Die vermutlich älteste Frauenzeitschrift Deutschlands ist Ende 2015 das letzte Mal erschienen – und niemand hat es bemerkt. Frauenrat, die Publikation der gleichnamigen feministischen NGO, ist nach 63 Jahren eingestellt worden. In ihrer letzten Ausgabe beschäftigt sich das Blatt dem Thema Abschied.
Ich finde: Gerade in einer Zeit, in der die Gesellschaft über Sexismus diskutiert wie lange nicht, ist ein seriöses Blatt auch und gerade in gedruckter Form erforderlich.
Hannelore Puls, Vorsitzende des Deutschen Frauenrates, begründet in ihrem Schlusswort auf der letzten Mitgliederversammlung Anfang November 2015, dass eine Anpassung an die Leseverhalten unumgänglich geworden sei. Die Website des Verbandes würde thematisch ausgebaut werden, einmal im Jahr würde zudem eine monothematische Publikation in hochwertiger Aufmachung herausgebracht. Soziale Medien würden künftig stärker bedient, man sei bereits auf Twitter präsent. Leicht gemacht hat es sich der Frauenrat sicherlich nicht. Die Trauer über das Ende des Magazins ist jeder Seite des Heftes anzumerken.
Der Frauenrat ist eine wichtige Institution, auch wenn er in der medialen Öffentlichkeit kaum eine Rolle spielt. Ihm gehören derzeit 59 Frauenverbände und Gruppen an, relevante Frauenkreise der Bundesrepublik Deutschlands. Er fokussiert die feministische Debatte vor aktuellen gesellschaftlichen Diskursen und hat damit Leitwirkung. Das spiegeln die Themen des Magazins wieder: Im letzten Jahre befassten sich die Ausgaben mit “Musliminnen”, “Digitaler Welt”, “Vielfalt” oder “Flucht”. Die Berichte, Statements, Interviews wurden sorgfältig ausgewählt. Die “Frauenrat” setzte somit immer Impulse. Der Verband hat zudem einen Beraterstatus bei den Vereinten Nationen.
Warum ist es einer Zeitschrift wie “Emma” gelungen, bundesweit bekannt zu sein, der “Frauenrat” aber immer ein Geheimtipp geblieben? Eine Rampensau wie Alice Schwarzer konnte der Frauenrat bislang nicht hervorbringen. Das Konzept der Publikation bestand aus ruhigem Erzählen von Themen. Ausargumentieren, differenzieren. Während “Emma” das Boulevardmagazin der feministischen Presse ist, ist der “Frauenrat” eher dessen Zentralorgan gewesen. Ein bisschen verstaubt war die Zeitschrift schon – aber lediglich optisch wirkte der Titel altbacken. Inhaltlich und in seiner Lesbarkeit bot er immer Qualität und Anregungen für die frauenpolitische Arbeit. Die “Frauenrat” setzte Maßstäbe.
Ein gedrucktes Magazin kostet viel Geld. Da darf und muss es erlaubt sein, die Sinnfrage zu stellen, wenn diese Art Texte eben auch online verfügbar gemacht werden können. Und doch ist es ein fachlicher wie kultureller Einschnitt, einer Publikation ihre gedruckte Existenz zu nehmen. Gerade Frauen 50 plus bevorzugen das Gedruckte, sind unterproportional im Netz aktiv. Das gilt leider auch für Aktive im frauen- und gleichstellungspolitischen Bereich.
Dass die jeweilige Vorsitzenden des Deutschen Frauenrates nicht in den Talkshows der Fernsehanstalten eingeladen werden, zeigt, wie schwer sich die Frauenszene Deutschlands immer noch tut, wirksame, zeitgemäße Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben. Es zeigt aber auch, wie Medien ticken: Wenn an Silvester in deutschen Großstädten massenhaft Frauen Opfer sexualisierter Gewalt werden, schreit das ganze Land, klimpert es aus allen Kanälen, kommentiert jede und jeder, was das Zeug hält. Wenn sich der 25. November jährt, der internationale Tag gegen Gewalt an Frauen, kommt zu den Veranstaltungen bestenfalls das lokale Fernsehen.
Der Rückzug aus dem Print ist keine gute Antwort auf die ungelöste Frage, wie feministische Sichtweisen besser platziert und verbreitet werden können, und wie Einfluss genommen werden kann. Was auf dem Twitteraccount bislang passiert, verspricht keinen Wandel. Das mag sich noch ändern, aber seine derzeitig mageren 777 Follower sind ein Indiz, dass der Einfluss auf die öffentliche Meinung weiterhin gering ist.
Als Leitspruch steht auf der Website des Frauenrates ein Ausspruch von Emma Goldman, der 1940 verstorbenen US-amerikanischen Friedensaktivistin und Feministin: “Die verzeihlichste Sünde in unserer Gesellschaft ist die Unabhängigkeit der Gedanken.” Die Verbreitung dieser Gedanken ist nun um einiges schwerer geworden. Dem Feminismus ist eine wichtige Stimme verloren gegangen.