Marlene. Eine autobiographische Erzählung.
„Du darfst absolut niemandem sagen, wo ich bin!“ Marlene fixiert Nadine mit ihrem Blick.
Ich nicke, auch wenn ich jetzt schon davor Angst habe, ihrer Mutter zu begegnen, und entziehe mich ihren Augen. Das zerdepperte Sparschwein liegt auf dem Boden. Ich hatte es ihr vor Jahren zum Geburtstag geschenkt. Marlene fischt zwischen der zerbrochenen Keramik Münzen und Scheine heraus.
„Mist“, schimpft sie. Sie hat sich geschnitten. Fluchend rennt sie ins Bad. Ich trenne die Scherben vorsichtig von dem Geld. Zwei Häufchen entstehen. Marlene hat eine Zeit lang Zwanzig-Cent-Stücke gesammelt, die blitzblank aus der Prägung kamen. Und neue Fünf-Euro-Scheine. Die einmal in der Mitte gefalteten Fünfer sehen immer noch aus wie Spielzeuggeld, das Hartgeld glitzert nicht mehr. Heute Abend wird der Schatz geopfert. Ob das Geld für eine Fahrkarte nach Münster reicht?
„Ich habe noch 50 Euro“, rufe ich durch die Wohnung, „du kannst sie haben. Wer weiß, ob du es gleich findest. Vielleicht musst du ein Taxi nehmen.“
„Nein, verdammte Scheiße“, höre ich Marlene schimpfen. Dass sie mein Geld nicht will, hätte sie mir auch anders sagen können. Ich laufe zu ihr. Blut ist auf den weißen Wuschelteppich getropft, der vor dem Waschbecken liegt. Ich wickel ein Pflaster aus und klebe es meiner Freundin um den Finger. Marlene weiterlesen
Veröffentlicht im FREITAG, 30. Juni 2016
“Wie kommst Du auf die Idee, Trauerrednerin zu werden?”, werde ich oft gefragt, wenn ich erzähle, dass ich endlich 
Mit meinem zweiten Gartenjahr habe ich einen eigenen Blog eröffnet. Gemischten über Frühblüher, Hummeln, Rasenmäher und mehr können hier nachgelesen werden. Nach den Schnecken habe ich eine weitere Schädlingsart ausgemacht, die ich leider bekämpfen muss: Die Rhododendron-Zikade. Endlich habe ich nämlich herausgefunden, warum einige der Knospen so komisch aussehen und aus ihnen auch keine Blüte herauskommt. Ich habe in diesem Frühling schon etliche Stunden in meinem Garten verbracht, das Wetter hat – bis auf die letzte Woche auch schon gut mitgemacht. Meine erste Schrebergarten- Jahreshauptversammlung habe ich nun auch erlebt. Muss ja alles seine Ordnung haben. Wer also Lust hat, schöne Bilder anzusehen und meine Schrebergartenfortschritte nachzulesen, kann das
Die Jahre 2014/2015 sind für mich in vielerlei Hinsicht Jahre der Umbrüche gewesen. Ich wurde 50, wurde Großmutter, das Abgeordnetenmandat endete, mein langjähriges Arbeitsverhältnis ebenso. Ich pachtete einen Schrebergarten, aquirierte erste eigene Aufträge, machte Fortbildungen, streifte nach und nach meine Hülle als Lautsprecherin und Litfasssäule für meine Partei ab. Viele Kleidungsstücke hängen unbenutzt im Schrank. Blazer, Blusen, Hosen mit Bügelfalten. Und nun auch die schwarzen Sockenpaare. Weg damit!
Aus Bremen kam die Vergangenheit zurück in die Gegenwart. In einem schmucklosen Briefumschlag befand sich eine Neufassung meines Zeugnisses aus dem Jahr 1981. Absenderin: meine ehemalige Schule, das Gymnasium Horn. Ich hatte Anfang diesen Jahres Kontakt aufgenommen, weil ich das Original seit langem nicht mehr besitze. Sondern nur noch eine vergilbte, schlecht lesbare, Kopie. Ich brauche ein vernünftiges Papier, weil ich mich für neue Jobs bewerbe.
Es war heiß, an diesem Spätsommertag 2014. Auf der Langen Reihe – der Schlagader des Hamburger Stadtteils St. Georg – fuhren die Autos dicht an dicht. Fußgänger drängelten sich an den Stühlen und Tischen des Cafés vorbei, das auf dem schmalen Fußweg seine Gäste platzierte. Ich hatte mich dort mit Lutz und Jörg von der Aids-Hilfe verabredet. Wir aßen Kuchen. Es war eng, gemütlich, laut. Die beiden hatten einen Plan: Sie wollten mich für die neue
veröffentlicht: Neues Deutschland, Wochenendausgabe 5./6. März 2016:
Erschienen in der