leider nicht einfach ist. Denn es ist ja immer irgendetwas. Und nun hoffe ich, dass auch die feingewebliche Untersuchung ergebnislos bleibt.