Der FREITAG: “Der Paragraph 218 muss weg”

Veröffentlicht in DER FREITAG, 20. Mai 2021, Seite 2

Als das Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen vor 150 Jahren in das Strafgesetzbuch aufgenommen wurde, saßen die Katholiken mit 60 Abgeordneten einer eigenen Fraktion der Zentrumspartei im Reichstag. Es drohten bis zu fünf Jahren Zuchthaus. Frauen hatten weder aktives noch passives Wahlrecht. Die Nazis verboten dann jegliche „Werbung“ durch Ärzt:innen, womit auch sachliche Information gemeint war, und führten die Todesstrafe ein.

So alt wie der 218 ist der Widerstand dagegen: Stets versuchten sozialistische Parteien sowie Frauenbewegungen, den Unrechtsparagraphen zu kippen. Zu dramatisch seine Auswirkungen: Unzählige Frauen verbluteten bei Kurpfuschern oder in Folge selbst herbeigeführter Aborte, etwa per Kleiderbügel. Oder durch Blutvergiftungen. Noch heute, schätzt die WHO, sterben an die 50.000 Frauen weltweit durch unsachgemäß durchgeführte Abtreibungenm, dem fünfhäufigsten Grund für Müttersterblichkeit. Der FREITAG: “Der Paragraph 218 muss weg” weiterlesen

150 Jahre Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen: Schafft endlich § 218 ab!”

Veröffentlicht: Hamburger Morgenpost, 15. Mai 2021

Wer in Deutschland eine Schwangerschaft abbricht, kann bis zu drei Jahre ins Gefängnis kommen. Das ist mit dem Tag heute seit 150 Jahren die gültige Gesetzeslage: Der Reichstag hatte am 15. Mai 1871 den entsprechenden §218 ins Strafgesetzbuch aufgenommen. Dort steht er bis heute, macht dadurch Schwangerschaftsabbrüche zu Gesetzesbrüchen. Und das ist ein Skandal.

Denn der Kampf gegen das Abtreibungsverbot tobt seit Dekaden: Frauenorganisationen, Politikerinnen und Politiker versuchten immer wieder, den 218 abzuschaffen oder zu reformieren. So brachten 55 Abgeordnete der sozialistischen USPD bereits 1920 einen Antrag in den Reichstag ein – vergebens. Der Kaiser brauchte Soldaten, die Fabrikbesitzer Arbeiter – so einfach war die Rechnung. Und so unmenschlich war sie aus Sicht der betroffenen Frauen. Auch der Einfluss der katholischen Kirche war stark, ihre Deutungshoheit über den Beginn menschlichen Lebens beeinflusste Gesetzgeber und Gerichte. Dass die Kirchenleute damals wie heute völlig willkürlich argumentieren, schien nicht zu stören: Noch bis ins 19. Jahrhundert hinein befand die Kirche die Beseelung des männlichen Fötus bei 40 Tagen, die des weiblichen bei 80 Tagen. Ich wundere mich manchmal, dass fromme Gläubige Geburtstag feiern und nicht den Tag ihrer Zeugung. 150 Jahre Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen: Schafft endlich § 218 ab!” weiterlesen

Die Selbstgerechte

Zurzeit wird das neue Buch von Sahra Wagenknecht, „Die Selbstgerechten“ innerhalb der LINKEn heiß diskutiert. Anlass ist die Landesvertreter*innenversammlung der NRW-LINKEn am 10. April, bei der ide Landesliste für die Bundestagswahlen aufgestellt wird. Sahra kandidiert für Platz 1, was viele verhindern möchten. Viele andere wollen sie dort unbedingt sehen. Ansonsten, so lauten Befürchtungen, die ich unter anderem auf Facebook gelesen habe, hätte DIE LINKE keine Chance bei den Wahlen. Eine gewagte These, wie ich finde. weil sie nämlich nicht belegt wird. Als Meinungsäußerung ist sie natürlich okay. Eine weitere Behauptung kursiert, dass Sahra keine Linke mehr sei, sondern mittlerweile eine Rechte. Sie bekenne sich zum Konservatismus und ihre Aussagen zu Migration klingen, als würden sie aus dem Mund von AfD’lern kommen. In diesem Texte soll es vor allem darum gehen, dass man Behauptungen auch belegen soll. Daran kann die Glaubwürdigkeit gemessen werden. Die Selbstgerechte weiterlesen

Als ich auszog, das Regieren zu lernen

Screenshot TV-Beitrag Bremer Regionalfernsehen

Ich habe ein Jahr lang im Stab der Bremer Gesundheitssenatorin gearbeitet. Also während dieser eigentlich unfassbaren, seit der Spanischen Grippe nicht mehr da gewesenen, Gesundheitskrise der Menschheit, der Corona-Pandemie. Damit hatte ich die Gelegenheit, bei linker Regierungspolitik mitzumachen. Doch als die Koalition an der Weser geschmiedet wurde, ahnte noch niemand, was wenige Monate später auf die Welt zukommen würde. So wurden Haushaltspläne Makulatur und die Arbeitsfähigkeit von Parlamente und Regierungen einem Stresstest unterzogen. Und ich war mitt’n mang. Als ich auszog, das Regieren zu lernen weiterlesen

Rosa Luxemburg zu Quote und Gendern

©casimira

Wäre Rosa Luxemburg – deren Geburtstag sich am 5. März 2021 zum 150.-mal jährt, heute für die Quote und eine gendergerechte Sprache? Uneingeschränkt: Ja. Den Beleg dafür liefert die Visionärin unter anderem in diesem Text:

„Die Proletarierin“, 1914

Die Proletarierin braucht politische Rechte, weil sie dieselbe wirtschaftliche Funktion in der Gesellschaft ausübt, ebenso für das Kapital rackert, ebenso den Staat erhält, ebenso von ihm ausgesogen und niedergehalten wird wie der männliche Proletarier. Sie hat dieselben Interessen und benötigt zu ihrer Verfechtung dieselben Waffen. Ihre politischen Forderungen wurzeln tief in dem gesellschaftlichen Abgrund, der die Klasse der Ausgebeuteten von der Klasse der Ausbeuter trennt, nicht im Gegensatz von Mann und Frau, sondern im Gegensatz von Kapital und Arbeit. … Rosa Luxemburg zu Quote und Gendern weiterlesen

Meine Großväter

©privat

UPDATE 19.12.21, siehe neuer fünfter Absatz

Meine Großväter Alfred, geb. 1911, und Johann (geb. 1904) waren Mitglieder der NSDAP. Ich habe ihre Parteiausweise vor kurzem als Kopie aus de Bundesarchiv erhalten. Johann habe ich nicht kennengelernt. Er starb, als ich ein paar Monate alt war. Alfred war fester Bestandteil meiner Kindheit und hat auch noch seine beiden Urenkelkinder kennengelernt, bevor er 1988 an einer Krebserkrankung gestorben ist. Er war ein ruhiger, friedfertiger Mensch, der manchmal aus seiner Kriegsgefangenenschaft Geschichten erzählte. Lustige Erzählungen. Alfred war zudem Mitglied der Waffen-SS. Wohl auch deswegen steckten ihn die Alliierten ins Lager.

Meine Oma berichtete andere Dinge aus dieser Zeit: Über den Hunger, das Hamstern und ihre Angst vor Vergewaltigungen. Über die Besetzung ihres Hauses durch die Amerikaner. Und dass mit 28 Jahren angefangen hatte, zu rauchen – vor Hunger. Auch dass meine Mutter 1940 gezeugt wurde und ihren Vater erst kennenlernte, als sie fünf Jahre alt war. Meine Mutter war eine Hausgeburt, die Füße kamen zuerst und es war einer der heißesten Tage des Sommers 1941. Ich habe mir oft vorgestellt, was das für eine Strapaze gewesen sein muss. Meine Großväter weiterlesen

Abtreibung ist ein Grundrecht

veröffentlicht in: Mittelbayerische Zeitung, September 2020 “Außenansicht”

Dass immer weniger Ärztinnen und Ärzte Schwangerschaftsabbrüche durchführen, ist ein wachsendes Problem. Ungewollt Schwangere müssen immer größere Wege zurücklegen, um abtreiben zu lassen. Daher gibt es den richtigen Vorstoß, Universitätskliniken zu verpflichten, Abtreibungen durchzuführen und das dafür erforderliche, ärztliche Personal einzustellen.

Offenbar ist in den vergangenen Jahren auch die Debatte darüber innerhalb der Ärzteschaft zu kurz gekommen. Dies mag mit daran gelegen haben, dass die ärztliche Tätigkeit zunehmend durch kommerzielle Interessen bestimmt wird. Ärztinnen und Ärzte müssen heute vielmehr darauf achten, dass sie ihre Arbeit ökonomisch ausrichten und mit Schwangerschaftsabbrüchen kann man nicht viel Geld verdienen.

Abtreibungen sind etwas völlig Normales. Dennoch sind sie mit Tabu und Stigma belegt. So werden Ärztinnen und Ärzte, Beratungseinrichtungen wie Pro Familia und ungewollt Schwangere immer wieder durch Abtreibungsgegner belästigt und bedroht. Ein Spießrutenlauf insbesondere für Frauen, überwiegend übrigens Mütter, nicht wenige über 40 Jahre alt. Abtreibung ist ein Grundrecht weiterlesen

Keine ungeborenen Kinder

Ich habe mir nie die Frage gestellt, was es wohl für Kinder geworden wären. Ob Mädchen oder Jungen. Ob dunkelhaarig oder blond. Ob schlau, pragmatisch veranlagt, hochbegabt. Nie. Wirklich nicht. Die vier Schwangerschaften, die ich in meinem Leben bewusst beendet habe, hatten für mich keine Sekunde mit einem neuen Menschenleben zu tun. Waren also auch nicht von einem schlechtem Gewissen oder Schuldgefühlen gegenüber “ungeborenen Kindern” begleitet. Ich wurde in meinem Leben fünfmal ungewollt schwanger und viermal davon habe ich entschieden, abzutreiben. Fertig aus. Ich hatte zudem höchstwahrscheinlich eine Fehlgeburt ganz am Anfang einer Schwangerschaft. Auch die war kein Problem für mich. Ich hatte zu dieser Zeit keinen Kinderwunsch.

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