Wenn die anderen tanzen

dsc_0254veröffentlicht im FREITAG 9/16 vom 3. März 2016

Körbe mit geschnittenem Brot stehen auf den Tischen, dazu Schalen mit Butter und Marmelade. In den Fächern eines schmalen Regales stapeln Handtücher. Im Wohnzimmer liegen Tageszeitungen aus. Kemenate, der Tagestreff für wohnungslose Frauen in Hamburg, öffnet in einer Stunde.

Eine, die regelmäßig vorbei schaut, ist Martina Junge*. Noch steht die schmale Frau mit Mütze, dicker Jacke, Jeans und schwarzen Stiefeln in der Februar-Kälte vor der Tür und raucht. Sie hat Lippenstift aufgelegt, unter den Augen einen dünnen Kajalstrich gezogen. „Das ist drinnen nicht erlaubt.“, sagt sie und pustet den Qualm nach oben. Wenn die anderen tanzen weiterlesen

Interview: “Männer müssen auch Macht abgeben.”

mittenmangDie Zeitung MittenMang hat ein Interview mit mir in zwei Teilen in ihren Februar- und März-Ausgaben veröffentlicht. Hier ist es dokumentiert.

Kersten, was sind die Konsequenzen aus Köln?

Zum einen: Die Kölner Polizei hat die Situation auf dem Bahnhofsvorplatz an Silvester falsch eingeschätzt. Offenbar hatte sich die Polizeileitung auf diffuse Terrorwarnungen islamistischer Selbstmordattentäter eingestellt, anstatt auf die Abwehr vom Terror gegen Frauen. Die Beamtinnen und Beamten vor Ort haben sich offenbar auch nicht ausreichend um die Frauen gekümmert, die um Hilfe gebeten haben. Der Rücktritt des Polizeipräsidenten ist aus meiner Sicht ein Bauernopfer gewesen. Erfahrungsgemäß sind solche Vorfälle immer nur die Spitze des Eisberges von strukturellen Problemen. Da wurde anscheinend jahrelang schlechte Arbeit gemacht, die städtische und die Landesregierung sind ihren Aufgaben nicht ausreichend nachgekommen. Interview: “Männer müssen auch Macht abgeben.” weiterlesen

Arbeit verstehen

img_8074Nun ist er zwei Jahre alt, kann ganze Sätze sprechen und verschiedene Lieder anstimmen. Von „Oh Tannebaum“ singt er komplett die erste Strophe. Ich vermute, das Lied wird uns auch noch im Sommer begleiten. Mein Enkel wiegt fast 15 Kilogramm, hat lange blonde Locken, ist ziemlich kitzelig und zieht gern Grimassen. Er kennt die Vornamen seiner Großeltern, seiner Eltern und der Kinder seiner Krippengruppe. Den Namen eines FC St. Pauli-Kickers schreit er, wenn er einen Ball in ein Tor kickt. Groß ist er geworden. Mit viel Persönlichkeit.  Arbeit verstehen weiterlesen

Der Übergriff

Ich war in der 6. Klasse, als ich bei einer Schulkameradin zum Übernachten eingeladen gewesen war, also war ich elf oder schon zwölf Jahre alt. Mit mehreren Mädchen wollten wir im ausgebauten Keller in Doris’ Elternhaus schlafen. Der Weg dorthin war ziemlich weit. Sie wohnte in einem anderen Stadtteil als ich. Ich fuhr mit dem Fahrrad aus Oberneuland raus, die Franz-Schütte-Allee entlang. Diese Straße führt zwei Kilometer lang ohne eine einzige Kurve nach Bremen rein. Sie hat zwar auf der einen Seite eine Weg für Fußgänger und Radfahrer, doch eigentlich ist sie eine Autostraße. Der Übergriff weiterlesen

Okay, reden wir endlich über sexistische Gewalt

gewalt_gegen_frauen_02Okay, reden wir über Gewalt an Frauen. Wir begehen seit vielen Jahren am 25. November den internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen und Mädchen. Wir treffen uns dazu mal im Rathaus, mal auf Veranstaltungen – weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit. Brötchentüten mit dem Aufdruck “Gewalt kommt nicht in die Tüte” gibt es in wenigen Tausend Exemplaren, kauft man beim Bäcker ein. Hatten Sie eine in der Hand? Im letzten Jahr hat die Hamburger Sozialbehörde eine Kampagne dazu entwickelt. Wer erinnert sich an diese? Es gibt seit einiger Zeit das bundesweite Hilfetelefon für Frauen, die Opfer von Gewalt wurden. Kennen Sie die Nummer? Ach, das hat Sie bislang nicht interessiert? Warum eigentlich nicht? Okay, reden wir endlich über sexistische Gewalt weiterlesen

Dem Feminismus verloren

titel0616Die vermutlich älteste Frauenzeitschrift Deutschlands ist Ende 2015 das letzte Mal erschienen – und niemand hat es bemerkt. Frauenrat, die Publikation der gleichnamigen feministischen NGO, ist nach 63 Jahren eingestellt worden. In ihrer letzten Ausgabe beschäftigt sich das Blatt dem Thema Abschied.

Ich finde: Gerade in einer Zeit, in der die Gesellschaft über Sexismus diskutiert wie lange nicht, ist ein seriöses Blatt auch und gerade in gedruckter Form erforderlich. Dem Feminismus verloren weiterlesen

Eine Homestory vom Aufräumen

img_7914Das vorletzte Biotop in meinem Haushalt ist mein Kabuff. Das liegt nicht unbedingt an den Dingen, die dort lagern, sondern an mangelnder Lust, einzugreifen. Es gibt dort Objekte, die fasse ich höchstens einmal im Jahr oder seltener an. Andere nutze ich regelmäßig. Doch ob häufig genutzt oder nicht: Es werden immer mehr. Eine Homestory vom Aufräumen weiterlesen

Hartz IV-Familie nimmt Flüchtlinge auf

anhang-14-e1450811864141Es ist keine Weihnachtsgeschichte, es ist eine normale Geschichte. Und doch ist sie es nicht, denn wenn eine Sarah Connor oder ein Kai Diekmann Flüchtlinge aufnehmen, kann sich das jeder gut vorstellen, sie haben ja viel Platz in ihren großen Häusern. Wenn aber eine Alleinerziehende und ihr Sohn gleiches tun, ist es außergewöhnlich. Von dieser Familie handelt diese Geschichte.

Dass es so zeitintensiv würde, hätte Manuela Pagels (55) nicht gedacht, als sie die Idee hatte, eine syrische Familie aufzunehmen. „Mir taten die Menschen einfach Leid, die tagtäglich am Hamburger Hauptbahnhof stranden. Ich habe mir vorgestellt, wie es mir ergehen würde, wenn ich mit meinen Sohn hätte flüchten müssen.“ Manuela wollte daher das wenige, was sie hat, teilen. Sie ist Aufstockerin, weil ihr Lohn, den sie als Reinigungskraft verdient, zum Leben nicht reicht. Zusammen mit Ibo (10) lebt sie in einer Erdgeschosswohnung in der Eimsbütteler Lenzsiedlung. Drei Zimmer, Küche, Bad, kleine Terrasse – das ist ihr kleines Reich, das sie teilen wollte. Hartz IV-Familie nimmt Flüchtlinge auf weiterlesen

Macht Betriebliches öffentlicher!

Ibrahim Ergin ist Betriebsratsvorsitzender der Meyer-Werft. Das Unternehmen will ihn kündigen, weil er Auszubildende genötigt haben soll, in die IG Metall einzutreten. Ich bin aus der Ferne Zuschauerin dieses politischen Prozesses, der in der Mitbestimmungsgeschichte Deutschlands seinesgleichen sucht. Ich nehme Anteil, weil man vor fünf Jahren versucht hat, auch mich wegen gewerkschaftlicher Betätigung rauszuschmeißen, und auch ich war eine Betriebsratsvorsitzende. Es war einer von drei Kündigungsgründen*. Macht Betriebliches öffentlicher! weiterlesen

35 Jahre DIDF

12377711_531722717001356_1999606381794836636_o„Hans und Hassan“ geben sich die Hand, und zwar auf dem Logo der DIDF, der Föderation demokratischer Arbeitervereine, die sich 1980 gründete. Das Motiv symbolisiert die Wichtigkeit der Solidarität verschiedener Nationalitäten miteinander. Seit 35 Jahren nimmt DIDF aktiv am Widerstand gegen Sozialabbau, Abbau demokratischer und gewerkschaftlicher Rechte, gegen Rüstung und Krieg teil. Jetzt feiert die DIDF ihr 35-jährigen Jubiläum und ich hatte als Landessprecherin der AG betrieb & gewerkschaft die Gelegenheit, ein Grußwort auf dem Hamburger Kongres am 13. Dezember zu halten. 35 Jahre DIDF weiterlesen